Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Diplomatische Grenzerfahrung
Außenminister Heiko Maas sondiert, ob Afghanistans Nachbarstaaten Schutzbedürftige aufnehmen.
TASCHKENT/DUSCHANBE Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan – an den Grenzen dieser Länder könnte sich mitentscheiden, ob das Wort der Bundesregierung gilt. Ob Berlin jene Aufnahmezusage einhält, von der sich Zehntausende Menschen in Afghanistan ein vor allem sicheres Leben erhoffen. Gut 10.000 afghanische Ortskräfte und ihre Kernfamilien plus rund 1600 Schutzbedürftige sind beim Auswärtigen Amt dazu aufgelistet. Außenminister Heiko Maas hat die drei Staaten deshalb besucht – an einem einzigen Tag.
Ob diese Reise durch insgesamt fünf Länder in vier Tagen nicht eine Flucht nach vorne sei, ist Maas noch am Vorabend in der Türkei, der ersten Station seiner Afghanistan-vermittlungsmission, gefragt worden. Der deutsche Außenminister hat diesen Teil der Frage zunächst geflissentlich ignoriert. Er spricht lieber über „Phase eins“und „Phase zwei“. Die militärische Evakuierung am Flughafen Kabul sei jetzt abgeschlossen: Phase eins. Nun beginne der nächste Teil der Arbeit, Phase zwei. Dabei gehe es darum, afghanische Ortskräfte und Schutzbedürftige wie Menschenrechtsaktivistinnen oder Frauenrechtlerinnen, über andere Kanäle, auch auf dem Landweg, aus Afghanistan herauszubringen. Die Bundesregierung stehe dazu: Sie wolle ihre „Aufnahmezusagen einhalten“. Also eine Flucht nach vorn? „Wie Sie das bezeichnen, ist Ihre Sache“, gibt Maas dem Fragesteller kühl zurück.
Maas ist spät in der Nacht zu Montag auf seiner Tour durch einige Nachbarstaaten von Afghanistan in Usbekistan angekommen, am Mittag dann weiter nach Tadschikistan gereist und danach in Pakistan gelandet. Er will überall sondieren, wie Menschen in den nächsten Wochen und Monaten Afghanistan auch auf dem Landweg verlassen können. Maas weiß: Er beziehungsweise die Menschen, um die es geht, brauchen dazu Zusagen der Taliban, auf die sie sich auch verlassen können. Und da fängt es an, kompliziert beziehungsweise schwer kalkulierbar zu werden.
Es gibt die politische Führung der Taliban in Doha/katar, die gerne ihren Staat aus Afghanistan machen würde. Und es gibt die vielen Taliban im Feld mit ihren Checkpoints in den afghanischen Provinzen, die als wenig zimperlich gelten, selbst wenn Afghanen auf dem Weg zur Grenze mit Visum oder Passierschein wedeln. Vor allem aber braucht es zur Lösung der afghanischen Tragödie auch Nachbarländer, die an ihren Grenzen keinen Wettbewerb in Bürokratie veranstalten, sondern die Menschen auf ihrer Flucht vor dem Zugriff der Taliban schnell ins Land lassen. Womöglich sollen bereits direkt an der Grenze, etwa nach Usbekistan und Tadschikistan, Diplomaten bei der Ausstellung von Visa zur Seite stehen.
Im usbekischen Taschkent wird es beim Gespräch von Maas mit seinem Amtskollegen Abdulaziz Komilov dann so konkret, dass ein Teil der deutschen Delegation gleich im Land bleibt. Maas und Komilov sind sich einig, dass sie „die Taliban an ihren Taten messen“wollen. Dazu zählt auch: sichere Passage von Ortskräfte, Schutzbedürftigen und deutschen Staatsbürgern, die noch in Afghanistan sind, an die Grenze. Danach sollen sie in die deutsche Botschaft nach Taschkent gebracht und dann nach Deutschland ausgeflogen werden.
Es ist gewissermaßen auch eine diplomatische Grenzerfahrung für den Außenminister, der mit dem Vorwurf leben muss, das Tempo des Vormarsches der Taliban offenbar nicht früh genug erkannt und dann zu zögerlich reagiert zu haben. Maas ist anzumerken, dass die jüngste Kritik nicht spurlos an ihm vorbeigegangen ist. Der Spd-politiker antwortet eher knapp und reserviert. Kein Wort zu viel, vor allem keines zu früh.
In Duschanbe spricht Maas zuerst mit Staatspräsident Emomali Rahmon, dann mit seinem Amtskollegen Sirojiddin Muhriddin, der sich vom deutschen Außenminister Hilfe im Kampf gegen Covid-19 und Unterstützung für mehrere Infrastrukturprojekte erhofft. Im Gegenzug könnte Tadschikistan unkompliziert die Grenze für jene Menschen öffnen, die auf Listen mit den Namen von Schutzbedürftigen stehen.