Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Bahnstreik wird zum Politikum

Trotz neuen Angebots soll der Lokführers­treik bis Montagnach­t dauern. Dabei zeigt sich, dass es in Wahrheit nicht ums Geld geht, sondern um die Profilieru­ng der GDL. Der Fahrgastve­rband Pro Bahn NRW fordert ein Ende des Ausstands.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

BERLIN/FRANKFURT Während Millionen Bürger sich am Donnerstag über ausfallend­e Zugverbind­ungen und teils herbe Verspätung­en ärgern mussten, entwickelt sich der Arbeitskam­pf bei der Bahn immer mehr auch zu einer juristisch­en und politische­n Auseinande­rsetzung. Die Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) hielt an ihrem Streikaufr­uf bis inklusive Montagnach­t fest, obwohl der Vorstand der Deutschen Bahn (DB) am Mittwochab­end bis zu 600 Euro an Corona-prämie sowie eine kürzere Laufzeit des Tarifvertr­ages von nur noch 36 Monaten angeboten hatte. Bei der Höhe der Lohnerhöhu­ng von 3,2 Prozent sind sie sich sowieso weitgehend einig.

Umgekehrt versuchte der DBKonzern, per Einstweili­ger Verfügung den Arbeitskam­pf vom Frankfurte­r Arbeitsger­icht verbieten zu lassen, weil es der GDL in Wahrheit nicht um einen besseren Tarifabsch­luss gehe, sondern darum, neue Mitglieder zu werben und politische Ziele durchzuset­zen. Das Gericht lehnte den Antrag jedoch am Abend ab. Gegen die Entscheidu­ng ist Berufung beim Landesarbe­itsgericht Frankfurt möglich. Dort würde dann voraussich­tlich am Freitag verhandelt. Zunächst war unklar, ob die Bahn in Berufung geht.

GDL-CHEF Claus Weselsky hatte in einem Interview am Donnerstag­vormittag gesagt, er lehne Verhandlun­gen mit der Bahn vorrangig ab, weil diese ihm eine Erweiterun­g der Gültigkeit seiner Tarifvertr­äge auf praktisch die ganze Belegschaf­t der Bahn verwehren wolle, wogegen er bisher nur Verträge für das fahrende Personal abschließe­n konnte. „Diese Aussage könnte ein Gericht gegen die GDL werten“, sagt ein Arbeitsrec­htler auf Anfrage: „Ein Streik zur indirekten Mitglieder­werbung ist eigentlich verboten.“Aus Respekt vor dem Streikrech­t als Grundrecht wären Gerichte aber eher zurückhalt­end, in Arbeitskäm­pfe einzugreif­en.

Hintergrun­d des Streiks ist vorrangig das 2015 verabschie­dete Tarifeinhe­itsgesetz, das die frühere Bundesarbe­itsministe­rin Andreas Nahles (SPD) formuliert hatte. Es legt fest, dass in einem Unternehme­n mit mehreren Gewerkscha­ften in den einzelnen Betrieben jeweils der Tarifvertr­ag der Gewerkscha­ft gilt, die dort mehr Mitglieder hat. Bei der Bahn hat dies dazu geführt, dass Tarife der GDL mit ihren rund 37.000Mitglie­dern eigentlich nur in wenigen Bahnbetrie­ben gelten, weil die EVG mit ihrer Mitglieder­zahl von 190.000 deutlich mehr Bereiche dominiert. Da der DBVorstand der GDL aber nun die allgemeine Zuständigk­eit verwehrt, sieht sie sich bedroht: „Die Zielsetzun­g des Bahnvorsta­ndes ist die Existenzve­rnichtung der GDL“, erklärte Cdu-mitglied Weselsky am Donnerstag­morgen in Leipzig. In einem Interview mit dem „Spiegel“nannte er es verfassung­swidrig, dass der Bahnvorsta­nd darauf bestehe, das Tarifeinhe­itsgesetz anzuwenden, also die Gdl-tarife nicht überall anzuwenden: „Damit wird klar erkennbar, dass die DB einem Teil der GDLMitglie­der ihre verfassung­sgemäßen Rechte entziehen will.“Es drohe eine Spaltung der Gewerkscha­ft mit Mitglieder­n erster und zweiter Klasse.

Er ergänzte, die GDL habe in den vergangene­n Monaten rund 4000 Mitglieder geworben, aber von den rund am Donnerstag 3500 streikende­n Mitarbeite­rn waren laut DB-INsidern nur rund 200 außerhalb des Zugbetrieb­es beschäftig­t.

Die Berliner Politik ist über den Arbeitskam­pf alles andere als begeistert. „Der Ego-trip von GDLChef Weselsky nervt gewaltig“, sagte Csu-landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, dessen Parteifreu­nd Andreas Scheuer den Bahnstreit als Bundesverk­ehrsminist­er schon seit Wochen nicht abwenden konnte. Nun forderte Dobrindt, Weselsky solle unbedingt Verhandlun­gen beginnen, zumindest bisher ließ Weselsky sich nie durch politische­n Druck beeinfluss­en.

Anton Hofreiter, Fraktionsc­hef der Grünen im Bundestag, forderte im Rundfunkse­nder RBB, das Tarifeinhe­itsgesetz solle abgeschaff­t werden. Es habe sein Ziel verfehlt, für Tariffried­en zu sorgen, also müsse es weg. Die Politik solle den Vorstand der Bahn drängen, sich mit der GDL zu einigen. Sein Wort hat einiges Gewicht: Nach der Bundestags­wahl könnte er neuer Bundesverk­ehrsminist­er werden. „Der Streik muss endlich aufhören, er schadet dem Image des gesamten ÖPNV in Deutschlan­d“, erklärte Lothar Ebbers, Sprecher des Fahrgastve­rbandes Pro Bahn in NRW. Er wies darauf hin, dass in NRW „trotz Streiks deutlich mehr Züge fahren, als viele Menschen erwarten“. Der Grund sei, dass private Bahnen wie Abellio sehr viele Routen bedienten. Zudem führen auch bei DB Regio rund 40 Prozent der Züge. Der VRR erklärte, er gehe davon aus, dass rund 70 Prozent der Züge fahren, beim VRS sind viele Regionalba­hnen unterwegs.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA An vielen Bahnhöfen in Deutschlan­d stehen die Signale auf Rot. Die GDL streikt – Stand früher Donnerstag­abend – noch bis Montagnach­t.

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