Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein Ende mit Knall
Auf den kleinen und großen Bühnen Europas ist die Weseler Band Meine Zeit erwachsen geworden. Ihr Konzert bei Eselrock war nun das letzte – nach acht Jahren. Ein Rückblick.
Anspannung herrscht hinter der Bühne. Daniel Gilberg (Gesang), Tilo Hellmann (Schlagzeug), Sebastian Kuck (Piano) und Moritz Hippich (Bass) sind konzentriert. Ein paar Minuten bis zum Konzert – zum letzten nach über 100. Das übliche Ritual, bevor sie sich auf den Weg machen. Sie haben viel darüber nachgedacht, wie es sein wird. Sie sind diesen Schritt bewusst gegangen. Sie machen alles wie immer. Aber der Abend ist anders, auch wenn die vier nicht von ihren Gefühlen überrascht werden. Jeder Song, den sie heute spielen, spielen sie zum letzten Mal. Und das wissen sie, denn der Gedanke begleitet sie die gesamte Stunde auf der Bühne. Ein Abschiedskonzert.
„Jeder einzelne von uns hat sich verändert. Nicht zuletzt auch der Musikgeschmack. Keiner von uns ist der gleiche wie 2013“, erklärt Sänger Daniel Gilberg. „Irgendwann hatten wir dann als Band auf verschiedenen Ebenen das Gefühl, zwischen zwei Kapiteln zu stehen.“Der Entschluss zur Auflösung ist am 1. Juni gefallen. „Die Frage stellt sich einfach: Ergibt das alles noch so Sinn? Hinter der Band stecken viel Arbeit und tausende Aufgaben. Man eifert immer dem nächsten Erfolg nach, wodurch einiges auf der Strecke bleibt. So hat man immer eine Baustelle mehr im Leben. Viele Musikerinnen und Musiker wählen dann einen stillen Abgang, bei dem die Fans jahrelang nichts mehr von der Band hören, ohne zu wissen, was eigentlich Sache ist. Das wollten wir nicht“, betont Gilberg. Auf die Frage, wie man das Kapitel richtig abschließt, haben die Musiker eine klare Antwort: „Anstatt heimlich zu verschwinden wollen wir mit einem lauten Knall gehen.“
Der laute Knall ist ihr Abschiedswochenende rund um den 20 August: Erst das erste und letzte Album „Zwischen den Kapiteln“am Freitag, dann am Samstag der Auftritt bei Eselrock – live übertragen auf Youtube – und sonntags schließlich ein letztes Musikvideo zu „Gut so wie es war“. Der Clip ist anders als sonst. Man sieht die Jungs in schwarzweiß in ihrem Proberaum, bei ihren Konzerten oder auch bei einer Wasserschlacht im Garten. Persönliche Aufnahmen aus den acht Jahren Bandgeschichte, die erinnern sollen.
So erzählen sie in Bildern die Geschichte einer Band, die ihren Anfang in der Musikschule gefunden hat. Zunächst drei Jugendliche, der Jüngste 15 Jahre alt, damals noch mit einem Mädchen als Sängerin. Die Musik entwickelt sich, Band und Mitglieder werden erwachsen, selbstständig, selbstbewusst. Ihre erste EP „Meine Zeit“aus dem
Jahr 2015 wurde heute über 750.000 mal im Netz gehört. Zwei Jahre später drehen sie für ihre zweite EP in Brighton, Amsterdam und Hamburg und helfen nebenbei auf dem Eselrock, „weil wir uns mit dem Festival verbunden fühlen“, sagt Hellmann. Ihre musikalische Inspiration ziehen sie zu dieser Zeit aus Juli und The Fray, wenn es auch in ihren Augen keine schlechte Musik, sondern nur schlecht gemachte gibt.
Für Meine Zeit geht es aber immer weiter nach oben, bis sich die Jungs 2018 über den Sänger der Killerpilze mit „Landungsbrücken“im Mcdonalds-tv betrachten dürfen. „Ein tolles Gefühl“, berichten die Musiker daraufhin, aber nichts gehe über ein Live-konzert, bei dem man die Begeisterung der Fans hautnah spüren könne. Das musikalische Jahr endet für sie im Haus Karo – dann ist die Luft raus. Zwei Jahre bleibt es still um die Weseler Band. „Ein langer Prozess“, wie die vier im Sommer 2020 erklären. Meine Zeit ist fortan anders. Aus Balladen und Indierock wird Deutschpop. Am 7. August des vergangenen Jahres bringt Meine
Zeit ihre Lawine ins Rollen. Ihr folgen Singles, ihre besten Songs überhaupt – so beteuert die Band – und ein sommerliches Konzert vor dem Sonnenuntergang des Bocholter Aasees.
Ein klares Highlight gibt es in den Augen der Jungs in all den Jahren nicht. Sie denken genauso gerne an die großen Auftritte als Vorband von Andreas Bourani, Lena MeyerLandrut oder Jupiter Jones wie an skurrile Erlebnisse zurück. Hunderte Geschichten, darunter auch ein Konzert in einem Waschsalon in Frankfurt ohne richtiges Publikum und auf Paletten. „Am meisten werde ich die Jungs vermissen. Musik ist jetzt nicht mehr der Grund, sich jeden Dienstagabend im Proberaum zu treffen“, meint Gilberg, der aber zuversichtlich ist, dass sich die vier weiterhin sehen werden. „Wir gehen jetzt anderen Interessen nach oder liegen einfach mal auf der Couch, lassen alles sacken.“Damit stehe das komische Gefühl erst an, unter anderem, wenn das Equipment in Obrighoven noch auseinander sortiert werde. Trotzdem sind die vier erleichtert und glücklich, wie sie ihre gemeinsame Musikgeschichte für sich selbst und die Fans beendet haben.
„Man merkt erst zum Schluss richtig, wie viele Fans man eigentlich hat“, erklärt Gilberg. Das letzte Konzert der vier Weseler hat auch die sonst stillen Hörer singend, tanzend, weinend und mit eigenen Postern auf das Festivalgelände gelockt. Sie freuen sich, dass der Abschied bei Eselrock, „ihrem persönlichen Hometown-festival“, stattfinden konnte. Da wo jeder die vier kennt, wo jeder sie im Publikum unterstützt, der die Weseler Band über die letzten Jahre begleitet hat. Die Situation ist besonders, so beschreibt sie auch die Band: „Wenn wir an diesem Tag einen Fehler machen, dann kommt keine Chance mehr, es beim nächsten Konzert wieder richtig zu rücken.“Fünf bis sechs Wochen hat Meine Zeit deshalb intensiv geprobt, bis sie am besagten Samstagnachmittag auf „Darf ich“die Bühne betreten. Eine Ansage gibt es nicht, dafür Musik vom neuen Album genauso wie aus alten Zeiten.
Als letzten Song spielen sie „Die Guten gewinnen“, „einfach weil er die beste Message hat“, so die Band. Die letzten Töne, dann spricht der Frontmann in das Mikro: „Ein achtjähriges Kapitel geht zu Ende. Wir waren Meine Zeit, bitte vergesst uns nicht.“Im Hintergrund klingt dazu passend „Die schönste Zeit“von Bosse. Diesen Moment haben sich die vier aufgehoben. Während sie Arm in Arm die letzten Sekunden auf der Bühne genießen, deutet Schlagzeuger Tilo Hellmann auf seinen Arm. Es ist für sie ein Gänsehautmoment.