Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Festung im Licht neuester Forschung
Ab dem 23. September ist die Ausstellung „Stadt und Festung Wesel in Mittelalter und Neuzeit“im Niederrheinmuseum und der Brisürenkasematte zu sehen. Zugleich feiert die Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung ihr 40-jähriges Bestehen.
WESEL Wenn Wesels Stadtarchivare in den enorm großen und wertvollen Beständen an die Arbeit gehen, kommt immer wieder erfrischend Neues ans Licht. Martin Roelen und Heiko Suhr freuen sich sehr darauf, dies im Rahmen einer Ausstellung jetzt wieder einmal zeigen zu können. Sie sprechen von einem„ganz neuen Forschungsstand“und davon, dass Geschichte umzuschreiben ist. „Stadt und Festung Wesel in Mittelalter und Neuzeit“heißt die Schau, die ab Donnerstag, 23. September, in der städtischen Brisürenkasematte und dem unmittelbar angrenzenden unteren Bereich des Lvr-niederrheinmuseums zu sehen sein wird. Dann jährt sich zum 40. Mal die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung (DGF) in Wesel. Zur damit verknüpften Ausstellung war 1981 „Die Festung Wesel“von Werner Arand, Volkmar Braun und Josef Vogt als Band 3 der Weseler Museumsschriften erschienen, dessen erstes Kapitel über die Geschehnisse bis 1614 laut Roelen nun durch neue Forschungen überholt ist. So drückt sich der Archivar auch in der aktuellen Publikation aus, die zur neuen Ausstellung erscheint.
Martin Roelen stellt fest, dass der sogenannte Hammelmann-plan, der gewiss in vielen Weseler Haushalten an der Wand hängt, wesentlich älter ist als angenommen. 1588 erschien im Städtebuch von Franz Hogenberg und Gregor Braun die bekannte Ansicht. Aus der Vogelperspektive gibt sie Wesel in größter Ausdehnung mit allen Vorstädten wieder. Jedoch entsprach der gezeigte Zustand wegen der Niederlegung der Vorstädte nicht mehr der Wirklichkeit von 1587. Kupferstecher Hogenberg kannte Wesel, weil er hier am 3. November 1562 mit der Unterschrift unter die Weseler Konfession das Aufenthaltsrecht erhalten hatte. Wie lange er blieb, ist nicht bekannt, 1568 jedenfalls lebte er nicht mehr in der Stadt, muss sie aber, so Roelen, „im selben Jahr besucht haben, da in der Vogelschau eine merkwürdige Ansicht der Umgebung von Flesgentor und Flesgentorbastion zu sehen ist. Die Bastion scheint sich im Bau zu befinden, da nahe der Stadtmauer ein großes Loch im Boden zu sehen ist“.
Jahrzehntelange Forschung des Mittelalter-experten Roelen steckt hinter solchen Erkenntnissen. In Sachen Festungsbau, der bis 1614 eine städtische Leistung war, belegt er sie unter anderem mit Rechnungen, Berichten, Gutachten. Diese Dokumente sind ein Alleinstellungsmerkmal des Weseler Archivs. Exakt ist aufgeführt, wer was wann zu zahlen, zu liefern oder mit eigener Hände Arbeit beizutragen hatte. Jeder wurde herangezogen, gegebenenfalls wurde gepfändet. Kurz: Es war ein Luxus in der Stadt und somit in Sicherheit zu leben.
Wie unsicher die Zeiten waren, belegen die Ausmaße der Anlagen, die permanent erweitert und ausgebaut wurden. Das galt schon für die ursprüngliche Befestigung nach altniederländischer Manier mit zehn Meter hohen Erdwällen und 40 bis 50 Meter breiten Gräben. Auch in der Stadt selbst gab es allerlei Vorkehrungen, sich gegen Eindringlinge zu wappnen. Straßenketten, Schlagbäume und Schildwachen gehörten dazu, ebenso gab es Wachordnungen und natürlich die Anordnung, nachts die Tore geschlossen zu halten.
Bei einem berühmten Ereignis aus Wesels Geschichte scheint nichts davon funktioniert zu haben. Mölderplatz und Rohleerstraße erinnern heute noch an die Namen der Weseler Helden, die Otto van Gent und seinen niederländischen Truppen 1629 die Schwachstelle in der Befestigung Wesels zeigten und nach 15 Jahren Besatzung den Rauswurf der Spanier beförderten. „Wo waren die Spanier? In der Taverne?“fragt Suhr und spricht angesichts besagter Vorkehrungen innerhalb der Mauern provokant von „Schlamperei“. Er mutmaßt, dass die Niederländer von Ansässigen geführt worden sein müssen.
Ortskenntnis ist ein weiteres Thema, das in der Schau behandelt wird. Denn neben Besonderheiten wie bisher unbekannten Karten, die das Stadtarchiv aus Amsterdam, Stockholm, Paris und London als digitale Reproduktion bekommen hat, gehört auch Gegenständliches zu den Exponaten. Darunter ist ein Festungsmodell, also Anschauungsmaterial für diejenigen, die eine Festung knacken wollten. Unter anderem war Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. ein großer Freund der Spionage. Kernthema ist das Ausbaldowern gegnerischer Stellungen zudem vom 24. bis 26. September auf der Tagung der DGF, deren Präsident zurzeit übrigens Historiker Andreas Kupka ist, der Mann von Barbara Rinn-kupka, Leiterin des Heimatmuseums Bislich sowie wissenschaftliche und museumspädagogische Mitarbeiterin des Städtischen Museums Wesel.
Die Publikation zur Schau wird der 42. Band der Reihe Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel sein. In ihm behandelt Martin Roelen die Phase von der Stadterhebung 1241 bis zur Einnahme Wesels durch die Spanier 1614. Heiko Suhr widmet sich dem Festungsbau unter spanischen, niederländischen und französischen Vorzeichen bis 1679, dem Jahr der Übergabe an Brandenburg. Der Weseler Ingenieur Josef Vogt, unter dessen Leitung die Kaserne VIII (Musik- und Kunstschule) und die Baeckerey (Stadtarchiv) einst restauriert wurden, befasst sich mit dem Bau der Zitadelle, Bernd von Blomberg mit der Entfestigung und der Kanalisation. Wiederum Suhr schließlich erläutert das sogenannte Eingehen der Festung als Folge des Versailler Vertrages nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg bis zu dem Datum, an dem die Festung nicht mehr zu existieren hatte.
Gleichwohl haben die zwischenzeitlich riesigen Anlagen maßgeblich zur Stadtgeschichte beigetragen und uns bis heute viel und immer wieder Neues zu erzählen. Dass nachfolgende Generationen von Archivaren und Festungsforschern weitere Erkenntnisse gewinnen, ist zu erwarten und zu erhoffen.