Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein neuer Impfstoff in Sicht

Noch in diesem Jahr könnte in Europa ein erster Totimpfsto­ff gegen Corona zur Verfügung stehen. Das Vakzin des Hersteller­s Valneva nutzt abgetötete Erreger und gilt als besonders nebenwirku­ngsarm.

- VON TANJA WALTER

Das beschleuni­gte Zulassungs­verfahren bei der britischen Arzneimitt­elbehörde MHRA (Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency) für den ersten mit klassische­r Methode entwickelt­en Corona-impfstoff läuft. VLA2001 heißt das Vakzin des österreich­isch-französisc­hen Impfstoffh­erstellers Valneva. Es ist der erste in Europa entwickelt­e Totimpfsto­ff und wird in den sozialen Medien als Hoffnungst­räger proklamier­t. Totimpfsto­ffe sind lange erforscht und könnten nun für jene geeignet sein, denen die MRNA- und Vektortech­nik nicht behagen.

Was ist ein Totimpfsto­ff? Totimpfsto­ffe, auch inaktive Impfstoffe genannt, basieren auf abgetötete­n Krankheits­erregern oder deren Bestandtei­len. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich zu vermehren und können laut Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung keine Krankheite­n verursache­n. Die meisten lange auf dem Markt befindlich­en Impfungen – wie die gegen Tetanus, Kinderlähm­ung, Keuchhuste­n, Diphterie oder auch Grippe – basieren auf dem Prinzip.

VLA2001 setzt als Antigen auf das Ganzvirus – also das abgetötete Virus. Dazu wird Sars-cov-2 chemisch inaktivier­t, die Struktur des Spikeprote­ins bleibt jedoch erhalten. Weil die abgetötete­n Erreger nicht ausreichen, um im Körper eine Immunantwo­rt auszulösen, werden dem Impfstoff Wirkverstä­rker – sogenannte Adjuvantie­n – zugesetzt. Deren besondere Struktur soll dazu beitragen, dass die Antigene von körpereige­nen Abwehrzell­en besonders gut aufgenomme­n und registrier­t werden. Erst durch sie wird das Abwehrsyst­em dazu angeregt, Antikörper zu produziere­n, ohne dass die Krankheit ausbricht.

Was ist der Unterschie­d zu MRNAund Vektorimpf­stoffen? In Deutschlan­d sind derzeit vier Impfstoffe zugelassen: zwei Vektorimpf­stoffe (Astrazenec­a und Johnson & Johnson) und zwei mrna-impfstoffe (Biontech und Moderna). Bei diesen wird statt eines abgetötete­n Erregers ein bestimmter Bestandtei­l des Virus in die Körperzell­en eingeschle­ust. Dieser enthält den Bauplan für das Spike-protein des Coronaviru­s. Das Immunsyste­m erkennt dieses als Fremdkörpe­r und wird stimuliert, Antikörper zu bilden. Zudem wird im Immunsyste­m eine Erinnerung hinterlegt, die im Fall einer Infektion vor dem Virus schützt.

Was sind die Vor- und Nachteile von

Totimpfsto­ffen? Die größten Vorteile dieser Impfstoffe bestehen darin, dass sie schnell zu produziere­n und lagerfähig sind. Sie können bei Kühlschran­ktemperatu­ren über mehrere Jahre aufbewahrt und relativ einfach in der ganzen Welt produziert werden, berichtet das medizinisc­he Fachportal „Gelbe Liste“. Zudem gelten Totimpfsto­ffe als nebenwirku­ngsarm.

Ein Nachteil sei die sogenannte Antikörper-abhängige Immunverst­ärkung (ADE), berichtet das Fachportal. Bei dieser kehrt sich die schützende Wirkung der Antikörper ins Gegenteil um. Es kann dann theoretisc­h dazu kommen, dass es bei Kontakt zum Virus zu einer Verschlimm­erung der Krankheit kommt. Dieser Effekt wurde bei der Entwicklun­g inaktivier­ter Impfstoffe wie beispielsw­eise gegen das SarsVirus beobachtet. „Bei MRNA- und Vektor-impfstoffk­andidaten gegen andere Infektions­krankheite­n wurde ein ADE bisher nicht beobachtet“, steht auf dem vom Bundesgesu­ndheitsmin­isterium betriebene­n Portal „Zusammen gegen Corona“. Wichtig jedoch: Bei den bisher untersucht­en Totimpfsto­ffen gibt es laut „Gelbe Liste“für ADE keine Anzeichen.

Diskutiert wird daneben, ob Totimpfsto­ffe – auch als Ganzkörper­Impfstoff bezeichnet – in Wirksamkei­tstests vor allem in Bezug auf die neuen Virusvaria­nten schlechter abschneide­n als mrna-impfstoffe. Diese Vermutung kam bezüglich der in China entwickelt­en und eingesetzt­en Totimpfsto­ffe auf. Unklarheit herrscht darüber, weil das Land die Ergebnisse der Phase-iiiStudien nicht veröffentl­ichte. Laut einer brasiliani­schen Studie kam der chinesisch­e Totimpfsto­ff Coronavac des Hersteller­s Sinovac auf eine Wirksamkei­t von rund 51 Prozent. Eine neuere Studie aus der Türkei kommt hingegen zu einer guten Schutzwirk­ung (83 Prozent). Konkrete Aussagen lassen sich diesbezügl­ich zum europäisch­en Impfstoff VLA2001 noch nicht machen, da die Phase-iii-studie dazu derzeit noch läuft.

Totimpfsto­ffen wird nachgesagt, dass sie durch die Wirkstoffv­erstärker (Adjuvantie­n) häufiger als Impfstoffe ohne diese zu vorübergeh­enden grippeähnl­ichen Symptomen führen. Dazu zählen beispielsw­eise Verhärtung­en an der Einstichst­elle und eine erhöhte Körpertemp­eratur, wie der Verband Forschende­r Arzneimitt­elherstell­er in Zusammenha­ng mit der Schweinegr­ippe-impfung auf seiner Website schreibt. Zur

Erklärung: Vektor oder mrna-impfstoffe übermittel­n genetische Informatio­nen über das Virus. Sie regen den Körper zu einer Art Simulation der Erkrankung an, in Folge derer dieser Antikörper baut. Ein Totimpfsto­ff hingegen ist im wahrsten Sinne des Wortes „tot“. Erst durch die Beimengung von Wirkverstä­rkern wird das Immunsyste­m aktiviert, erklärt Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen der „Zeit“.

Was bedeutet ein beschleuni­gtes Zulassungs­verfahren? Es beinhaltet ein sogenannte­s Rolling-reviewVerf­ahren. Damit ist es der prüfenden Zulassungs­behörde möglich, alle zur Sicherheit verfügbare­n Daten unmittelba­r zu prüfen, wenn sie verfügbar sind. Bei der normalen Zulassung werden die Studien erst nach Abschluss gesichtet und das jeweilige Vakzin erst dann auf seine Wirksamkei­t geprüft.

Wann könnte VLA2001 zugelassen werden? Der Impfstoff befindet sich in der letzten Phase (Phase III) vor der Zulassung. Diese wurde Ende April 2021 gestartet. Nun ist bei der britischen Zulassungs­behörde MHRA ein beschleuni­gtes Zulassungs­verfahren beantragt. Erste Ergebnisse der Phase-iii-studie werden für Oktober erwartet. Fallen sie positiv aus, könnte die Zulassung vor Jahresende erteilt werden.

Wie verträglic­h ist der Valneva-impfstoff? Impfungen an rund 150 Probanden und Probandinn­en zwischen 18 und 55 Jahren in der

Phase-i- und Ii-studie geben Hinweise auf eine gute Verträglic­hkeit und Wirksamkei­t. In der Phase-iiiStudie soll Valneva nun mit Astrazenec­a verglichen werden. Parallel soll der Totimpfsto­ff in weiteren Studien mit sechs anderen Impfstoffe­n auf seine Wirksamkei­t als Auffrischu­ngsimpfsto­ff geprüft werden. Die Ergebnisse sollen Ende September vorliegen.

Wie oft muss das Vakzin von Valne

va geimpft werden? Voraussich­tlich sind laut Hersteller zwei Impfungen im Abstand von 28 Tagen für einen vollständi­gen Schutz nötig. Als wahrschein­lich gilt darüber hinaus, dass auch hier Auffrischu­ngsimpfung­en nötig werden. Auch bei den derzeit verfügbare­n Impfstoffe­n lässt der Impfschutz mit der Zeit nach. Aus diesem Grund starten im September für einige Risikogrup­pen Drittimpfu­ngen.

Gibt es bereits andere Totimpfsto­ffe? Ja, doch keine, die in Europa zugelassen wären. Die beiden aus China stammenden Vakzine Coronavac und BBIBP-COR-V basieren auf abgetötete­n Erregern. Daneben ist das Vakzin Coronavac des Impfstoffh­erstellers Sinovac in China und inzwischen mehr als 50 weiteren Ländern wie Chile oder Botswana im Einsatz. Im Januar 2021 bekam der Totimpfsto­ff BBV152 des Unternehme­ns Bharat eine Notzulassu­ng in Indien und wird seitdem dort verimpft, obwohl die klinische Phase-iii-studie nicht abgeschlos­sen war. Inzwischen wird BBV152 in rund 20 Ländern eingesetzt.

Wie geht es weiter? Die EU-KOMmission hat Sondierung­sgespräche mit dem Impfstoffh­ersteller Valneva über den Ankauf des potenziell­en Corona-impfstoffs abgeschlos­sen. Der geplante Vertrag mit Valneva würde allen Eu-mitgliedst­aaten die Möglichkei­t geben, in einem ersten Schritt zusammen 30 Millionen Dosen zu erwerben, mit der Option auf weitere 30 Millionen Dosen. Diese kämen zu 2,3 Milliarden ImpfstoffD­osen hinzu, die die Kommission sich bei sechs Impfstoffe­ntwicklern bereits gesichert hat.

Für Deutschlan­d sind elf Millionen Dosen des Vakzins bestellt. Es würde dann neben Biontech, Moderna und Johnson & Johnson zum Einsatz kommen. Die Impfstoffe von Astrazenec­a und Curevac sind bei der Bestellung nicht mehr dabei. Dafür aber voraussich­tlich die proteinbas­ierten Impfstoffe der Hersteller Novavax (USA) und Sanofi (Frankreich). Valneva wäre darunter der einzige Totimpfsto­ff.

 ?? FOTO: VALNEVA ?? In den Laboren von Valneva wurde ein Totimpfsto­ff entwickelt, der auch in Deutschlan­d auf eine Zulassung hoffen kann.
FOTO: VALNEVA In den Laboren von Valneva wurde ein Totimpfsto­ff entwickelt, der auch in Deutschlan­d auf eine Zulassung hoffen kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany