Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein Popstar zu seiner Zeit

Warum Albrecht Dürer bis heute modern ist, erzählt eine Ausstellun­g über den berühmten deutschen Renaissanc­ekünstler im Aachener Suermondt-ludwig-museum.

- VON ANNETTE BOSETTI

AACHEN Es war eine mühevolle Dienstreis­e. 500Wegstun­den war Albrecht Dürer auf Flüssen und Straßen unterwegs, der 49-Jährige begab sich mit Pferdewage­n und Schiff aus seiner Heimatstad­t Nürnberg nach Antwerpen. Begleitet wurde er nur von Ehefrau Agnes und seiner Dienstmagd Susanna. Im Gepäck hatte er Kunst, die er zum Verkauf anbot, auch, um seine Reisespese­n zu begleichen.

Auf dieser langen Reise vor 500 Jahren machte der bis heute vielleicht wichtigste deutsche Künstler zwei Abstecher nach Aachen (1520 und 1521). Diese Zeit zählt zu den produktivs­ten und künstleris­ch beeindruck­endsten Perioden Dürers. Er ist damals, sieben Jahre vor seinem Tod, auf dem Zenit seiner Zeichenkun­st. Kurator Peter van den Brink: „Ob mit Silberstif­t, Feder, Pinsel, Kohle oder Kreide – mit Dürers Zeichnerha­nd kann sich bis heute kaum jemand messen.“

Der Niederländ­er van den Brink hat mit seinem Kuratorent­eam eine wundervoll anregende Ausstellun­g ins Aachener SuermondtL­udwig-museum gezaubert, die nach London weiterwand­ern wird. Trotz Corona gelang es dem Direktor, vorzüglich­e Leihgaben aus aller Welt nach Aachen zu holen. Mehr als 190 Exponate sind ausgestell­t, darunter 90 Meisterwer­ke Dürers im Dialog mit Zeitgenoss­en und Nachfolger­n, die er inspiriert­e, darunter Jan Gossart, Lucas Cranach der Ältere, Hans Holbein der Jüngere und Jan Brueghel der Ältere. Präsentier­t werden Zeichnunge­n, Gemälde, Druckgrafi­ken, Skulpturen und Außenflüge­l eines Altarbilde­s; dazu historisch­e Dokumente wie Briefe und Karten.

Besonders rar und autobiogra­fisch aufschluss­reich sind die Originalbl­ätter der Reisebuch-abschrift von 1550. Aus ihr ergibt sich ein Kosmos, in dem sich uns die fasziniere­nde Welt des Renaissanc­ekünstlers eröffnet. „Dürer war hier“, sagen die Aachener nicht ohne Stolz, er hat das auf Kaiser Karl zurückgehe­nde Rathaus und den Dom gezeichnet, begab sich auf Stippvisit­e ins Jülicher Land, und diese Reise, so sagt es der Titel, „wird zur Legende“.

Um Dürer besser zu verstehen, muss man wissen, dass er zu seiner Zeit schon ein Markenbewu­sstsein entwickelt­e. Sein aus den Buchstaben A und D verwebtes Logo war eine Art Branding. Er wollte bekannt werden; seine Grafiken überschwem­mten zu Lebzeiten den Markt. Albrecht Dürer bezahlte mit Kunst, so van den Brink. Auch eitel soll er gewesen sein – das entnehme man seinen Briefen, in denen er sich etwa irritiert über die Wahrnehmun­g seines Werkes seitens der Venezianer zeigt. Aus heutiger Sicht, so der Kurator, war Albrecht Dürer ein Popstar, der sich zu inszeniere­n wusste und bei Hofe und in angesagten Gesellscha­ften verkehrte. Auch Kleider interessie­rten ihn. Der reisende Dürer glänzte als Designer, entwarf ein Haus für den Leibarzt von Königin Margarete von Österreich, daneben Faschingsm­asken, Schmuck, Degengriff­e, Siegel, Goldschmie­de-wappen und sogar einen Frauenturb­an.

Dürer war der erste moderne Künstler, sagt van den Brink. Er konnte einfach alles gut, war der beste Zeichner, ein exzellente­r Drucker, ein guter Kupferstec­her – „der Beste“. Und Dürer war seiner Zeit voraus. Bis heute, so van den Brink, war er nie weg. Man solle nur einmal genauer die Zeichnung vom Antwerpene­r Hafen betrachten: zwei Linien, die alles beschreibe­n, die Essenz. Die Beherrschu­ng des Raums und der Leere. Überhaupt ist van den Brink das Schauen ins Bild hinein, das Vertiefen und Ergründen, in dieser Ausstellun­g ein Herzensanl­iegen. Die Generation unternimmt – 500 Jahre danach – eine Zeitreise in eine ferne Welt, die es schafft, uns in ihrer Tiefe und Menschlich­keit ganz nah zu kommen.

In Dürers Kunst liegt ein Geheimnis: das Geheimnis des Genies. Blickt man auf Gemälde von ihm und Zeitgenoss­en, die nebeneinan­der hängen, so weiß man doch sofort, welches Dürer malte. Wie kein anderer Meister kann er Charakterz­üge wiedergebe­n, so als schaute er den Menschen in die Seele. Es ist ein empathisch­er Blick, mit dem er als erster Künstler überhaupt eine schwarze Frau zeichnet. „Katharina“heißt die 20-Jährige, die Dürer mit Silberstif­t auf präpariert­em Papier hinreißend porträtier­t. Ohne Pose. Sehr natürlich. „Wie zart er mit ihr umgeht“, schwärmt van den Brink: „Dieses Porträt ist das Allerschön­ste.“

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FOTO: DE SELVA/BRIDGEMAN IMAGES Albrecht Dürer malte „Der hl. Hieronymus im Studierzim­mer“1521. Die Zeit zählte zur produktivs­ten im Leben des Künstlers.
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FOTO: BRITISH MUSEUM „Kopf eines Walrosses“von 1521 zeugt von Dürers Beobachtun­gsgabe und Meistersch­aft in der Zeichenkun­st.

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