Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Als ein Flugzeug auf der A7 notlandete
Vor 50 Jahren kann auch eine fliegerische Glanzleistung des Piloten nicht verhindern, dass 22 Menschen an Bord eines Urlaubsjets sterben. Doch es hätte viel schlimmer kommen können. Die Unglücksursache ist Nachlässigkeit am Boden.
HASLOH (dpa) Wer den Ort heute besucht, traut seinen Augen nicht: Unter der schmalen Autobahnbrücke zwischen Norderstedt und Hasloh rauscht lärmend der Verkehr. Die Notlandung eines Flugzeugs mit 121 Menschen an Bord kurz nach dem Start in Hamburg scheint hier unvorstellbar. Pilot Reinhold Hüls gelingt das Unmögliche am 6. September 1971 auf der damals gerade fertiggestellten Autobahn 7 im Kreis Pinneberg. Dennoch überleben 22 Menschen das Unglück nicht.
Der heute 81 Jahre alte Manfred Maier blickt nun, 50 Jahre später, von der inzwischen erneuerten Brücke, an der das Flugzeug in zwei Teile zerrissen wird, auf das Gelände, das nach der Katastrophe ein Trümmerfeld ist. Der damalige Polizist und Gruppenführer der Freiwilligen Feuerwehr Hasloh erläutert mit sparsamen Gesten das Szenario. Er spricht leise, gegen den Verkehrslärm kommt er kaum an: „Da lag das Cockpit“, sagt er. Maier hat alle Details noch gut im Kopf.
Damals wie heute wohnt er keinen Kilometer von der Unglücksstelle entfernt. Als er den Knall hört und die Rauchsäule des brennenden Flugzeugwracks sieht, zögert er keinen Augenblick. Zusammen mit zwei Nachbarn kommt er als einer der ersten Retter an der Autobahnbrücke an. Mit Mühe sei es ihm gelungen, Pilot und Copilotin ins Freie zu bringen. Sein Nachbar kümmert sich inzwischen um die Toten und Verletzten in der ersten Reihe. „Einer Frau hat er das Bein mit Stacheldraht abgebunden.“Was soll man machen, wenn man nichts hat, um zu helfen? Seinen Autofeuerlöscher legt er angesichts des Kerosinflammeninfernos gleich wieder weg. Aussichtslos.
Was ist passiert? Die zweistrahlige Maschine vom Typ BAC 1-11 der Münchner Fluggesellschaft Paninternational ist mit 121Menschen an Bord voll besetzt auf dem Weg ins spanische Malaga. Bei einem Start mit Volllast ist vorgesehen, die Triebwerke durch Einspritzen von Wasser zu kühlen. Pilot Hüls ordnet an, den Wassertank aus Kanistern zu füllen, die im Frachtraum mitgeführt werden. Was Hüls nicht ahnt: In den Wasserkanistern ist auch Kerosin.
Es kommt, wie es kommen muss: Kurz nach dem Start erschüttern Explosionen beide Triebwerke. In geringer Höhe bleibt der Schub weg. Die
Aufarbeitung durch das Luftfahrtbundesamt und ein Gericht ergibt: Techniker am Boden suchten zuvor Kanister, um Kerosin zwischenzulagern und griffen sich, was sie fanden – fataler Leichtsinn.
Nach dem Triebwerksausfall drückt der damals 32 Jahre alte Pilot die Nase des Jets nach unten, um Tempo zu halten. Ihm bleiben nur wenige Sekunden, um zu entscheiden, wie er vorgeht. Umkehren ist ausgeschlossen, voraus liegt die Autobahn: Verkehr in Richtung Norden, freie Bahn in Fahrtrichtung Süden. Er steuert die Maschine unter einer Hochspannungsleitung durch, setzt hart auf.
Dann passiert, was die Notlandung doch noch zur Katastrophe macht. Das linke Fahrwerk knickt ein, das Flugzeug gerät mit dem
Flügel in die Leitplanken, trifft eine Notrufsäule und dreht sich genau in dem Moment, in dem es mit hoher Geschwindigkeit unter der Brücke durchrutscht. Ein Pfeiler zerfetzt den Rumpf direkt hinter dem Cockpit. 22Menschen verlieren ihr Leben durch diesen Aufprall.
Etwas später, als die Rettungsarbeiten schon in vollem Gange sind, erreicht Dieter Baukloh die Absturzstelle. Er ist Redakteur der Deutschen Presse-agentur. Nichts ist abgesperrt, er geht frei über das Gelände und befragt Helfer. Es gibt ein einziges Telefon beim Bauern neben der Autobahn. „Ich habe ihm 20 Mark gegeben und konnte dafür den ganzen Abend telefonieren,“erinnert sich Baukloh. So erreicht Meldung um Meldung die Redaktion. Wirklich an sich herangelassen habe er die Situation nicht: „Ich habe nur meinen Job im Kopf gehabt.“
Jeder Flugunfall wird detailliert von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung aufgearbeitet. Die damalige Untersuchungskommission des Luftfahrtbundesamts kommt als Schluss zu der Empfehlung, dass Wasserbehälter künftig klar zu kennzeichnen sind. Zudem wurde bei der Aufarbeitung des Unglücks festgestellt, dass sich beim Wartungspersonal in Düsseldorf die Schichten überschnitten, ohne dass die Verantwortlichkeiten klar geregelt gewesen seien. Dies wurde als ein möglicher Grund angesehen, warum die Übersicht über die Wasser- und Kerosinbehälter verlorenging. Ein vergleichbar fataler Fehler ist seither in der internationalen Luftfahrt nicht mehr vorgekommen.