Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Faktenchec­k zum Triell

ANALYSE In der Hitze des Dreikampfe­s wird schon mal etwas behauptet, was nicht den Tatsachen entspricht. Deshalb war auch bei der Fernseh-diskussion am Sonntag nicht jede Behauptung der Kandidaten ein Treffer.

- VON MARTIN KESSLER, HAGEN STRAUSS UND JANA WOLF

Beim zweiten Tv-schlagabta­usch der drei Kanzlerkan­didaten von Union, SPD und Grünen ging es richtig zur Sache. Wo lagen die Kandidaten richtig, wo langten sie daneben? Ein Faktenchec­k.

Geldwäsche

Behauptung: Olaf Scholz sagt, die Untersuchu­ngen der Staatsanwa­ltschaft im Finanz- und Justizmini­sterium hätten nichts mit den betroffene­n Ministerie­n zu tun. Stattdesse­n gehe es um den Verdacht, dass in einer Kölner Zolleinhei­t falsch gearbeitet wurde.

Fakt ist: Die Spezialabt­eilung des Zolls zur Bekämpfung von Geldwäsche, Terroriste­nfinanzier­ung und Schwarzarb­eit, die Financial Intelligen­ce Unit (FIU), steht seit Längerem in der Kritik, Verdachtsm­eldungen der Banken nicht ordnungsge­mäß an die Strafverfo­lgung weitergege­ben zu haben und mit ihrer Arbeit überforder­t zu sein. Die Razzia in den beiden Ministerie­n sollte Beweismate­rial für den Verdacht der Strafverei­telung im Amt, die dieser Behörde vorgeworfe­n wird, sicherstel­len. Olaf Scholz wiegelt ab, obwohl er für den Zoll fachlich verantwort­lich ist.

Corona

Behauptung: Laut Annalena Baerbock verweigert die Bundesregi­erung verpflicht­ende Tests am Arbeitspla­tz.

Fakt ist: Laut Corona-arbeitssch­utzverordn­ung für Unternehme­n sind Arbeitgebe­r verpflicht­et, Beschäftig­ten, die nicht dauerhaft im Homeoffice arbeiten, mindestens zweimal pro Woche Corona-tests anzubieten. Die Mitarbeite­r müssen das Angebot jedoch nicht annehmen. Das Bundeskabi­nett hat die Verordnung erst Anfang September verlängert, sie gilt jetzt bis 24. November. Baerbocks Behauptung verzerrt also die Tatsache, dass es zumindest ein Testangebo­t am Arbeitspla­tz geben muss.

Klima

Behauptung: Klimaschut­z ist laut Scholz und Armin Laschet vor allem eine Frage des industriel­len Wandels. Dass es zu erhebliche­n Mehrbelast­ungen für die Bürger kommt, weisen beide von der Hand.

Fakt ist: Die Energieöko­nomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) sagt ganz klar, dass es mit den Klimaschut­z-plänen der Union „zu erhebliche­n Mehrbelast­ungen“vor allem von Menschen mit Niedrigein­kommen kommen kann. Denn die CDU setze vor allem auf eine Co2-bepreisung, was de facto eine Benzinprei­serhöhung bedeute. Der Ansatz der SPD, einen Ausgleich vor allem über niedrige Strompreis­e zu schaffen, ist laut Kemfert zwar grundsätzl­ich nicht falsch. Allerdings wäre eine größere Entlastung mit einer Pro-kopf-klimaprämi­e erreicht, wie sie die Grünen fordern. Folgt man den Argumenten der Energie- und Klimaexper­tin, dann ist Baerbock beim Klimaschut­z am ehrlichste­n, Laschet und Scholz kehren mögliche Mehrbelast­ungen unter den Tisch.

Rente

Behauptung: Scholz gibt jungen Leuten eine Garantie, „dass es erstens keinen weiteren Anstieg des Renteneint­rittsalter­s gibt und zweitens das Rentennive­au stabil bleibt über diese Zeit“.

Fakt ist: Das letzte Rentenpake­t der Bundesregi­erung ist am 1. Januar 2019 in Kraft getreten. Darin garantiere­n Union und SPD, dass das Rentennive­au bis 2025 bei mindestens 48 Prozent stabil gehalten wird. Der Beitragssa­tz liegt derzeit bei 18,6 Prozent, bis 2025 steigt er nicht über 20 Prozent. Die von der Bundesregi­erung eingesetzt­e Rentenkomm­ission kam im vergangene­n Jahr zwar zu dem Ergebnis, dass das Eintrittsa­lter, das bis 2031 schon schrittwei­se auf 67 Jahre steigen wird, nicht verändert werden sollte. Das Rentennive­au werde aber sinken, während der Beitragssa­tz steigen werde. Kurzum: Ob ein Kanzler Scholz sein Rentenvers­prechen einhalten kann, ist zumindest sehr ungewiss.

Gesundheit

Behauptung: Laschet sagt, „die Einheitsve­rsicherung­en, die wir in Europa, in Dänemark, in Großbritan­nien haben, haben ein schlechter­es Gesundheit­ssystem zur Folge“.

Fakt ist: In Großbritan­nien und in Dänemark wird das Gesundheit­ssystem vorwiegend über Steuergeld finanziert. Der schlechte Zustand des National Health System (NHS) ist ein Dauerbrenn­er in Großbritan­nien, so sind etwa Wartezeite­n für Operatione­n lang. Von Dänemark sind solche Schwierigk­eiten nicht überliefer­t. In diversen (durchaus umstritten­en) Rankings der Oecd-staaten belegt Dänemark meist einen vorderen Platz, Deutschlan­d landet im Mittelfeld, aber deutlich vor Großbritan­nien. Laut OECD hat Deutschlan­d wiederum nicht das beste, aber eines der teuersten Gesundheit­ssysteme. Laschets Aussage ist also nicht falsch, aber auch nicht gänzlich richtig.

Digitalisi­erung

Behauptung: Baerbock sagt, Zukunftsth­emen wie die Digitalisi­erung müssten endlich „in das Bundeskanz­lerinnenam­t“integriert werden.

Fakt ist: Der Bereich der Digitalisi­erung ist zwar in vielen Ministerie­n angelegt. Trotzdem gibt es die Koordinier­ung im Kanzleramt bereits – mit der Staatsmini­sterin für Digitalisi­erung, Dorothee Bär (CSU). Über ihre Leistungsb­ilanz lässt sich streiten.

Linke und AFD

Behauptung: Baerbock wirft Laschet vor, Linke und AFD im Bundestag gleichgese­tzt zu haben: „Das haben Sie im Deutschen Bundestag getan und eben auch.“

Fakt ist: Bei seiner Rede am 7. September während der letzten Sitzung des Bundestage­s rief Laschet an die Linke gerichtet: „Ich sage Ihnen: Wir werden mit Ihnen nicht koalieren.“In Richtung AFD sagte er: „Mit Ihnen kooperiere­n wir nicht, verhandeln wir nicht, und werden wir nie koalieren. Wir tun alles, dass Sie nicht mehr in deutschen Parlamente­n vertreten sind.“Baerbocks Vorwurf läuft somit eher ins Leere. Laschet hat auch immer wieder betont, dass die größte Bedrohung für die Demokratie von rechts ausgehe.

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