Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der letzte Jude von Afghanistan will bleiben
Zablon Simintov lehnte ein Angebot der Türkei ab, ihn aus Kabul auszufliegen. Nur noch er verkörpert eine jahrtausendealte Tradition am Hindukusch.
ISTANBUL/KABUL Zablon Simintov ist der letzte Jude von Afghanistan – und er will sich von den Taliban nicht vertreiben lassen. Seit 2000 Jahren leben Juden am Hindukusch, doch seit vor 16 Jahren das zweitletzte Gemeindemitglied in Kabul starb, ist Simintov in der Synagoge der afghanischen Hauptstadt allein. „Wir stehen seit vielen Jahren in Verbindung mit ihm, wir kümmern uns um seine religiösen Bedürfnisse und versorgen ihn mit Matze für Pessach oder mit Büchern oder was er sonst so braucht“, berichtet der Vorsitzende der Vereinigung von Rabbinern in islamischen
Staaten, Rabbi Mendy Chitrik, in Istanbul: „Wir haben in der vergangenen Woche auch versucht, ihn aus Afghanistan herauszuholen. Aber er hat beschlossen zu bleiben – also bleibt er dort.“
Simintov ist schwer zu erreichen, aber Rabbi Chitrik hält von Istanbul aus Kontakt zu ihm. Die Türkei hatte sich erboten, Simintov aus dem Land zu holen. Doch der wollte nicht, wie sich herausstellte – aus eigenen Gründen, wie Chitrik erzählt: „Er wollte seine Schulden von uns bezahlt haben. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, die Kredite von Leuten abzuzahlen.“Das Hilfsangebot bleibt bestehen, auch wenn die Zeit knapp wird.
Simintov ist als Exzentriker bekannt. Über seine jahrelange Fehde mit Isaac Levy, dem vorletzten Juden von Kabul, wurde weltweit berichtet und in New York sogar ein Theaterstück aufgeführt. Israelische Medien verfolgen seit über 20 Jahren das Schicksal von Simintovs Ehefrau, die seit 1998 in Israel lebt und sich vergeblich um die Scheidung bemüht; auch dieser Zwist könnte zu seiner Entscheidung beigetragen haben, zu bleiben. Warum auch immer – er ist jedenfalls der letzte Vertreter einer 2000 Jahre alten Gemeinde.
Der Handel brachte die Juden einst nach Zentralasien, sagt Chitrik: „Afghanistan war ein Knotenpunkt der Seidenstraße. Das zog Juden aus Persien, aus dem Irak und aus Indien an, die sich in Afghanistan niederließen.“Tausende Juden lebten vor 100 Jahren noch in Afghanistan, doch die meisten wanderten in den 50er- und 60er-jahren nach Israel und Amerika aus, zuletzt als 1979 die sowjetischen Truppen einmarschierten. Was heute in Afghanistan bleibt, ist nur noch ihr kulturelles Erbe.
Als Vorsitzender der Vereinigung von Rabbinern in islamischen Staaten koordiniert Rabbi Chitrik von Istanbul aus die Bemühungen, dieses Erbe zu bewahren: „Die meisten Juden von Afghanistan lebten in Herat, nicht in Kabul. Dort gibt es noch eine Synagoge und einen sehr alten jüdischen Friedhof. Der Friedhof liegt in Trümmern, aber es gibt Leute vor Ort, die versuchen, ihn instandzusetzen und zu erhalten, damit er nicht verloren geht.“Die Synagoge in Herat sei in den letzten Jahren von Anwohnern restauriert worden, die sie als Kindergarten nutzten. Dabei hätten sie das Erbe der Synagoge respektiert: „Die restaurierte Synagoge sieht sehr, sehr schön aus; man hat den jüdischen Charakter des Bauwerks gut erhalten.“
Ansonsten gibt es in Afghanistan nur noch einen weiteren jüdischen Friedhof und die Synagoge in Kabul, um die Simintov sich kümmert. Was nach dem Sieg der Taliban daraus werden mag, ist nicht abzusehen. Aus der der ersten Herrschaftszeit der radikalislamischen Miliz von 1996 bis 2001 weiß Chitrik, dass die Stätten jüdischer Kultur unbeschädigt blieben: „Die Synagoge in Kabul blieb die ganze Zeit geöffnet.“Das gebe Hoffnung, aber: „Wir können nicht sicher sein, ob sie sich diesmal so verhalten werden.“