Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein erfolgreicher Wahlhelfer
HINTERGRUND Mehr als 15 Millionen Wählerinnen und Wähler benutzten bei der jüngsten Bundestagswahl den Wahl- O-mat für ihre Entscheidungsfindung. Wer aber sind die Macher und wie werden die Fragen ausgesucht?
Mit dem Wahl-o-mat ist der Bundeszentrale für politische Bildung ein Bestseller gelungen. Seit 2002 ist er im Internet zu finden – eine Anregung aus den Niederlanden. Und von Wahl zu Wahl wurde er erfolgreicher, zuletzt haben 15,7 Millionen Nutzer den Fragenkatalog heruntergeladen und ausgefüllt. Inzwischen fehlt er bei keiner Bundestags- und Landtagswahl mehr. „Er ist das erfolgreichste Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung“, meint deren Präsident Thomas Krüger. Für den früheren Spd-bundestagsabgeordneten ist der Wahl-o-mat ein wichtiger Beitrag zu einer lebendigen Demokratie, der ständig verbessert und aktualisiert wird.
Was ist der Sinn des Wahl-o-mats? Der Fragenkatalog der Bundeszentrale möchte vor allem informieren, sagen seine Macher. Dazu wählt er gezielt Fragen aus, die von den beteiligten Parteien möglichst unterschiedlich und eindeutig beantwortet werden müssen. Die Fragen ergeben sich aus den Wahlprogrammen der Parteien und sollen gesellschaftlich und politisch relevante Problemstellungen widerspiegeln.
Der Wahl-o-mat möchte die Wahlentscheidung nicht beeinflussen. Und das schafft er durch strikte Neutralität und Bezug auf die Eigendarstellung der Parteien. Allerdings müssen sich die Antworten im Wahlprogramm wiederfinden. Sollte eine Partei schummeln, um bei den Internet-nutzern besser dazustehen, macht das Redaktionsteam die Partei darauf aufmerksam. Gelingt das nicht, übernehmen diesen Job die vielen Nutzerinnen und Nutzer, aber auch die Anhänger der Partei. „Tricks können hier fast ausgeschlossen werden“, meint Pamela Brandt, eine der Redakteurinnen des Wahl-o-mats.
An wen richtet sich der Wahl-o-mat? Der Fragenkatalog ist ein Kind des Internets. Er wendet sich folgerichtig vor allem an ein jüngeres Publikum. Die Fragen werden auch von jungen Menschen erstellt. Die wissenschaftliche Betreuung leistet ein Team der Heinrich-heine-universität in Düsseldorf um den Politikwissenschaftler Stefan Marschall. Inzwischen wird der Wahl-o-mat aber nicht nur von den jungen Wahlberechtigten genutzt, sondern auch von jedem vierten Rentner und jeder vierten Rentnerin. Das Werkzeug der Bundeszentrale ist generationenübergreifend.
Um die Fragen zu beantworten, brauchen die Nutzerinnen und Nutzer im Schnitt zehn Minuten. Damit liegt der deutsche Fragebogen über der Zeit, in der Interessenten in anderen Ländern ihren Bogen ausfüllen. Dort werden im Schnitt nur 20 bis 25 Fragen gestellt.
Was ist neu bei der Ausgabe 2021? Bislang konnten die Wahlberechtigten die Fragen beantworten und die für sie besonders wichtigen Themen stärker gewichten. Jetzt haben die Macher noch eine Tuning-funktion eingebaut. Wenn also das Ergebnis mit den Fragen vorliegt, kann man auf einer neuen Seite die Gewichtung oder auch die Antwort ändern. So lässt sich das Ergebnis in die eine oder andere Richtung ziehen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist der direkte Vergleich der Parteien. Bis zu drei Gruppierungen kann der Interessent aufrufen. Auf einer weiteren Seite bekommt der Nutzer sogar eine kurze Begründung mitgeliefert, warum die Parteien sich so entschieden haben. Das schärft den Blick für Unterschiede und macht mit der Denkweise der unterschiedlichen politischen Lager vertraut. Der Nutzer erspart sich die Lektüre der oft blumigen und wenig aussagekräftigen Wahlprogramme und kann seine Entscheidung schneller treffen.
Wer sich für eine Partei besonders interessiert, kann auch alle Standpunkte zu den Fragen nur dieser Gruppierung abfragen. Das würde sich dann tatsächlich wie ein verkürztes Wahlprogramm lesen.
Warum geht der Wahl-o-mat nicht früher online? Das Team zur Erstellung des Fragenkatalogs besteht aus 35 Personen. Die kümmerten sich seit März um die Wahlprogramme, wobei im Frühjahr zumeist nur erste Konzepte vorlagen. Zugleich muss die Redaktion abwarten, welche Parteien zur Wahl zugelassen sind und ob mögliche Widersprüche vor Gerichten zum Erfolg führen. Dieser Prozess war erst Anfang August abgeschlossen. Die umfangreichen Arbeiten der Redaktion benötigen rund ein halbes Jahr. Es sind vor allem der Zeitaufwand und die späte Veröffentlichung der Parteiprogramme, die die Herausgabe des Wahl-o-mats verzögern. Andererseits ist die Aufmerksamkeit für die Wahl kurz vor dem Datum deutlich höher.
Wie wählt das Team die Fragen aus? Am Anfang stehen die Wahlprogramme der Parteien. Aus ihnen destilliert das Redaktionsteam die relevanten Fragen. Bei den Themen sind diesmal die Umwelt mit sechs Fragen, Wirtschaft und Verkehr mit neun Fragen sowie Recht und Demokratie mit acht Fragen vorherrschend. Die anderen Punkte kommen aus den Bereichen Gesellschaft, Bildung, Gesundheit sowie Außen-, Sicherheits- und Sozialpolitik. Die Macher des Katalogs achten dabei besonders auf die aktuelle Diskussion und ihre Fragestellungen.
Im Großen und Ganzen ist der Bundeszentrale und ihrem Team das gelungen. Darauf deuten auch die Umfrageergebnisse hin, die von der Universität Düsseldorf kommen. Danach überprüfen rund 55 Prozent der Befragten ihre Standpunkte mit Hilfe des Wahl-o-mats. Für fast 62 Prozent werden so die Unterschiede zwischen den Parteien deutlicher. Knapp fünf Prozent geben an, durch den Wahl-o-mat zur Wahl motiviert worden zu sein. Das klingt nach nicht viel – aber über die Hälfte sehen sich durch den Fragenkatalog in der Lage, ihre Entscheidung fundiert zu treffen. Und mehr als 80 Prozent sagen, es habe einfach Spaß gemacht.