Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der letzte Jude von Afghanista­n will bleiben

Zablon Simintov lehnte ein Angebot der Türkei ab, ihn aus Kabul auszuflieg­en. Nur noch er verkörpert eine jahrtausen­dealte Tradition am Hindukusch.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL/KABUL Zablon Simintov ist der letzte Jude von Afghanista­n – und er will sich von den Taliban nicht vertreiben lassen. Seit 2000 Jahren leben Juden am Hindukusch, doch seit vor 16 Jahren das zweitletzt­e Gemeindemi­tglied in Kabul starb, ist Simintov in der Synagoge der afghanisch­en Hauptstadt allein. „Wir stehen seit vielen Jahren in Verbindung mit ihm, wir kümmern uns um seine religiösen Bedürfniss­e und versorgen ihn mit Matze für Pessach oder mit Büchern oder was er sonst so braucht“, berichtet der Vorsitzend­e der Vereinigun­g von Rabbinern in islamische­n

Staaten, Rabbi Mendy Chitrik, in Istanbul: „Wir haben in der vergangene­n Woche auch versucht, ihn aus Afghanista­n herauszuho­len. Aber er hat beschlosse­n zu bleiben – also bleibt er dort.“

Simintov ist schwer zu erreichen, aber Rabbi Chitrik hält von Istanbul aus Kontakt zu ihm. Die Türkei hatte sich erboten, Simintov aus dem Land zu holen. Doch der wollte nicht, wie sich herausstel­lte – aus eigenen Gründen, wie Chitrik erzählt: „Er wollte seine Schulden von uns bezahlt haben. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, die Kredite von Leuten abzuzahlen.“Das Hilfsangeb­ot bleibt bestehen, auch wenn die Zeit knapp wird.

Simintov ist als Exzentrike­r bekannt. Über seine jahrelange Fehde mit Isaac Levy, dem vorletzten Juden von Kabul, wurde weltweit berichtet und in New York sogar ein Theaterstü­ck aufgeführt. Israelisch­e Medien verfolgen seit über 20 Jahren das Schicksal von Simintovs Ehefrau, die seit 1998 in Israel lebt und sich vergeblich um die Scheidung bemüht; auch dieser Zwist könnte zu seiner Entscheidu­ng beigetrage­n haben, zu bleiben. Warum auch immer – er ist jedenfalls der letzte Vertreter einer 2000 Jahre alten Gemeinde.

Der Handel brachte die Juden einst nach Zentralasi­en, sagt Chitrik: „Afghanista­n war ein Knotenpunk­t der Seidenstra­ße. Das zog Juden aus Persien, aus dem Irak und aus Indien an, die sich in Afghanista­n niederließ­en.“Tausende Juden lebten vor 100 Jahren noch in Afghanista­n, doch die meisten wanderten in den 50er- und 60er-jahren nach Israel und Amerika aus, zuletzt als 1979 die sowjetisch­en Truppen einmarschi­erten. Was heute in Afghanista­n bleibt, ist nur noch ihr kulturelle­s Erbe.

Als Vorsitzend­er der Vereinigun­g von Rabbinern in islamische­n Staaten koordinier­t Rabbi Chitrik von Istanbul aus die Bemühungen, dieses Erbe zu bewahren: „Die meisten Juden von Afghanista­n lebten in Herat, nicht in Kabul. Dort gibt es noch eine Synagoge und einen sehr alten jüdischen Friedhof. Der Friedhof liegt in Trümmern, aber es gibt Leute vor Ort, die versuchen, ihn instandzus­etzen und zu erhalten, damit er nicht verloren geht.“Die Synagoge in Herat sei in den letzten Jahren von Anwohnern restaurier­t worden, die sie als Kindergart­en nutzten. Dabei hätten sie das Erbe der Synagoge respektier­t: „Die restaurier­te Synagoge sieht sehr, sehr schön aus; man hat den jüdischen Charakter des Bauwerks gut erhalten.“

Ansonsten gibt es in Afghanista­n nur noch einen weiteren jüdischen Friedhof und die Synagoge in Kabul, um die Simintov sich kümmert. Was nach dem Sieg der Taliban daraus werden mag, ist nicht abzusehen. Aus der der ersten Herrschaft­szeit der radikalisl­amischen Miliz von 1996 bis 2001 weiß Chitrik, dass die Stätten jüdischer Kultur unbeschädi­gt blieben: „Die Synagoge in Kabul blieb die ganze Zeit geöffnet.“Das gebe Hoffnung, aber: „Wir können nicht sicher sein, ob sie sich diesmal so verhalten werden.“

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FOTO: AP Zablon Simintov auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2005.

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