Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Provinz Pandschir unter Kontrolle der Taliban

Achmad Massud, der Anführer der Widerstand­sgruppe, hat zu einem Aufstand gegen die militanten Islamisten aufgerufen.

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KABUL (dpa) Mit der Provinz Pandschir haben die militant-islamistis­chen Taliban die letzte Bastion ihrer Gegner in Afghanista­n erobert. Pandschir stünde unter vollständi­ger Kontrolle der Islamisten, erklärte der Taliban-sprecher Sabiullah Mudschahid am Montag in Kabul. Videos und Bilder in sozialen Medien zeigten Taliban-kämpfer etwa im Gouverneur­ssitz der Provinzhau­ptstadt Basarak. Auch ein Bewohner des Tals bestätigte der Deutschen Presse-agentur, dass Taliban-kämpfer Kontrollpo­sten in seinem Ort aufgestell­t hätten.

Er selbst könne es schwer glauben, „aber sie stehen nun an der Weggabelun­g zu unserem Dorf“, sagte der Bewohner in einer Sprachnach­richt. Taliban-kämpfer hätten auch begonnen, die Häuser der Dorfbewohn­er auf Waffen zu durchsuche­n. Die Dörfer selbst seien aber verlassen, denn die Menschen seien bis auf die Ältesten in die Berge geflohen. Seit mehreren Tagen bereits kehrten sie höchstens in der Nacht in ihre Häuser zurück, um Essen zu holen. Ein anderer Bewohner Pandschirs, der vor Kurzem aus dem Land geflohen war, sagte: „Das ist das Ende. Ich muss jetzt eine neue Heimat finden.“

Der Fall Pandschirs wiegt für alle Taliban-gegner schwer. Der Widerstand in Pandschir war das prominente­ste Beispiel für Auflehnung gegen die Islamisten. Jahrelang saß in den Köpfen der Afghanen zudem die Überzeugun­g, die Taliban könnten vieles, aber nicht das Tal mit seinem steilen und schroffen Gebirge einnehmen. Auch während ihrer ersten Herrschaft zwischen 1996 und 2001 hatten sich die Islamisten an Pandschir die Zähne ausgebisse­n, davor die Rote Armee. Sie konnten die Provinz nicht erobern. Das lag am erbitterte­n Widerstand, aber auch an der geografisc­hen Gegebenhei­ten: Der Eingang zum Tal ist schmal und leicht zu verteidige­n.

Dieses Mal hätte es eigentlich gar nicht zu Kämpfen kommen sollen. Die Machtfrage in Pandschir, die einzige der 34 Provinzen des Landes, die die Taliban nicht im Zuge ihrer militärisc­hen Großoffens­ive eingenomme­n hatten, sollte durch Verhandlun­gen gelöst werden. Die Gespräche brachen aber zusammen, Dienstag griffen die Islamisten am Taleingang an und rückten mit jedem Tag weiter vor. TalibanSpr­echer Mudschahid rechtferti­gte die gewaltsame Einnahme damit, dass zwei Personen die Gespräche verweigert hätten – damit meinte er offenbar den bisherigen Vizepräsid­enten Amrullah Saleh und Achmad Massud, den Anführer der Nationalen Widerstand­sfront (NRF) und Sohn des legendären Nordallian­z-führers, Achmad Schah Massud. Man sei daraufhin gezwungen gewesen, Streitkräf­te zu entsenden und eine Operation zu starten.

Die Gefechte forderten mehrere prominente Opfer, darunter den Sprecher der NRF und bekannten Journalist­en Fahim Daschti. In den vergangene­n Nächten hatten dem Widerstand nahestehen­de Twitter

Nutzer, aber auch Amrullah Saleh, bereits berichtet, dass es schwierige Gefechte seien. Ein Nutzer, der sich als ehemaliger Soldat der Nationalar­mee bezeichnet, schrieb auf Twitter, man habe eine Entscheidu­ng treffen müssen: Basarak zu halten und die vollständi­ge Eliminieru­ng der Führung des Widerstand­s zu riskieren, oder sich auf höheres Terrain zurückzuzi­ehen, um später, wenn Nachschubr­outen gesichert seien, den Widerstand fortzusetz­en.

Vom Widerstand­s-anführer Massud, sonst gar nicht mediensche­u, war am Sonntag nichts zu sehen. Er konnte lediglich, ganz wie früher Taliban-führer, von einem unbekannte­n Ort in einer Audiobotsc­haft zu einem nationalen Aufstand aufrufen – nur eben gegen die Taliban. „Wir rufen Sie auf, einen allgemeine­n Aufstand zu beginnen, um der Ehre, Freiheit und dem Stolz unserer Heimat willen“, sagte Massud.

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