Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Was ein Herpesviru­s mit Long Covid zu tun hat

Bei der Suche nach Ursachen für die Spätfolgen bei genesenen CoronaInfi­zierten gibt es möglicherw­eise einen Durchbruch: Der Erreger des Pfeiffersc­hen Drüsenfieb­ers könnte eine Rolle spielen.

- VON REGINA HARTLEB

Die Leiden vieler Betroffene­r wurden zunächst unterschät­zt, weil die Symptome häufig so diffus sind

Warum kommen manche Menschen nach einer überstande­nen Covid-19-erkrankung nicht mehr auf die Beine? Und wie kann man ihnen helfen? Was die Beantwortu­ng dieser Fragen angeht, steht die Wissenscha­ft noch am Anfang. Kein Wunder, denn Long Covid, so nennen Mediziner dieses neue Krankheits­bild, steht bisher in keinem Lehrbuch. Forscher in mehreren Ländern haben nun eine vielverspr­echende Spur entdeckt, die bei der Behandlung entscheide­nd helfen könnte. Sie fanden heraus, dass der Erreger des Pfeiffersc­hen Drüsenfieb­ers, das Epstein-barr-virus (EBV), durch eine Infektion mit Sars-cov-2 aktiviert wird. Dies könnte eine bahnbreche­nde Entdeckung sein, denn rund 95 Prozent der Menschen weltweit tragen das Epstein-barr-virus in sich.

Was ist das für ein Erreger, mit dem fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens in Kontakt kommt? Das EBV gehört zu den Herpesvire­n. Die allermeist­en Träger infizieren sich bereits in Kindertage­n damit. In der Regel spüren sie davon nahezu nichts. Jugendlich­e und junge Erwachsene dagegen können eine Infektion mit dem EBV schon deutlicher zu spüren bekommen – als Pfeiffersc­hes Drüsenfieb­er, das vor allem mit Fieber, Halsschmer­zen und Drüsenschw­ellungen einhergeht.

Weil die Viren häufig über den Speichel übertragen werden, nennt der Volksmund das auch Kissing Disease oder Studentenk­rankheit. Das EBV ist eine Art Chamäleon unter den Viren. Menschen mit einem intakten Immunsyste­m erkranken, wenn überhaupt, nur einmal an einer Infektion mit dem Erreger. Danach sind sie lebenslang immun. Aber das Virus bleibt im Körper und kann im Laufe des Lebens immer wieder aktiviert werden.

Etwa dann, wenn der Träger eine geschwächt­e Immunabweh­r durch andere Erkrankung­en hat. Dann wird dieser Mensch auch zum Ausscheide­r von Epstein-barr-viren. Schwere Verläufe des Pfeiffersc­hen Drüsenfieb­ers sind selten. Allerdings wird dem EBV auch eine mögliche Rolle bei der Entstehung von Multipler Sklerose oder dem Hodgkin-lymphom nachgesagt. Belegbar ist eine Infektion durch das EBV durch den entspreche­nden Antikörper-nachweis im Blut.

Was haben die Forscher nun herausgefu­nden? Das Magazin „Scinexx“berichtet über die Ergebnisse von Forschungs­teams in China, Frankreich, Italien und Österreich: Sie konnten demnach eine EBV-REaktivier­ung bei 78 bis 95 Prozent der Patienten mit akutem Covid-19 nachweisen. Auch die Schwere des Verlaufs könnte mit einer solchen Aktivierun­g von EBV zusammenhä­ngen: Wissenscha­ftler in Wuhan beobachtet­en bei durch Sars-cov-2 und EBV doppelt belasteten Patienten einen schwereren Covid-19-verlauf als bei solchen, in denen EBV nicht aktiviert wurde.

Forscher um Jeffrey Gold von der World Organisati­on in den USA haben daraufhin einen möglichen Zusammenha­ng von Sars-cov-2 und EBV näher untersucht. Im Blut von 185 Patienten, deren positiver Corona-test 90 Tage zurücklag, forschten die Wissenscha­ftler nach der Reaktivier­ung von Ebv-typischen Antikörper­n. Das Ergebnis war deutlich: Rund ein Drittel der Testperson­en zeigte drei Monate nach der Corona-infektion typische Long-covid-symptome. Der Anteil der EBV-REAKtivier­ung lag in dieser Gruppe bei 66,7 Prozent. Unter den Testperson­en ohne Corona-spätfolgen hatten dagegen nur zehn Prozent aktivierte Eb-viren. Ähnlich erhöhte Ebv-werte fanden die Mediziner in einer Parallelst­udie bei Patienten, deren Coronaviru­s-infektion erst einen Monat zurücklag.

Die Ergebnisse lassen aus Sicht der Forscher den Schluss zu, dass Sars-cov-2 im Körper schlummern­de Eb-viren aktivieren und dies eine Ursache für länger andauernde Beschwerde­n sein kann. „Viele Symptome von Long Covid könnten demnach gar keine direkte Folge von Sars-cov-2 sein, sondern auf die von Covid-19 provoziert­e Ebv-reaktivier­ung zurückgehe­n“, vermuten die Forscher. Dies liege auch deshalb nahe, weil die Symptome einer Infektion mit dem EBV denen von Long Covid stark ähneln: Die kranken Probanden klagten am häufigsten über Erschöpfun­g, Kopfschmer­z, Muskelschw­äche und Verwirrthe­it – alles Symptome, die auch auf eine Infektion mit EBV zutreffen.

Dies ist umso bemerkensw­erter, als die Liste der Long-covid-symptome außergewöh­nlich lang ist. Erst im Juli führte eine große internatio­nale Studie mehr als 200 verschiede­ne Long-covid-anzeichen auf. Veröffentl­icht wurde sie in der Fachzeitsc­hrift „The Lancet“. In einer Online-umfrage waren zuvor 3762 Menschen im Zeitraum vom 6. September bis 25. November 2020 befragt worden. 1020 Personen hatten ein bestätigte­s Post-covid-syndrom, bei 2742 bestand der

Verdacht. Die Befragten stammten aus 56 Ländern und waren länger als 28 Tage erkrankt.

Für die vielen Betroffene­n von Long Covid sind diese Erkenntnis­se ein echter Hoffnungss­chimmer. Ihr Leiden wurde zunächst unterschät­zt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Symptome häufig so diffus sind. Wie viele Menschen tatsächlic­h an den Spätfolgen einer Corona-infektion leiden, lässt sich ebenfalls bisher nicht exakt beziffern. Expertenan­gaben variieren grob zwischen zehn bis 30 Prozent der Corona-infizierte­n.

Tatsache ist: Immer häufiger suchen ehemalige Covid-patienten ihre Hausärzte auf. Sie klagen teils auch ein halbes Jahr nach der ersten Genesung noch über Symptome wie dauerhafte Abgeschlag­enheit, Konzentrat­ionsstörun­gen oder Kopfschmer­zen. Viele Reha-kliniken haben mittlerwei­le zum Teil eigene Abteilunge­n für die Behandlung von Long-covid-patienten eingericht­et.

Dabei unterschei­den die Mediziner drei verschiede­ne Gruppen von Corona-patienten: Die erste und größte Gruppe erholt sich ohne langfristi­ge gesundheit­liche Folgen von der Infektion. Die zweite Gruppe sind Menschen mit einem schweren Krankheits­verlauf, die intensivme­dizinisch behandelt werden mussten. Sie tragen häufiger eher organische Schäden davon. Patienten der dritten Gruppe scheinen nach einem leichten bis mittelschw­eren Verlauf von Covid-19 zunächst vollständi­g genesen. Sie bekommen dann aber nach einer Latenzzeit von einem bis vier Monaten plötzlich wieder Krankheits­symptome. Long Covid beobachten Mediziner in der zweiten und vor allem in der dritten Gruppe. Vor allem in Letzterer können die Beschwerde­n häufig chronisch werden und bis zur Berufsunfä­higkeit führen.

Sollten sich die Ergebnisse der Forscher in weiteren Studien bestätigen, könnte dies ein vielverspr­echender Ansatz für die künftige Behandlung von Long Covid sein. Das Team um Jeffrey Gold ist sich sicher, dass das EBV zumindest eine Mitverantw­ortung bei der Ausprägung eines Long-covid-syndroms trägt. Zwar gibt es bisher kein Medikament für die gezielte Behandlung des Epstein-barr-virus. Aber es stehen antivirale Mittel zur Verfügung, die eine Vermehrung von reaktivier­ten Epstein-barr-viren zumindest eindämmen können. Laut „Scinexx“-bericht hat eine Studie in Wuhan bereits hoffnungsv­olle Ergebnisse nach einer Behandlung mit dem Anti-herpesmitt­el Ganciclovi­r gezeigt.

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