Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Tödliche Feindschaft zwischen Extremisten
Sowohl der IS-K, ein Ableger des IS in Afghanistan, als auch die Taliban und Al-kaida sind radikal-sunnitische Gruppen. Dennoch tobt zwischen ihnen ein Machtkampf.
KABUL Rücksichtslos und auf möglichst viele Opfer angelegt: Der Selbstmordanschlag am Flughafen von Kabul, bei dem am Donnerstag bis zu 170 Menschen starben, trug die Handschrift des IS-K, des Ablegers des Islamischen Staates (IS) in Afghanistan. Die Gruppe macht seit Jahren mit besonders brutalen Anschlägen von sich reden. Terroristen des IS-K stürmten 2020 die Entbindungsstation eines Krankenhauses in einem schiitischen Viertel von Kabul und töteten 24 Mütter und Neugeborene. Bei einem Anschlag auf eine Mädchenschule vor wenigen Monaten starben 85 Kinder.
Der IS hat seit sechs Jahren einen afghanischen Ableger, der sich an der Grenze zu Pakistan bildete und zunächst vor allem aus Kämpfern der pakistanischen Taliban bestand, die sich von der Organisation losgesagt hatten. Die neue Gruppe wurde 2015 vom IS als Vertretung in „Chorasan“– eine alte Bezeichnung für das Gebiet der heutigen Staaten Iran, Afghanistan und Pakistan – anerkannt. Der IS-K war der erste Ableger des Islamischen Staates außerhalb von Syrien und Irak und signalisierte die grenzüberschreitenden Ansprüche der Islamisten.
Schon bald folgten erste Auseinandersetzungen zwischen dem IS-K und Al-kaida. Das Terrornetzwerk hatte nach dem Einmarsch der internationalen Truppen in Afghanistan 2001 sein Bündnis mit den Taliban aufrechterhalten und forderte die neue Organisation nun auf, sich unterzuordnen. Der IS-K lehnte das ab und verlangte seinerseits, die Taliban sollten sich dem IS anschließen. Das Lager der Dschihadisten zersplitterte.
Der Konflikt zwischen dem IS und Al-kaida hat eine lange Geschichte: Die Is-vorläuferorganisation im Irak wurde 2004 als Zweig von Al-kaida gegründet, überwarf sich aber schon bald mit der Kaida-führung, die von den Taliban unterstützt wird. Jetzt stehen sich beide Seiten in Afghanistan als Feinde gegenüber.
Die Gräben zwischen den beiden Lagern sind tief. Obwohl der IS nach seiner Niederlage in Syrien und im Irak vor zwei Jahren geschwächt ist, beansprucht er die Führung bei den Dschihadisten. Der IS-K betrachtet die Taliban als afghanische Nationalisten und als unislamisch, weil sie mit den USA verhandeln. Dagegen verurteilen die Taliban Anschläge wie den vom Donnerstag in Kabul, bei dem fast 30 Taliban-mitglieder getötet wurden.
Strategisch setzt Al-kaida nach Einschätzung des Nahost-experten Daniel Byman von der Us-denkfabrik Brookings Institution auf den Kampf gegen die USA, um Amerika zum Abzug aus dem Nahen Osten zu zwingen und so eine islamistische Machtübernahme in Ländern wie in Saudi-arabien zu ermöglichen. Der IS will dagegen zunächst den Muslimen seine radikalen Vorstellungen aufzwingen und hat globale Ambitionen – deshalb sieht er in muslimischen Zivilisten, die er als Ungläubige definiert, ebenso legitime Ziele wie in amerikanischen Soldaten.
Mit besonders brutalen Anschlägen will der IS-K neue Kämpfer für sich gewinnen, denn die Gruppe wurde in den vergangenen Jahren nicht nur von den internationalen Truppen in Afghanistan bekämpft, sondern auch von den Taliban und Al-kaida. Die USA töteten mehrere Anführer des IS-K. Der derzeitige Chef, Schahab al-muhadschir, ist laut Medienberichten ein Araber aus dem Nahen Osten.
Nach dem Kabuler Anschlag töteten die USA nach eigenen Angaben mit einer Kampfdrohne einen Is-k-anführer, der Gewalttaten geplant haben soll; am Sonntag soll eine Drohne ein sprengstoffgefülltes Auto des IS-K zerstört haben. Solche Angriffe dürften auch nach dem Abzug der Us-luftwaffe weitergehen, werden den IS-K aber allein nicht in Schach halten können: Der Rückzug der internationalen Truppen reduziert den Druck auf den ISK. Die Gruppe könnte deshalb wieder offensiver werden, zumal sie nach Einschätzung von Experten auf Unterstützer in Pakistan zählen kann. Allerdings haben die Extremisten nach den jüngsten Rückschlägen laut Uno nur noch etwa 2000 Kämpfer, dagegen können die Taliban bis zu 100.000 aufbieten.
Trotzdem dürfte sich der Kampf zwischen den verschiedenen dschihadistischen Gruppen in Afghanistan verschärfen. Wenn die Taliban das Land erfolgreicher regieren wollen als in ihrer ersten Herrschaftszeit von 1996 bis 2001, werden sie Kompromisse machen müssen. Anschläge des IS-K könnten das neue Taliban-regime destabilisieren, denn die Miliz hat versprochen, Afghanistan nach Jahrzehnten des Krieges den Frieden zu bringen. Mit dem Anschlag von Kabul hat nun der Krieg zwischen den Extremisten begonnen.