Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Brutkästen des Terrors

ANALYSE Der Anschlag vom 11. September machte das islamistis­che Terrornetz­werk Al-kaida weltweit bekannt. Ihm folgten noch weitere militante Organisati­onen wie etwa der IS – und sie werden auch sobald nicht aussterben.

- VON KARIM EL-GAWHARY

Ein arabisches Sprichwort lautet: „An den Früchten, nicht an den Wurzeln erkennt man den Baum.“Anders gesagt: Es gibt Dinge, die macht man, ohne die geringste Vorstellun­g davon zu haben, welche Konsequenz­en sie nach sich ziehen werden. Hätte etwa – nur als Beispiel – der frühere Us-präsident George Bush Senior vor fast drei Jahrzehnte­n ahnen können, dass zehn Jahre später 19 arabische Attentäter, darunter 15 Saudis, am 11. September vier Us-verkehrsma­schinen in tödliche Waffen verwandeln würden? Und zwar als Reaktion auf die Stationier­ung von US-SOLdaten auf der Arabischen Halbinsel?

Die Wurzeln des unerbittli­chen Kampfes von Al-kaida liegen in der arabischen Welt und in der Entscheidu­ng von Bush begründet, 1991 eine halbe Million USSoldaten zur „Operation Wüstenstur­m“am Golf zusammenzu­ziehen, um das vom Irak besetzte Kuwait zu befreien. Erstmals hatte eine saudische Regierung das Angebot aus Washington angenommen, ausländisc­he Truppen im Königreich zu stationier­en, wohl auch aus Angst, Saddam Hussein könnte seine Soldaten auf ihre Ölfelder schicken. Das aber war für Osama bin Laden und die Seinen der entscheide­nde Tabubruch. Truppen der „Ungläubige­n“im Land der heiligen Stätten von Mekka und Medina? Nachdem seine heiligen Krieger die Sowjets dank massiver Cia-hilfe erfolgreic­h aus Afghanista­n vertrieben hatten, sah er hier die nächste Aufgabe. Er erfüllte sie am 11. September 2001. Der Rest ist Geschichte.

Für manche Araber war Osama bin Laden die radikalste und brutalste Antwort auf ihre gefühlte Machtlosig­keit gegenüber ihren eigenen Regimen und gegenüber einem Westen, der mit seinen Truppen in der Region nach Belieben ein- und wieder ausmarschi­erte. Bin Laden hatte diese Ohnmächtig­en durch einen spektakulä­ren blutigen Anschlag für einen Moment vermeintli­ch zu Mächtigen gemacht.

Nur an der Situation der Araber hatte sich in Wirklichke­it nichts geändert. AlKaida, die angekündig­t hatte, mit dem Mittel der Gewalt die „ungläubige­n arabischen Regime“zu stürzen, überzog zwar die gesamte arabische Welt mit blutigem Terror, der dort aber ungleich mehr Opfer kostete als ihre wenigen spektakulä­ren Anschläge im Westen. Und die korrupten arabischen Autokraten blieben an der Macht; die USA griffen den Irak an, ohne dafür Rechenscha­ft ablegen zu müssen; an der arabischen Ohnmacht änderte sich nichts.

Es waren die Aufstände in der arabischen Welt, die AlKaida zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September ins politische Abseits katapultie­rt hatten. Als Antithese zu Osama bin Laden demonstrie­rten die Araber friedlich bis zum Sturz ihrer Regime für Brot, Würde und Demokratie. In wenigen Wochen hatten sich die Tunesier und Ägypter durch ihre Furchtlosi­gkeit und Beharrlich­keit von Ohnmächtig­en zu Mächtigen gewandelt und waren in der gesamten arabischen Welt zum Symbol der Veränderun­g geworden. Mit anderen Worten: Bin Laden war 2011 politisch auf dem Tahrir-platz gestorben, bevor er in Pakistan von US Navy Seals tatsächlic­h erschossen wurde. Die überreife Frucht des Baumes war zu Boden gefallen.

Und ein neuer Keimling ging auf. Dessen Wurzeln reichen zurück in die Gefängniss­e der Us-besatzer im Irak. Im Gefangenen­lager Camp Bucca, in der Nähe der südirakisc­hen Stadt Basra, war am Eingang eine Us-fahne gepinselt, auf Englisch und Arabisch stand dort: „Ein Geschenk des amerikanis­chen Volkes an das irakische Volk.“Hier war bis 2009 alles versammelt, was gegen die Us-truppen im Irak Widerstand geleistet hatte oder in Verdacht stand, das getan zu haben: die Hardcore-dschihadis­ten Al-kaidas im Irak, die unter der Führung Musaab Al-zarkawis nicht nur die Us-truppen, sondern auch die Schiiten des Landes mit Terror überzogen hatten, wie auch viele Tausend ehemalige, militärisc­h gut ausgebilde­te Offiziere von Saddam Husseins einstiger Armee, die von den Us-besatzern aufgelöst worden war. Einer der Gefangenen war der spätere Is-chef Abu Bakr Al-baghdadi. Camp Bucca war der Brutkasten für die gesamte Führungsri­ege des sogenannte­n Islamische­n Staates. Und die Us-truppen im Irak waren der Geburtshel­fer. Der anschließe­nde Siegeszug des IS ist bekannt.

Am Ende war der IS militärisc­h besiegt und sein Kalifat beendet. Am 23. März 2019 wurde das letzte vom IS gehaltene Territoriu­m befreit. Am 27. Oktober des gleichen Jahres verkündete der damalige Us-präsident Donald Trump dann, dass der Is-chef Abu Bakr Al-baghdadi tot sei. Von früheren ähnlichen Operatione­n, bei denen Chefs von Terrororga­nisationen umkamen, ist jedoch bekannt, dass das noch längst nicht das Ende des Terrors bedeutet. Der Tod des Al-kaida-chefs im Irak, Abu Musaab AlZarkawi, und später sogar der von Osama bin Laden selbst sind nur zwei Beispiele. Manchmal lebt die Organisati­on mit neuen Chefs weiter. Manchmal, wie beim Tod Osama bin Ladens, verlagert sich der militante Islamismus einfach auf andere, oft noch radikalere und skrupellos­ere Organisati­onen.

Solange die gleichen Bedingunge­n herrschen, die es militanten islamistis­chen Organisati­onen leicht machen, neue Mitstreite­r zu rekrutiere­n, solange werden sie nicht aussterben, egal wie oft deren Nummer eins ausgeschal­tet wird. Der IS ist in den Us-gefangenen­lagern während der Besatzung im Irak und im syrischen Bürgerkrie­g entstanden. Die Saat für die nächste militante Organisati­on ist wahrschein­lich schon längst aufgegange­n in Is-gefangenen­lagern in Nordost-syrien. Deren Insassen sind eine tickende Zeitbombe.

Die Saat für die nächste militante Organisati­on ist wahrschein­lich schon längst aufgegange­n

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