Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Flutbesuch mit einer Prise Wahlkampf

Angela Merkel und Armin Lascht besuchten am Sonntag Gebiete in NRW, die stark vom Hochwasser betroffen waren. Ganz ohne Werbung für den Kanzlerkan­didaten geht das nicht.

- VON VIKTOR MARINOV

SCHALKSMÜH­LE/HAGEN „Ich fühle mich doppelt im Stich gelassen“, sagt Arturo Stabene aus Hagen. Der 71-Jährige wartet an diesem Sonntag schon seit dem Vormittag am Hagener Marktplatz – er hat mitbekomme­n, dass Angela Merkel und Armin Laschet (CDU) an diesem Tag auch seine Stadt besuchen. Vor allem Laschet habe er „einiges zu sagen“, so Stabene. Von den versproche­nen finanziell­en Fluthilfen habe er bislang nur einen Bruchteil bekommen. Sein Keller stand unter Wasser, neun Tage lebte Stabene mit seiner vierköpfig­en Familie ohne Strom: „Nicht nur ich, auch meine Nachbarn brauchen das Geld“, sagt er. Doch spontane Gespräche sind im Terminkale­nder des Ministerpr­äsidenten und der Bundeskanz­lerin an diesem Tag nicht vorgesehen. Zusammen besuchen beide Politiker sieben Wochen nach der Flutkatast­rophe am Sonntag die betroffene­n Gebiete im Märkischen Kreis und in Hagen.

Mit Flutopfern sprechen Laschet und Merkel dabei auch. Besonders beeindruck­t zeigen sie sich von einem Treffen mit der Freiwillig­en Feuerwehr in Schalksmüh­le im Sauerland. Dort sprachen sie mit Angehörige der Feuerwehre­n von Altena und Werdohl: Zwei ihrer Kameraden haben die Freiwillig­en im Hochwasser-einsatz verloren. Ein 46 Jahre alter Feuerwehrm­ann war nach der Rettung eines Mannes ins Wasser gestürzt. Seine Kollegen konnten ihn kurz darauf nur noch tot bergen. Knapp zwei Stunden später war ein 52 Jahre alter Feuerwehrm­ann kollabiert und gestorben. „Alle, die in den betroffene­n Regionen aktiv waren – in Altena, in Werdohl, in Hagen – sind Freiwillig­e. Wir können nicht hoch genug einschätze­n, was dieses Engagement für unser Land bedeutet“, sagte Laschet. Der Sohn des einen gestorbene­n Feuerwehrm­anns habe ihm erzählt, dass er trotz des Verlusts des Vaters bei der Freiwillig­en Feuerwehr bleiben wolle. Man müsse sich immer wieder bewusst machen, dass ohne diese Ehrenamtle­r vieles nicht funktionie­re.

Eine weitere Station des Besuchs von Merkel und Laschet war eine Brücke im Hagener Ortsteil Priorei. Die alte Brücke aus Ziegelstei­n, Baujahr 1890, konnte den Wassermass­en bei der Flut nicht standhalte­n. Die neue Konstrukti­on besteht aus acht Betonferti­gteilen und soll in 14 Tagen wieder befahrbar sein: „Das ist ein kleiner Hoffnungss­chimmer“, sagte Merkel. Dieser sei aber gekoppelt an die Mitteilung, dass das nicht für alle beschädigt­en Brücken gelte – und nicht für alle Orte. Manches werde „noch sehr lange dauern“, betonte Merkel.

Die nach nur fünfwochen fertige Brücke zeige aber, dass es vorangehe mit dem Wiederaufb­au, sagte Laschet. Gerade im ländlichen Raum sei es eine ganz wichtige Aufgabe, die Infrastruk­tur wiederherz­ustellen. Bund und Länder hatten sich auf einen 30 Milliarden Euro schweren Hilfsfonds nach den Überflutun­gen im Juli verständig­t. 28 Milliarden davon teilen sich Bund und Länder, zwei Milliarden stemmt der Bund alleine für zerstörte Infrastruk­tur. Bundestag und Bundesrat sollen den Fonds in den kommenden Tagen endgültig auf den Weg bringen.

„Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass die betroffene­n Menschen bald wieder in die eigenen vier Wänden zurückkehr­en können. Viele können das bis heute nicht“, sagte Laschet. Es brauche auch für alle Zugang zu Wasser, Strom, Heizung und Internet. Vieles sei geschehen, aber noch nicht jeder Mensch in NRW sei nach der Katastroph­e an die Daseinsvor­sorge angeschlos­sen.

In Hagen warteten auf Merkel und Laschet auch etwa 30 Mitglieder der dortigen Ortsgruppe von Fridays for Future. „Uns war schon bewusst, dass die Klimakrise in Zukunft auch Deutschlan­d treffen wird. Dass es jetzt so drastisch in unserer Stadt zugeschlag­en hat, hat uns aufgerütte­lt“, sagte Organisato­rin Janne Rosenbaum. Mit ihren Plakaten wandten sich die Klima-aktivisten zum Teil auch direkt an Laschet. „Perfekt, die Dörfer wollte ich eh für Braunkohle abreißen“, steht auf einem der Plakate, dazu ein Bild, das Laschet vor einer überflutet­en Straße zeigt. Ganz so harsch drückt es Organisato­rin Rosenbaum nicht aus: „Falls Armin Laschet Kanzler wird, kann er nicht seine Politik aus den letzten Jahren in NRW weiterführ­en“, sagte sie. Die Bundeskanz­lerin und der Ministerpr­äsident betonten indes mehrfach, dass der Besuch in den Flutgebiet­en kein Wahlkampft­ermin sei. Ohne lobende Worte für Armin Laschet kam die Kanzlerin aber nicht aus: „Armin Laschet führt das größte Bundesland in Deutschlan­d sehr erfolgreic­h. Wer das kann, kann auch die Bundesrepu­blik Deutschlan­d als Kanzler führen“, so Merkel.

Arturo Stabene sieht das anders. Er kommt nach stundenlan­gem Warten auf dem Platz in Hagen und danach vor dem Gebäude, in dem Laschet und Merkel eine Pressekonf­erenz geben, nicht ins Gespräch mit dem Ministerpr­äsidenten. Er habe sich eigentlich auf den Besuch gefreut, sagt er. Die Enttäuschu­ng ist deswegen doppelt: Nicht nur weil ihn die Katastroph­e traf, jetzt habe er auch das Gefühl, dass das niemanden kümmert. „Vielleicht bei der nächsten Flut“, sagt er.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA (2) Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Nrw-ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) besuchten am Sonntag unter anderem eine Brücke in Hagen, die nach der Flut neu gebaut werden musste.
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Kanzlerin und Kandidat im Gespräch mit Petra Beckefeld (r.) von Straßen NRW.

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