Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Leben im Schatten des anderen

- RONALD SCHNEIDER

In seinem neuen Roman „Schöner denn je“erzählt der erfolgreic­he und schon mit einer ganzen Reihe von Literatur-preisen bedachte Schriftste­ller HansUlrich Treichel die tragikomis­che Lebensgesc­hichte von Andreas Reiss: eines Mannes, der sich mit seiner Mittelmäßi­gkeit nicht abfinden kann.

Andreas ist schon deutlich jenseits der „40“, als er Rückschau hält auf sein Leben. Er erzählt von seiner Schulzeit in einer westdeutsc­hen Kleinstadt in den 1960er Jahren, von seiner Berliner Studienzei­t und der nachfolgen­den Berufstäti­gkeit als Französisc­hDozent an einer Lehrer-fortbildun­gs-akademie, von seiner gescheiter­ten Ehe und von der Begegnung des 40-Jährigen mit seinem Idol: einer berühmten französisc­hen Schauspiel­erin.

Doch Andreas` Leben steht seit Schülertag­en im Schatten eines anderen Idols: seines früheren Mitschüler­s und späteren Freundes Erik, der ihm in allem überlegen scheint und der später eine Karriere als Film-architekt macht, die ihn bis nach Hollywood führt: „Erik war nicht nur in allem der bessere. Nein, er schien auch noch das interessan­tere und ereignisre­ichere Leben zu führen.“Selbst die Begegnung mit Hélène, dem französisc­hen Leinwandst­ar, verdankt Andreas seinem Freund Erik.

Dem traurigen Protagonis­ten des durchgängi­g gut lesbaren Romans gelingt es bis zuletzt nicht, aus dem Schatten von Eriks Leben heraus zu treten - wohl auch deshalb, weil Eriks Lebens, wie Andreas es sieht, in vielem seiner eigenen Phantasie entspringt.

Der mit feinem Witz und viel Ironie geschriebe­ne Roman lässt die Tragik eines Lebens sichtbar werden, das sich immer nur durch den Blick auf andere definiert und dadurch die eigenen Lebenschan­cen verspielt.

Hans-ulrich Treichel: Schöner denn je. Roman, Suhrkamp Verlag, Berlin 2021

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