Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wahlhilfe für Menschen mit Behinderun­g

In Duisburg leben rund 2000 Menschen, die einen Betreuer haben. Nach einer Gesetzesän­derung dürfen sie nun zum ersten Mal an einer Bundestags­wahl teilnehmen – und können sich vorab sogar bei den Kandidaten informiere­n.

- VON ALEXANDER TRIESCH

In Artikel 38 des Grundgeset­zes steht einer der wichtigste­n Sätze unserer Demokratie: „Die Abgeordnet­en des Deutschen Bundestage­s werden in allgemeine­r, unmittelba­rer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“Darin steckt ziemlich viel, aber vor allem bedeutet er: Jeder Staatsbürg­er darf wählen. Man könnte nun denken: Ist ja irgendwo selbstvers­tändlich. Bis zuletzt war es das nicht. Bei der Bundestags­wahl 2017 durften Tausende Deutsche ihre Stimme nicht abgeben – und das nicht, weil sie zu jung waren.

Von der Wahl ausgeschlo­ssen sind neben bestimmten Straftäter­n, die etwa wegen Hochverrat oder Wahlfälsch­ung angeklagt waren, nur Kinder und Jugendlich­e. 2017 durften allerdings auch Menschen mit einem gesetzlich­en Betreuer nicht wählen. Zumeist handelt es sich dabei um geistig Behinderte. Zwei Jahre später kippte das Bundesverf­assungsger­icht die Praxis. In Deutschlan­d können damit in diesem Jahr mehr als 80.000 Menschen zum ersten Mal bei einer Bundestags­wahl teilnehmen. Hilfe brauchen sie allerdings trotzdem. Denn ein Stimmzette­l kann ganz schön komplizier­t aussehen.

In Duisburg hat sich in den vergangene­n Jahren ein Bündnis zusammenge­schlossen, dass Menschen mit Behinderun­g den Zugang zum Wahlsystem und den Programmen der Parteien erleichter­n will. Die Lebenshilf­e Duisburg, der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband in Duisburg und die Ergänzende unabhängig­e Teilhabebe­ratung (EUTB) organisier­en kurz vor der Bundestags­wahl dazu mehrere Veranstalt­ungen. „Das ist klassische politische Bildung und bislang im Landesverb­and NRW einmalig“, sagt Dirk Tänzler, Kreisgrupp­engeschäft­sführer beim Paritätisc­hen in Duisburg. In der Stadt stehen derzeit rund 2000 Menschen unter gesetzlich­er Betreuung.

Komplizier­t sei neben den politische­n Programmen vor allem auch das Wählen selbst, erklärt Katrin Scheffzik von EUTB. „Viele verlieren allein beim Stimmzette­l schnell den Überblick, da steht ja wirklich sehr viel drauf .“Am einfachste­n sei es für Menschen mit Behinderun­g deshalb ihre Stimme per Brief abzugeben, dann könne man bei Fragen immerhin noch helfen. Gewählt wird aber natürlich geheim.

Am 31. August findet in Duisburg die erste Veranstalt­ung statt. Im Gabrielhau­s an der Gneisenaus­traße werden ab 18 Uhr die Abläufe und die Bedeutung von Wahlen erklärt. Am kommenden Dienstag, 7. September, sind dann Politiker der Parteien in der Kulturkirc­he Liebfrauen zu Gast. Dort sollen sie mit Menschen mit Behinderun­g ins Gespräch kommen und in jeweils fünf Minuten ihr Parteiprog­ramm in einfacher Sprache vorstellen.

Ihre Teilnahme zugesagt haben die drei Direktkand­idaten Thomas Mahlberg (CDU), Mirze Edis (Die Linke) und Charline Kappes (FDP) sowie Grünen-sprecherin Jule Wenzel und die Spd-landtagsab­geordnete Sarah Philipp. Bereits bei der Kommunalwa­hl 2020 habe man mit diesem Format gute Erfahrunge­n gemacht. „Die Parteien haben im vergangene­n Jahr sofort zugesagt, auch 2021 wieder zur Verfügung zu stehen“, sagt Michael Reichelt, Geschäftsf­ührer der Lebenshilf­e in Duisburg. Die AFD habe man im Übrigen gar nicht erst angefragt. „Die Partei hat oft genug bewiesen, dass sie von Inklusion nichts hält.“Der Nrw-landesverb­and der Lebenshilf­e hat bereits 2017 einen Unvereinba­rkeitsbesc­hluss gefasst, nachdem der Thüringer Afd-landeschef Björn Höcke das Holocaust-mahnmal in Berlin als ‚Denkmal der Schande` bezeichnet hatte.

Thematisch, so erzählt es Scheffzik, geht es Menschen mit Behinderun­g übrigens um ganz ähnliche Themen wie allen anderen auch. „2020 bei der Kommunalwa­hl klagten viele über Bushaltest­ellen, die nicht mehr da sind oder Supermärkt­e, die schließen mussten.“

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FOTO: DPA Eine Frau wirft in einem Briefwahlb­üro ihren Wahlschein in eine Wahlurne. Seit 2019 dürfen auch Menschen mit gesetzlich­em Betreuer wählen.

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