Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Auf sie mit Gebrüll
Kölns neuer Trainer Steffen Baumgart entfacht mit seiner extrovertierten Art Euphorie rund um den Effzeh. Bei Spielern, Fans – sogar beim Gegner.
KÖLN Unter Strom und mit jeder Menge Emotionen – so kennt man Steffen Baumgart. Der neue Trainer des 1. FC Köln geht an der Seitenlinie voll mit, gestikuliert, schreit und verfolgt eine Partie meist angespannt in der Hockstellung. Mit seiner Power und Intensität auf und neben dem Platz kommt der gebürtige Rostocker gut an in der Domstadt. Seit der 49-Jährige beim Fast-absteiger der vergangenen Saison übernommen hat, hat sich in Köln eine Aufbruchstimmung breit gemacht.
Man könnte fast meinen, dass sich die Stadt, die Fans und Spieler nach genau einem solch emotionalem Leader gesehnt haben. Baumgart reißt mit seiner Art mit, ist ein großer Motivator. „Er bringt Energie in die Mannschaft, das hat uns vielleicht gefehlt“, sagte Torwart Timo Horn nach dem 3:1-Auftaktsieg gegen Hertha. Balsam für die FC-SEEle, die in der vergangenen Saison arg strapaziert wurde. Erst am 34. Spieltag retteten sich die Kölner durch einen 1:0-Sieg gegen den FC Schalke in die Relegation, in der man sich gegen Holstein Kiel durchsetzte.
In dieser Spielzeit will man in Köln möglichst wenig mit dem Abstieg zu tun haben. Und die Hoffnungen ruhen dabei eben vor allem auf einem: Baumgart. Eine seiner Stärken ist, dass er Spieler besser machen kann. Nach den schmerzhaften
Abgängen von Leistungsträgern wie Sebastiaan Bornauw (ging zum VFL Wolfsburg) war dies auch mit ein Grund, warum man sich für ihn entschied. Viel Geld für teure Neuverpflichtungen steht beim FC nämlich nicht zur Verfügung. Laut Kölns Sport-geschäftsführer Horst Heldt sei Baumgart „der richtige Mann für den Weg, den wir in den nächsten Jahren gehen müssen“.
Und der Hoffnungsträger liefert. Bereits in der Frühphase der
Saison ist Baumgarts Handschrift deutlich zu erkennen. Der Fc-trainer lässt intensiven Stress-fußball praktizieren, der nach vorn gespielt wird – und das alles immer mit hundertprozentigem Einsatz und hoher Laufbereitschaft. „Er lebt vor, dass wir dran glauben sollen, dass wir alles erreichen können, was wir wollen“, sagte Rafael Czichos.
Baumgart, der von sich selbst sagt, dass er „sehr laut und fordernd“sei, hat seine Ansprüche an seine Spieler klar formuliert: „Vollgas. Mein Anspruch ist, dass du immer Vollgas gibst – Ergebnisunabhängig“. In Rekordzeit hat er mit seiner vorgelebten Leidenschaft dem zuletzt verunsicherten Team so neues Selbstvertrauen eingeimpft. Und dieser Glauben an die eigene Stärke ist bei jedem Fc-profi zu spüren. Selbst Torjäger Anthony Modeste, seit rund zwei Jahren im Dauertief, trifft plötzlich wieder.
Der Saisonstart ist gelungen. In der ersten Runde des Dfb-pokals setzten sich die Kölner gegen Regionalligist Carl Zeiss Jena im Elfmeterschießen durch. In der Bundesliga folgte auf den Heimsieg gegen Hertha ein 2:3 beim FC Bayern. In allen Partien musste die BaumgartElf einem Rückstand hinterherlaufen, doch anders als in der Vergangenheit verlor man nicht den Faden, blieb stabil und ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Ein Umstand, dem selbst der Gegner Respekt zollte: „Schon cool zu sehen, was da an der Seitenlinie abgeht: Wie er seine Jungs pusht, sie nach nach vorne treibt. Solche Typen tun der Bundesliga gut. Ich feiere so was ab“, sagte Bayerns Joshua Kimmich.
Doch Baumgart treibt nicht nur seine Spieler stetig an. Neben der taktischen Neuausrichtung der Mannschaft, die in den ersten zwei Spielen die meisten Kilometer aller 18 Bundesligisten abspulte (239,69 Kilometer), setzt sich der Ex-paderborner auch selbst unter Druck. So sprach er davon, mit Köln nicht nur gegen den Abstieg spielen zu wollen. Der Klassenerhalt als Ziel alleine reicht ihm nicht, ihm geht es um den „größtmöglichen Erfolg“.
Begeistern und überzeugen muss er niemanden mehr. Die Euphorie ist entfacht.