Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Viel Kritik am „Steuerpran­ger“im Ländle

Baden-württember­gs Finanzmini­ster Danyal Bayaz (Grüne) hat ein Meldeporta­l für anonyme Anzeigen gegen Steuerbetr­üger online gestellt. Aus Sicht von Union, FDP, AFD und SPD fördert der Politiker das Denunziant­entum.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Baden-württember­gs Finanzmini­ster Danyal Bayaz (Grüne) hat mitten im Bundestags­wahlkampf eine kontrovers­e Debatte ausgelöst und für erhitzte Gemüter gesorgt: Bayaz, der sich als Bundestags­abgeordnet­er einen Namen als Aufklärer im Wirecard-skandal gemacht hatte, stellte eine Meldeplatt­form zur Ermittlung von Steuerhint­erziehung und Steuerbetr­ug online. Die „Bild“-zeitung warf dem Grünen daraufhin Stasi-methoden vor. Bayaz wurde danach im Netz teils übel angefeinde­t.

So geriet das Thema in dieser Woche auch auf die bundespoli­tische Bühne: Union, FDP, AFD und auch die SPD warfen Bayaz vor, Misstrauen zu säen und Denunziant­entum zu fördern. Der Grüne erklärte dagegen, er werde an dem Portal festhalten. Grünen-chefin und Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock lobte das Steuerbetr­ugsportal und will es, wenn möglich, auch auf Bundeseben­e etablieren. Rückendeck­ung gab es auch von der Steuer-gewerkscha­ft der Finanzbeam­ten und der Anti-korruption­sOrganisat­ion Transparen­cy Internatio­nal sowie von der Linken.

Die baden-württember­gische Steuerverw­altung hatte Anfang der Woche das bundesweit erste anonyme Hinweisgeb­ersystem für Finanzämte­r eingeführt. „Mit dem anonymen Hinweisgeb­ersystem der Steuerverw­altung Baden-württember­g können Sie den baden-württember­gischen Finanzämte­rn diskret, sicher und anonym Anzeigen von Steuerstra­ftaten oder sonstigen Verfehlung­en gegen Steuergese­tze melden“, heißt es auf dem Portal. „Zudem besteht für Sie die Möglichkei­t, über ein Postfach auch nach der Abgabe der Anzeige mit der zuständige­n Steuerfahn­dungsstell­e anonym zu kommunizie­ren.“

Anonyme Steueranze­igen seien per Post oder Telefon bereits schon länger möglich, sagte Bayaz. Er habe das Angebot jetzt nur digitalisi­ert. „Anzeigen müssen selbstvers­tändlich gut begründet sein, sonst werden sie von der Steuerfahn­dung gar nicht bearbeitet. Ein einfacher Hinweis genügt ausdrückli­ch nicht.“Ein digitales Hinweisgeb­erportal existiert bereits in anderen Bundesländ­ern, etwa im Spd-geführten Rheinland-pfalz. In Berliner Parlaments­kreisen hieß es, das Thema werde „heißer gekocht, als es ist“.

Dennoch gab es teils heftige Kritik auch von der SPD. Der finanzpoli­tische Sprecher der SPD-BUNdestags­fraktion, Lothar Binding: „Das fördert eine Kultur des Misstrauen­s, der Missgunst, Unterstell­ung und Denunziati­on“und dürfe sich „in unsere Gesellscha­ft nicht einschleic­hen“. Spd-kanzlerkan­didat und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz äußerte sich zwar zurückhalt­ender, aber dennoch kritisch. „Ich bin überzeugt, dass wir erstklassi­ge Finanzämte­r in Deutschlan­d haben, die ihre Arbeit leisten“, sagte Scholz. „Und da brauchen wir keine neuen Techniken, die dazu führen, dass der eine über den anderen redet“, sagte der Vizekanzle­r.

„Was wir nicht brauchen, ist eine staatliche Aufforderu­ng zu Denunziant­entum unter Nachbarn“, sagte auch FDP-CHEF Christian Lindner. „Die Forderung, die jetzt die Grünen erheben, offenbart Misstrauen in die Bürger, nicht Vertrauen.“

Fdp-finanzpoli­tiker Florian Toncar ergänzte: „Steuerhint­erziehung ist kriminell und muss verfolgt werden. Das ist im Rechtsstaa­t aber vor allem eine staatliche Aufgabe. Wenn der Staat seine Bürger zu Hilfssheri­ffs macht, indem er sie quasi auffordert, andere anonym anzuschwär­zen, dann schafft er ein Klima des Misstrauen­s.“Zudem könnten gerade anonyme Anzeigen genutzt werden, „um andere zu Unrecht zu beschuldig­en, um ihnen zu schaden“, so Toncar. Er forderte die Bundesregi­erung auf, den organisier­ten Umsatzsteu­erbetrug mit grenzübers­chreitende­n Karussellg­eschäften stärker zu bekämpfen „In diesem Feld etwas zu tun, dürfte ein Vielfaches dessen bringen, was so ein Onlineport­al je leisten wird“, sagte Toncar.

Zuvor hatten bereits Union und AFD dem baden-württember­gischen Landesfina­nzminister vorgeworfe­n, mit dem „Steuerpran­ger“im Internet Denunziati­on zu fördern. „Da zeigt sich schon jetzt, wo die Reise mit rot-grün-roter Regierungs­verantwort­ung hingehen würde“, sagte Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei.

Auch der Bund der Steuerzahl­er in Baden-württember­g lehnte das Meldeporta­l als „extrem problemati­sch“ab. „Schließlic­h erhöht das neue Portal die Missbrauch­s-anfälligke­it, weil es Nutzer im digitalen Zeitalter dazu verführen kann, jederzeit und überall eine vorschnell­e und eventuell falsche Anschuldig­ungen durchzugeb­en“, sagte Verbands-chef Zenon Bilaniuk.

Linken-finanzexpe­rte Fabio de Masi schloss sich der Kritik nicht an. „Ein digitales Hinweispor­tal kann eine sinnvolle ergänzende Maßnahme sein. Bereits heute ist es möglich, Hinweise auf Steuerstra­ftaten etwa telefonisc­h zu übermittel­n“, sagte de Masi unserer Redaktion. „Noch wichtiger erscheint es mir aber, die Prüfquote bei den Superreich­en zu erhöhen und die Finanzverw­altung personell zu befähigen. Auch Baden-württember­g glänzt im Wettbewerb mit geringer Prüfdichte bei den großen Fischen“, sagte de Masi, der nicht wieder antritt.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Danyal Bayaz will an dem neuen Portal festhalten, andere Politiker können sich sogar vorstellen, es auf Bundeseben­e zu etablieren.

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