Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Afghanista­n gehört nicht in den Wahlkampf

- VON JAN DREBES

Auch kurz nach dem Ende der militärisc­hen Evakuierun­gsmission in Afghanista­n geht der Wahlkampf mit der humanitäre­n Katastroph­e offenkundi­g weiter. Die Forderung von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) nach schärferen Grenzkontr­ollen fällt in diese Kategorie. Schließlic­h koppelte er seinen Vorstoß in der „Bild am Sonntag“an die Bedingung einer „neuen, großen Fluchtbewe­gung aus Afghanista­n, Syrien und Irak“. Doch die ist vorerst noch gar nicht Realität. Die Grenzen sind weitgehend dicht, die Taliban haben kein Interesse an einer Massenfluc­ht aus Afghanista­n, und die Fluchtrout­en nach Europa, speziell nach Deutschlan­d, sind alles andere als offen.

Horst Seehofer kann unterstell­t werden, Kenntnis von der Lage zu haben. Als Bundesinne­nminister sollte er wissen, welche Fluchtbewe­gungen tatsächlic­h zu verzeichne­n sind, welche Grenzen insbesonde­re in östlichen Staaten der Europäisch­en Union dicht sind. Derzeit kommt kaum jemand auf anderem Wege als per Flugzeug aus Afghanista­n und seinen Nachbarlän­dern zu uns.

Natürlich dürfen verurteilt­e Straftäter und bereits Abgeschobe­ne nicht wieder einreisen. Flugpassag­iere werden aber selbstvers­tändlich kontrollie­rt, Papiere und Visa werden geprüft. Die weitaus schwerer zu kontrollie­renden Grenzüberg­änge und innereurop­äischen Züge sind so gut wie nicht betroffen. Von Grenzkontr­ollen zu diesem Zeitpunkt zu sprechen, ist also das falsche Signal. Es schürt Angst, bedient Reflexe am rechten Rand. Und lenkt ab von der Aufgabe, die nun eigentlich vor dem Bundesinne­nminister liegt: mehr Menschen aus Afghanista­n zu retten, die für Deutschlan­d – und auch für das Bundesinne­nministeri­um – gearbeitet haben oder die wegen anderer Umstände schutzbedü­rftig sind.

BERICHT USA FLIEGEN DROHNENANG­RIFF IN KABUL, TITELSEITE

Newspapers in German

Newspapers from Germany