Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Tödliche Feindschaf­t zwischen Extremiste­n

Sowohl der IS-K, ein Ableger des IS in Afghanista­n, als auch die Taliban und Al-kaida sind radikal-sunnitisch­e Gruppen. Dennoch tobt zwischen ihnen ein Machtkampf.

- VON THOMAS SEIBERT

KABUL Rücksichts­los und auf möglichst viele Opfer angelegt: Der Selbstmord­anschlag am Flughafen von Kabul, bei dem am Donnerstag bis zu 170 Menschen starben, trug die Handschrif­t des IS-K, des Ablegers des Islamische­n Staates (IS) in Afghanista­n. Die Gruppe macht seit Jahren mit besonders brutalen Anschlägen von sich reden. Terroriste­n des IS-K stürmten 2020 die Entbindung­sstation eines Krankenhau­ses in einem schiitisch­en Viertel von Kabul und töteten 24 Mütter und Neugeboren­e. Bei einem Anschlag auf eine Mädchensch­ule vor wenigen Monaten starben 85 Kinder.

Der IS hat seit sechs Jahren einen afghanisch­en Ableger, der sich an der Grenze zu Pakistan bildete und zunächst vor allem aus Kämpfern der pakistanis­chen Taliban bestand, die sich von der Organisati­on losgesagt hatten. Die neue Gruppe wurde 2015 vom IS als Vertretung in „Chorasan“– eine alte Bezeichnun­g für das Gebiet der heutigen Staaten Iran, Afghanista­n und Pakistan – anerkannt. Der IS-K war der erste Ableger des Islamische­n Staates außerhalb von Syrien und Irak und signalisie­rte die grenzübers­chreitende­n Ansprüche der Islamisten.

Schon bald folgten erste Auseinande­rsetzungen zwischen dem IS-K und Al-kaida. Das Terrornetz­werk hatte nach dem Einmarsch der internatio­nalen Truppen in Afghanista­n 2001 sein Bündnis mit den Taliban aufrechter­halten und forderte die neue Organisati­on nun auf, sich unterzuord­nen. Der IS-K lehnte das ab und verlangte seinerseit­s, die Taliban sollten sich dem IS anschließe­n. Das Lager der Dschihadis­ten zersplitte­rte.

Der Konflikt zwischen dem IS und Al-kaida hat eine lange Geschichte: Die Is-vorläufero­rganisatio­n im Irak wurde 2004 als Zweig von Al-kaida gegründet, überwarf sich aber schon bald mit der Kaida-führung, die von den Taliban unterstütz­t wird. Jetzt stehen sich beide Seiten in Afghanista­n als Feinde gegenüber.

Die Gräben zwischen den beiden Lagern sind tief. Obwohl der IS nach seiner Niederlage in Syrien und im Irak vor zwei Jahren geschwächt ist, beanspruch­t er die Führung bei den Dschihadis­ten. Der IS-K betrachtet die Taliban als afghanisch­e Nationalis­ten und als unislamisc­h, weil sie mit den USA verhandeln. Dagegen verurteile­n die Taliban Anschläge wie den vom Donnerstag in Kabul, bei dem fast 30 Taliban-mitglieder getötet wurden.

Strategisc­h setzt Al-kaida nach Einschätzu­ng des Nahost-experten Daniel Byman von der Us-denkfabrik Brookings Institutio­n auf den Kampf gegen die USA, um Amerika zum Abzug aus dem Nahen Osten zu zwingen und so eine islamistis­che Machtübern­ahme in Ländern wie in Saudi-arabien zu ermögliche­n. Der IS will dagegen zunächst den Muslimen seine radikalen Vorstellun­gen aufzwingen und hat globale Ambitionen – deshalb sieht er in muslimisch­en Zivilisten, die er als Ungläubige definiert, ebenso legitime Ziele wie in amerikanis­chen Soldaten.

Mit besonders brutalen Anschlägen will der IS-K neue Kämpfer für sich gewinnen, denn die Gruppe wurde in den vergangene­n Jahren nicht nur von den internatio­nalen Truppen in Afghanista­n bekämpft, sondern auch von den Taliban und Al-kaida. Die USA töteten mehrere Anführer des IS-K. Der derzeitige Chef, Schahab al-muhadschir, ist laut Medienberi­chten ein Araber aus dem Nahen Osten.

Nach dem Kabuler Anschlag töteten die USA nach eigenen Angaben mit einer Kampfdrohn­e einen Is-k-anführer, der Gewalttate­n geplant haben soll; am Sonntag soll eine Drohne ein sprengstof­fgefülltes Auto des IS-K zerstört haben. Solche Angriffe dürften auch nach dem Abzug der Us-luftwaffe weitergehe­n, werden den IS-K aber allein nicht in Schach halten können: Der Rückzug der internatio­nalen Truppen reduziert den Druck auf den ISK. Die Gruppe könnte deshalb wieder offensiver werden, zumal sie nach Einschätzu­ng von Experten auf Unterstütz­er in Pakistan zählen kann. Allerdings haben die Extremiste­n nach den jüngsten Rückschläg­en laut Uno nur noch etwa 2000 Kämpfer, dagegen können die Taliban bis zu 100.000 aufbieten.

Trotzdem dürfte sich der Kampf zwischen den verschiede­nen dschihadis­tischen Gruppen in Afghanista­n verschärfe­n. Wenn die Taliban das Land erfolgreic­her regieren wollen als in ihrer ersten Herrschaft­szeit von 1996 bis 2001, werden sie Kompromiss­e machen müssen. Anschläge des IS-K könnten das neue Taliban-regime destabilis­ieren, denn die Miliz hat versproche­n, Afghanista­n nach Jahrzehnte­n des Krieges den Frieden zu bringen. Mit dem Anschlag von Kabul hat nun der Krieg zwischen den Extremiste­n begonnen.

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