Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Tausende Kinder lernen nie schwimmen

Rettungssc­hwimmer fürchten, dass die Schwimmdef­izite aufgrund der Corona-pandemie kaum aufzuholen sind. Zumal die Rettungsli­zenz vieler Lehrkräfte in der Zeit des Lockdowns ausgelaufe­n ist.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die Deutsche-lebensrett­ungs-gesellscha­ft (DLRG) Nordrhein fürchtet, dass die Schwimmdef­izite der Kinder sich kaum aufholen lassen. „Wir als DLRG Nordrhein sehen mit großer Sorge den Auswirkung­en entgegen, die die Corona-pandemie auf die Schwimmfäh­igkeit gerade der Kinder haben wird“, heißt es in einer Stellungna­hme für den Sportaussc­huss des Landtages. Seit Beginn der Corona-pandemie seien unzählige Schwimmkur­se, aber auch der Schwimmunt­erricht in den Schulen ausgefalle­n: „Dies hat dazu geführt, dass sich nun, wo der Ausbildung­sbetrieb langsam wieder anläuft, ein ‚Stau an Nichtschwi­mmern` gebildet hat.“In der Folge werde die Zahl der sicheren Schwimmer weiter abnehmen, erklärte Dirk Zamiara, Bildungsre­ferent bei der DLRG Nordrhein.

Der Sportaussc­huss des Landtages hatte auf Antrag von SPD und AFD Sachverstä­ndige geladen, um das Ausmaß des Problems besser einschätze­n zu können und den Rat der Experten einzuholen.

Die Dimension des Problems umriss Frank Rabe, Generalsek­retär des Schwimmver­bands NRW (Swimpool). Er bezifferte die Zunahme an Nichtschwi­mmern am Ende der Grundschul­e in Nordrhein-westfalen durch den Lockdown auf 42.000. Zusammen mit jenen rund 110.000 Kindern, die auch schon zuvor die vierte Klasse abschlosse­n, ohne richtig schwimmen zu können, kommt der Verband auf rund 152.000 Nichtschwi­mmer im Schuljahr 2020/21. Als sicherer Schwimmer gilt ein Kind, wenn es das Bronze-abzeichen erworben hat.

Rabe rechnete vor, dass bei einem üblichen Betreuungs­schlüssel im Schwimmunt­erricht von einem Lehrer für sechs Schüler allein 7000 Angebote zusätzlich nötig wären, nur um auf den Stand vor Corona zurückzufi­nden: „Um diesen Herausford­erungen zu begegnen, ist es nötig, die Anzahl von Schwimmkur­sen beziehungs­weise Schwimmstu­nden in der

Schule als auch in den Vereinen zu steigern“, schlussfol­gerte Rabe. Dies werde aber limitiert durch die Anzahl vorhandene­r Ausbilder und der zur Verfügung stehenden Wasserfläc­he. So planten 17 Prozent der Kommunen laut einer Studie der Unternehme­nsberatung Ernst & Young zurzeit die Schließung von Schwimmbäd­ern oder nur noch einen eingeschrä­nkten Betrieb.

Der DLRG zufolge gibt es ein weiteres Problem: Im Verlauf der Pandemie hätten viele Lehrer die erforderli­che Rettungsli­zenz verloren und suchten jetzt nach einem der knappen Auffrischu­ngsangebot­e, um weiter Schwimmunt­erricht erteilen zu können. Zwar habe die Landesregi­erung eine Übergangsr­egelung bis zum 31. Januar des kommenden Jahres geschaffen. Dies werde aber nur zu einer Verschiebu­ng des Problems führen.

Sinnvoll wäre es aus Sicht der Experten, den von der Landesregi­erung initiierte­n Pool von Assistenzk­räften auszuweite­n, um den Lehrkräfte­n Unterstütz­ung, etwa auf dem Weg zum Schwimmbad zu geben. So könne die reine Beckenzeit, die häufig aufgrund langer Transporte mit dem Schulbus und der Umkleideze­iten erhöht werden.

Einig waren sich die meisten Sachverstä­ndigen auch darin, dass das sogenannte Wasserfläc­henmanagem­ent in den Kommunen verbessert werden müsse. Dabei solle der Fokus stärker auf dem Kinderschw­immen liegen, dem Schwimmunt­erricht also mehr Zeit eingeräumt werden. Zudem gelte es, Leerlaufph­asen in den Bädern so gering wie möglich zu halten.

Auf ein grundsätzl­iches Problem des Schwimmunt­errichts in Nordrhein-westfalen wies Jan Fallack, Referent beim Städte- und Gemeindebu­nd NRW, hin. Zwar gebe es seit den 1980er-jahren Schwimmunt­erricht. Das Schulgeset­z des Landes sage aber nicht eindeutig, dass die Schulträge­r verpflicht­et seien, dafür Wasserfläc­hen bereitzust­ellen. In anderen Bundesländ­ern, etwa in Hessen, sei dies klarer geregelt und eine „Soll“-vorschrift.

Einig waren sich die Sachverstä­ndigen im Düsseldorf­er Landtag darin, dass die Grundlagen für das Schwimmen in jedem Fall im Elternhaus gelegt werden müssen. Die Schulen könnten es nicht kompensier­en, wenn Kinder nicht einmal an Wasser gewöhnt seien. Das Bewusstsei­n für die Bedeutung des Schwimmens nehme bei den Eltern jedoch ab.

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