Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein Recht auf Wohnen
Bezahlbare Mieten, Erwerb von Eigentum, zugleich eine attraktive Lage – für viele Bürger ist das in jüngster Zeit unmöglich geworden. Die Grünen wollen das ändern. Wir untersuchen den Vorstoß.
Im Wahljahr wollen die Bürger wissen, woran sie sind. Deshalb suchen wir uns die wichtigsten Aussagen der Parteien heraus und legen sie auf die Goldwaage: Wie realistisch ist das Programm, was bedeutet es für die Menschen? Darüber diskutieren wir mit Machern, Kritikern und Experten. Das Ergebnis können Sie jeden Samstag bei uns im Aufwacher-podcast als Spezialfolge hören und als Zusammenfassung in der Zeitung sowie online nachlesen.
Die These Wie sehr die Corona-pandemie die Welt verändert hat, zeigt sich auch beim Wohnen: Home, sweet Homeoffice. Die Ansprüche an ein wohnliches Zuhause sind gestiegen, seit viele Menschen im Lockdown dort ununterbrochen ihre Zeit verbracht haben. Aber auch der Klimawandel trägt dazu bei, dass sich eine wachsende Zahl von Bürgern die Frage stellt: Wie wollen wir in Zukunft bauen und wohnen? Und wie können wir das bezahlen? Von einst 3,6 Millionen Sozialwohnungen sind heute weniger als 1,2 Millionen übrig. Für die Grünen ist angemessenes Wohnen so wichtig, dass sie das Recht darauf im Grundgesetz verankern wollen.
Der Plan Wohnen als Grundrecht? Was soll das bewirken? Christian Kühn sieht darin in erster Linie eine Möglichkeit, ein größeres politisches Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. 6,5 Millionen Menschen in 4,1 Millionen Haushalten zahlten gegenwärtig mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für Miete, rechnet der wohnungsbaupolitische Sprecher der Grünen-fraktion im Bundestag vor. Damit nicht genug: Die Mietpreisbremse müsse nicht nur entfristet, sondern auch deutlich nachgeschärft werden – statt zehn Prozent Anstieg über dem ortsüblichen Satz nur noch fünf Prozent.
Für möblierte Wohnungen soll es zudem keine Ausnahmen mehr geben, erläutert der 42-Jährige. Außerdem sollen bis 2031 eine Million neue Sozialwohnungen entstehen. Derzeit liege der Fokus noch auf unverhältnismäßig vielen hochpreisigen Häusern und Appartements. Für den Ausbau der Wärmedämmung schlagen die Grünen vor, dass sich Mieter, Vermieter und der Staat die notwendigen Ausgaben zu je einem Drittel teilen – möglichst kostenneutral für die Mieter.
Die Gegenrede Auch Karsten Möring ist Wohnungsbauexperte im Bundestag, allerdings für die Unionsfraktion und deshalb nicht unbedingt auf einer Linie mit Christian Kühn. Ohne Mehrkosten für die Mieter werde die energetische Sanierung kaum einhergehen, glaubt der 71-jährige Cdu-abgeordnete. Beim sozialen Wohnungsbau nennt Möring NRW als Vorbild. Das Land lege den Betrag, den der Bund dafür gebe, noch einmal obendrauf. Wenn die anderen Länder mitzögen, stünde bald mehr preiswerter Wohnraum zur Verfügung. Damit werde sich irgendwann auch das Investitionshemmnis Mietpreisbremse erledigen, argumentiert der Christdemokrat. 1,5 Millionen neue Wohnungen peilt die Union bis 2025 an – luxuriöse aber nicht ausgenommen: „Beim Einfamilienhaus müssen wir bei der Förderung dem großen Wunsch der Bevölkerung nach einer solchen Immobilie nachkommen.“Bei der von den Grünen angestrebten Verdichtung des Wohnraums in den Städten ist Möring skeptisch: Das vertrage sich nur in Grenzen mit der durch den Klimawandel zu erwartenden Aufheizung. cke. Doch die Rp-politikredakteurin gießt sogleich etwas Wasser in den Wein: Es fehlen immer noch bis zu 500.000 Wohnungen – jährlich. Da schrecke die von den Grünen favorisierte Mietpreisbremse dringend benötigte Investoren ab. Dass Mieter darüber hinaus kaum an den Modernisierungskosten beteiligt werden sollen, mache die Sache nicht besser. Die Immobilienbranche befürchte aufgrund der Pläne der Grünen einen Verfall des Bestands. „Bei einem Regierungsbündnis unter schwarz-grüner Beteiligung wird die Sache spannend.“Wie auch immer: Deutschland brauche unbedingt einen Masterplan beim Bauen, der Spekulationen verhindere, Investoren bei Laune halte und Bauvorschriften vereinfache. Ein eigenständiges Bundesbauministerium sei da vielleicht keine schlechte Idee.
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