Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Unerbittli­ch läuft der Countdown

Nicht das Was, sondern das Wie macht den vierten „Polizeiruf“mit Bessie Eyckhoff zur Perle.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

MÜNCHEN V Ach, wär' sie doch ein Streifenhö­rnchen geblieben. Gemeint ist einerseits Elisabeth Eyckhoff und anderersei­ts natürlich nicht das possierlic­he Nagetier – Informatio­nen über eventuelle frühere Leben der fiktiven ErmittleA rin liegen unserer Redaktion nicht vor. Sehr wohl aber haftet ihr der spöttische Begriff für Angehörige der Schutzpoli­zei an, im ewigen Schatten der Kripo. Als sture Streifenpo­lizistin hatte Eyckhoff ( Verena Altenberge­r) in drei Münchner „Polizeiruf“-fällen Fans wie Kritiker verzückt. Nun aber wurde die patenteste Tv-ermittleri­n aller Zeiten zur Mordkommis­sion versetzt, und das hat drei unschöne Folgen: Die Figur verliert V ihr Alleinstel­lungsmerkm­al, das Publikum seine Chance auf Episoden, die mit den üblichen Mordermitt­lern gar nicht denkbar wären. Und der aktuelle Fall ist buchstäbli­ch doppelt so schwer zu lösen.

Eyckhoff nämlich hätte einen Verdächtig­en, wenn irgend möglich, nie kurz vor Mitternach­t in Gewahrsam genommen, sondern erst um kurz nach. Denn das verlängert die Dauer, in der die Beamten ihn maximal festhalten W dürfen, von 24 auf beinahe 48 Stunden. Bis zum „Ende des Tages nach dem Ergreifen“eben; so steht es nicht irgendwo, sondern in Artikel 104 des Grundgeset­zes.

Aber hätte, hätte, Fahrradstr­eifenkette. Jonas Borutta (stark: Thomas Schubert) wurde um 23.55 Uhr gefasst. Gegen ihn spricht manches Indiz, aber kein Beweis. Als der Film einsetzt, bleiben den Ermittlern noch A zwei Stunden, um dem hochintell­igenten, mutmaßlich­en Frauenmörd­er ein Geständnis abzuringen. In ihrer Verzweiflu­ng holen sie den Veteranen Josef Murnauer (Michael Roll) aus der Quasi-pension, der schon einmal an dem Verdächtig­en gescheiter­t war. Doch dass die Kavallerie alt und männlich ist, trifft Eyckhoff ins Mark. Und nicht nur ihr gehen die Nerven durch...

„Bis Mitternach­t“ist eine KrimiPerle. Nicht wegen des Was, sondern wegen des Wie. Regisseur Dominik Graf ist ein Film gelungen, der mehrfach überzeugt: als Verhör-thriller. Als Annäherung an das Thema krankhafte­r Frauenhass (Achtung, harte Bilder zu Beginn!). Und nicht zuletzt als Skizze des Mikrokosmo­s

Polizei. Strafverfo­lgung mag oft wirken wie eine Maschine, die Papier frisst und noch mehr Papier wieder ausspuckt. Doch am Werk sind Menschen. Mit Emotionen, Grenzen, Schwächen. Und sehr spezifisch­en Stärken. Gemeinsam sind Spurensich­erer und Schreiberl­inge, Labortechn­iker und Linguisten, Ballistike­r und die einfachen „Bullen“im Stellungsk­rieg gegen die schleichen­de Desillusio­nierung. Häufig ebenso überarbeit­et wie unterbezah­lt. Fehlbar und getrieben, zwischen Recht und Gerechtigk­eit aufgeriebe­n. Stehaufmän­nchen, betrieben mit Kaffee, Kippen und werweißwas noch. Angetriebe­n von allen möglichen Motiven, fast immer aber dem Willen, auf der guten Seite zu stehen, das Richtige zu tun. Hüter der Ordnung zu sein, Freund und Helfer.

Dass dieser Film auf einem Kapitel des Buchs „Abgründe: Wenn aus Menschen Mörder werden“basiert, merkt man ihm auf beste Weise an. Die gesammelte­n Erkenntnis­se des hochdekori­erten Münchner Mordermitt­lers Josef Wilfling sind spannender als viele Sonntagskr­imis. Aber nicht als dieser.

„Polizeiruf 110: Bis Mitternach­t“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

 ?? FOTO: HENDRIK HEIDEN/ BR/PROVOBIS ?? Der Verdächtig­e Jonas Borutta (Thomas Schubert) nimmt sich keinen Anwalt und schweigt auch nicht. Elisabeth „Bessie“Eyckhoff (Verena Altenberge­r) kommt ihm nah, doch ihr rennt die Zeit davon.
FOTO: HENDRIK HEIDEN/ BR/PROVOBIS Der Verdächtig­e Jonas Borutta (Thomas Schubert) nimmt sich keinen Anwalt und schweigt auch nicht. Elisabeth „Bessie“Eyckhoff (Verena Altenberge­r) kommt ihm nah, doch ihr rennt die Zeit davon.

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