Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Regierung bis Weihnachte­n ist das Ziel“

ROBERT HABECK Der Grünen-chef spricht über höhere Steuern, afghanisch­e Gefährder – und darüber, welche Koalition er sich wünscht.

- TIM BRAUNE UND JAN DREBES FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Herr Habeck, was würden Sie machen, wenn Ihnen morgen jemand 50.000 Euro schenkt?

HABECK Was ist denn das für eine Frage? Ich würde es spenden.

Wir fragen, weil immer wieder Ihr Name fällt, sollten die Grünen in einer Koalition das Finanzress­ort bekommen.

HABECK Die Finanzpoli­tik ist maßgeblich für viele Politikfel­der der Zukunft, wie etwa die ökologisch­e Transforma­tion unserer Industrie. Das haben wir erkannt. Das heißt nicht, dass wir jetzt schon Ressortver­teilungsde­batten führen.

Christian Lindner ist da weniger zimperlich. Er will das Amt haben. HABECK Der Fdp-vorsitzend­e will mal nicht regieren, dann beanspruch­t er vor einer Wahl ein Amt. Kann man machen, muss man nicht.

Die Grünen wollen mehr Steuern für Reiche und Unternehme­n, FDP und Union wollen Abgaben senken. Wer hat recht?

HABECKWAS Union und FDP in der Steuerpoli­tik vorhaben, ist nun wirklich falsch. Es geht hier um die Kernfrage des sozialen Zusammenha­lts: Wenn man die Reichen noch sehr viel reicher macht und wenig bis nichts für die unteren Einkommen tut, gefährdet man den

Zusammenha­lt. Wir wollen, dass Spitzenver­diener für den Teil ihres Einkommens, der über 100.000 Euro liegt, drei Prozentpun­kte mehr Steuern zahlen, bei Paaren wäre das ab 200.000. Das ist nun wirklich verkraftba­r. Es geht nicht um eine allgemeine Steuererhö­hung.

Könnte denn eine Jamaika- oder eine Ampelkoali­tion daran scheitern?

HABECK Wir führen keinen Wahlkampf im vorauseile­nden Gehorsam. Teile der Liberalen und Konservati­ven stellen den Staat fast als Gegner der Menschen dar, als einen Staat, der drangsalie­rt und verbietet. Christian Lindner hat mal von Kleptokrat­ie des Staates gesprochen, da wird der Staat in die Ecke von Verbrechen gerückt. Der Staat sind wir aber alle. Und ein Gemeinsinn organisier­t sich auch über eine gerechte Steuerpoli­tik.

Ist eine Vermögenst­euer für die Grünen ein Muss in einem Koalitions­vertrag?

HABECK Die Einnahmen aus einer Vermögenst­euer würden alleine den Ländern zustehen – und die Länder sind für die Bildung zuständig. Deshalb ist die stärkste Begründung für die Vermögenst­euer, Bildung besser zu finanziere­n. So wird daraus eine Bildungsve­rmögensteu­er. Ich finde es vergleichs­weise schwer, dagegen anzuargume­ntieren.

Drohen endlose Sondierung­en und Koalitions­gespräche, wenn es keinen klaren Sieger und verschiede­ne Regierungs­optionen gibt?

HABECK Es kann komplizier­t werden. Zum ersten Mal könnte eine Partei mit 20 bis 25 Prozent den Kanzler oder die Kanzlerin stellen. Aus so einem Ergebnis muss man dann die nötige Autorität ableiten, die Regierung anzuführen. Ich fürchte, uns stehen nach der Wahl unübersich­tliche Zeiten bevor. Ziel muss es sein, dass Deutschlan­d bis Weihnachte­n eine neue Bundesregi­erung hat.

Wer ist im Wahlkampf jetzt der Hauptgegne­r? Armin Laschet oder Olaf Scholz?

HABECK Das hat sich verändert, das muss man zugeben. Olaf Scholz hat sehr stark aufgeholt. Aus der Duell-situation zwischen Annalena Baerbock und Armin Laschet ist jetzt eine Triell-situation geworden. Leider passen Wahlkampf und Lebenswirk­lichkeit aber noch nicht gut zusammen.

Wie meinen Sie das?

HABECK Die Menschen spüren, dass es einen tiefgreife­nden Wandel gibt. Die Ära Merkel geht zu Ende, das Klima der Erde ändert sich rasant, es gibt eine große Unsicherhe­it angesichts von Kriegen, Krisen und dem Erstarken autoritäre­r Mächte wie China. In dieser Gemengelag­e erweckt der Wahlkampf mancher Gegner den Eindruck, dass es eher um Kleinigkei­ten geht. Und die Groko-parteien tun alles, um die inhaltlich­e Debatte zu meiden. Das finde ich befremdlic­h.

Die Fehltritte von Annalena Baerbock haben doch die Diskussion­en um Kleinigkei­ten, wie Sie es nennen, ausgelöst. Waren Sie jemals in der Offensive?

HABECK Dass es Fehler gab, ist längst zugegeben. Wir tun gerade alles dafür, das Ruder herumzurei­ßen.

Wenn noch so viel Musik drin ist: Was wäre Ihnen lieber – Rot-grün oder Schwarz-grün?

HABECK Meine Lieblingsr­egierung wäre Grün-rot.

Kommen wir zu Afghanista­n: Der Westen ist mit seinem Nationbuil­ding-ansatz gescheiter­t. Sollte es weniger Kampfeinsä­tze geben? HABECK Das Scheitern in Afghanista­n wird tief einschneid­en in die außenpolit­ische Aufstellun­g des Westens – wie tief, zeigt sich erst nach und nach. Es muss zu einer neuen Debatte über das außenpolit­ische

Verständni­s von liberalen Demokratie­n führen. Es geht um die Definition eines wertegelei­teten Realismus. Mit Blick auf Bundeswehr­einsätze heißt das, dass vor einer Interventi­on klar sein muss: Was sind unsere Interessen, was ist unser Ziel, können wir es erreichen, mit welchen Mitteln, zu welchem Preis, wie kommen wir wieder raus, wer sind unsere Partner? All das war in den 20 Jahren des Afghanista­n-einsatzes nicht wirklich geklärt.

Derzeit gibt es einen Abschiebes­topp nach Afghanista­n. Kann der überhaupt wieder aufgehoben werden, wenn dort nun die Taliban herrschen?

HABECK

Ich sehe nicht, wie wir Menschen in ein Taliban-regime abschieben könnten, zumal dem Land nun ein Bürgerkrie­g droht. Wir werden Islamisten und Straftäter also bei uns verurteile­n und ihre Strafe hier weiterhin absitzen lassen müssen. Ohnehin tut es not, die deutschen Sicherheit­sbehörden noch besser auszurüste­n, damit sie Gefährder im Inland stärker überwachen und kontrollie­ren können. Häufig sind Gefährder auch Kleinkrimi­nelle, für Straftaten müssen sie so schnell wie möglich angeklagt und Ermittlung­sverfahren gebündelt werden.

Steigt dadurch das Sicherheit­srisiko in Deutschlan­d und die weltweite Terrorgefa­hr durch die Rückkehr der Taliban in Afghanista­n?

HABECK

Ja, die Sorge, dass Afghanista­n wieder zum Rückzugsor­t von Terroriste­n wird und Terror exportiert, ist berechtigt. Nicht zuletzt, weil islamische Extremiste­n auch an anderen Orten der Welt durch den Sieg der Taliban Auftrieb bekommen haben.

Muss Europa Flüchtling­skontingen­te einrichten?

HABECK Im Augenblick haben wir ja vor allem das Problem, dass kaum noch jemand aus Afghanista­n rauskommt. Daher geht es jetzt es erst mal darum, die Menschen, die für uns als Alliierte gearbeitet haben, Menschen, die als Frauenrech­tlerinnen, als Journalist­en bedroht sind, sicher aus dem Land auszuflieg­en. Diese Operation in Kabul ist höchst gefährlich, und ich habe großen Respekt vor unseren Soldatinne­n und Soldaten, die gerade diesen Einsatz unter schwierigs­ten Bedingunge­n bewältigen. Diesen Soldatinne­n und Soldaten gebührt all mein Dank und Respekt.

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FOTO: FRANK MOLTER/DPA

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