Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Kindergarten im Regierungsviertel
Die Nerven in Berlin liegen blank – und zwar bei Union wie SPD.
Es tut sich etwas in der Hauptstadt. Es wird viel getuschelt derzeit, im Parlament, in Lokalen, am Rande von Wahlkampfveranstaltungen. Vergessene Telefonnummern werden hervorgekramt, eingeschlafene Gesprächskanäle reaktiviert.
Auch wenn alle Protagonisten es wissen und stetig beteuern, dass Umfragen keine Wahlergebnisse sind: Elektrisiert ist jeder, der in Berlin mit Politik zu tun hat. Euphorie oder Panik – je nachdem, mit wem man spricht. Interessant dabei ist, dass die, die noch regieren, sich zurzeit öffentlich am stärksten anfeinden. Und zwar so, dass man sich fragt, wie diese große Koalition das Land eigentlich noch führen will bis zur nächsten Regierungsbildung – die noch in weiter Ferne liegen kann.
Union und SPD liefern sich in den sozialen Medien derzeit ein Fernduell, welches an einen Zwist in Kindergartengruppen erinnert. So greift etwa Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, in der Corona-pandemie zu einer Berühmtheit gereift, UnionsKanzlerkandidat Armin Laschet an – weil dieser sehr souverän mit einem Störer auf einer Wahlkampfveranstaltung umgeht. Versagt hat im Fall des Querdenkers, der die Bühne stürmte, einzig und allein die Sicherheit. Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, schlägt mit seinem Vergleich der Brandstifter mit Blick auf eine Linksregierung allerdings ebenfalls über die Stränge
Und dann ist da außerdem noch Verteidigungsministerin Annegret
Kramp-karrenbauer (CDU), die per Twitter Finanzminister und SPDKanzlerkandidat Olaf Scholz zum Lesen von Unterlagen zur Bewaffnung von Drohnen auffordert – weil ihr eine Interview-aussage von Scholz missfiel. Dieser wiederum hat der ImpfStrategie mit seiner Versuchskaninchen-aussage auch keinen Gefallen getan.
Bitte alle zurück an den Kabinettstisch. Deutschlands politischer Anstand sollte nicht dem Wahlkampf zum Opfer fallen. Und der gute Ton auch nicht.
Unsere Autorin ist Leiterin des Berliner Parlamentsbüros. Sie wechselt sich hier mit ihrem Stellvertreter Jan Drebes und Elisabeth Niejahr, der Geschäftsführerin der Hertie-stiftung, ab.