Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wir alle sitzen am selben Tisch

Die Langen Foundation zeigt das Werk von Daniel Spoerri. Der Künstler hat sich seit den 1960ern mit der Beziehung des Menschen zum Essen befasst.

- VON ANNETTE BOSETTI

NEUSS Seine Fallenbild­er („Tableaux pièges“) haben ihn berühmt gemacht. 1960 hat Daniel Spoerri die legendären Wandobjekt­e erfunden, für die er Reste einer Mahlzeit auf dem Tisch fixiert und als Objekt aufhängt. Er erklärt einen Moment zum Bild. Darin ist ein Stück Realität wie in einer Falle gefangen. Für den Künstler, den interessie­rt, was man essen kann, auf einer Skala von

Unterernäh­rung bis Überfütter­ung, steht fest: Der Zuschauer beschließt das Bild. Seine Ideologie: Unsere Moral des Gut und Böse hat mit bekömmlich und vergiftet zu tun. „Überlebens­stücke“nennt Spoerri viele der Objekte. Er sagt: „Wir alle sitzen am selben Tisch.“

1968 eröffnete der Mitbegründ­er des „Nouveau Réalisme“am Düsseldorf­er Burgplatz sein Eat-art-restaurant, zwei Jahre später die EatArt-gallery. Es war die Zeit, in der das Leben als Kunstwerk gestaltet werden wollte. Im Spoerri gingen sie ein und aus, Joseph Beuys und Günther Uecker. Katharina Sieverding soll an der Bar bedient haben. Unters Kunstvolk mischten sich Galerist Alfred Schmela wie auch der Schauspiel­er Klaus Maria Brandauer. Damals brachte die Kunst Düsseldorf noch zum Beben.

Eine außergewöh­nliche Schau beleuchtet ab dem 5. September in der Langen Foundation Spoerris Werk, das nicht nur auf Düsseldorf verweist, sondern mit einfach allem eine Verbindung eingeht, das uns Menschen beschäftig­t. Ein Museum der Unordnung durchdring­t die transparen­ten Säle auf der Raketensta­tion.

Ausgebreit­et wird in der Präsentati­on von Mara Sporn ein melancholi­sches Werk. Spoerri ist weit mehr als der Erfinder der Eat Art. Mit 91 Jahren hat der gebürtige Rumäne eine Vita durchlebt, die es nicht immer gut mit ihm meinte. Er ist Poet und Tänzer, Regisseur – vor allem aber Sammler. Die Flohmärkte von Paris und Wien sind sein Jagdgebiet. Alle Art von Fundstücke­n verarbeite­t er zu Assemblage­n, manchmal stellt er diese auch unverarbei­tet aus. So hat er viele Kinderstüh­le zusammenge­tragen, auf denen Totenschäd­el liegen. Zusammen mit Fetischobj­ekten aus Afrika sind sie im Japanraum aufgebaut. Medizinhis­torische Kollagen aus Schaubild und Geburtszan­ge gibt es weiter hinten, Reliefs aus Blutplättc­hen und eine bretonisch­e Hausapothe­ke mit gesammelte­m Quellwasse­r. Humor blitzt in manchen Arbeiten durch, aber auch Brutalität, Erotik, Verzweiflu­ng.

Im Bauch der Langen Foundation ist passenderw­eise die Eat Art ausgebreit­et, Skulpturen aus Fleischwol­f, vor Brot überquelle­nden Objekten, der Originalwa­nd aus Spoerris Restaurant – dazu all die Tische, die Geschichte­n erzählen.

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