Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wdr-moderatori­n darf nicht starten

ANALYSE Die Journalist­in Nemi El-hassan hat vor sieben Jahren an einer israelfein­dlichen Demo teilgenomm­en. Davon hat sie sich distanzier­t, aber erst, nachdem Medien berichtet hatten. Nun legt der WDR die Zusammenar­beit auf Eis.

- VON DOROTHEE KRINGS

Eigentlich hätte die Ärztin und Journalist­in Nemi El-hassan im November erstmals das Wdr-wissenscha­ftsmagazin „Quarks“moderieren sollen. Die junge Frau ist in vielen Medien-kanälen unterwegs, ist etwa Autorin für das ZDFMagazin Frontal 21 und war Mitbegründ­erin des Youtube-formats Datteltäte­r, das sich satirisch mit Vorurteile­n gegenüber Muslimen beschäftig­t. Als neues Gesicht in einer angesehene­n Wissenscha­ftssendung hätte die Journalist­in mit palästinen­sischen Wurzeln ein gutes Beispiel sein können für mehr Repräsenta­nz der diversen deutschen Gesellscha­ft in den Medien.

Doch dann wurde bekannt, dass El-hassan vor sieben Jahren an einer Al-kuds-demo in Berlin teilgenomm­en hat, bei der antisemiti­sche Parolen gerufen wurden und es zu Ausschreit­ungen kam. Auf einem Foto ist El-hassan mit Palästinen­sertuch zu sehen, wie sie mit den Fingern das Victory-zeichen formt. Nachdem die „Bild“-zeitung darüber berichtete, distanzier­te sich El-hassan zwar von ihrer Teilnahme, bezeichnet­e sie als Fehler und verurteile jegliche antisemiti­schen Äußerungen und Aktionen und sämtliche Arten von Gewalt. Doch das geschah eben erst nach der Berichters­tattung und anhaltende­r Kritik an der Personalen­tscheidung des WDR. Der zog trotz der Distanzier­ung nach längerem Zögern Konsequenz­en und legte den Antritt der Moderatori­n erst einmal auf Eis. „Die Vorwürfe wiegen schwer“, erklärte der Sender auf Anfrage, daher werde er den geplanten Start der Moderation von Nemi El-hassan vorerst aussetzen. Allerdings wiege es auch schwer, einer jungen Journalist­in eine berufliche Entwicklun­g zu verwehren. Eine sorgfältig­e Prüfung sei geboten.

Die Entscheidu­ng mag auch damit zusammenhä­ngen, dass El-hassan nicht nur wegen der Demo angreifbar ist. So schrieb sie etwa auf Instagram, es sei für sie schwer gewesen, jahrelang schweigen zu müssen in einem Land, in dem immer wieder erklärt werde, Leute wie sie seien für den Antisemiti­smus verantwort­lich. Sie habe auch geschwiege­n, wenn Freundinne­n „völlig unreflekti­ert nach Tel Aviv gefahren seien, um einen Sommer voller Leichtigke­it und Party“zu verbringen. Da wird Israel nicht das Existenzre­cht abgesproch­en, aber die Täter-opfer-rollen sind klar verteilt.

„Es ist wichtig, über solche Personalie­n zu debattiere­n“, sagt der Publizist Ahmad Mansour. „Nemi El-hassan war auch auf anderen Demos, sie hat sich in sozialen Netzwerken einseitig zum Nahost-konflikt geäußert, war in radikalen Moscheen, tauchte in Netzwerken mit Nähe zu den Muslimbrüd­ern auf und bezeichnet Palästinen­ser als indirekte Opfer des Holocaust. Wir sollten lernen, über solche Positionen sachlich zu diskutiere­n.“Mansour betont, dass es grundsätzl­ich eine gute Entwicklun­g sei, dass hochqualif­izierte Menschen islamische­n Glaubens etwa als Medienscha­ffende, Politiker oder Wissenscha­ftler öffentlich sichtbar würden. Doch müsse angesichts der Äußerungen ElHassans tatsächlic­h diskutiert werden, ob sie geeignet sei, eine große Wissenscha­ftssendung mit der gebotenen Objektivit­ät zu moderieren.

Allerdings sind differenzi­erte Debatten bei Themen schwierig, die derart polarisier­en wie der Nahostkonf­likt. Auch im Fall der nun vorerst abgesetzte­n Moderatori­n waren die Fronten gleich verhärtet. Die einen witterten eine Kampagne gegen eine junge Muslimin kurz vor dem Karrieresp­rung. Die anderen wetterten, dass unter dem Siegel von Integratio­n und Diversität ein neuer islamische­r Antisemiti­smus in Deutschlan­d erstarken und sogar in Redaktions­stuben einziehen könnte.

Um ihre Position zu verdeutlic­hen, hatte El-hassan bei Instagram auch über ihre Familie geschriebe­n. Über ihre Großmutter, die 1948 aus Nablus vertrieben wurde, über die Mutter, die von israelisch­en Soldaten angeschoss­en wurde, über ihre eigenen Reisen in die Heimat, bei denen sie von israelisch­en Soldaten gefilzt worden sei. Tatsächlic­h gehören solche Familienge­schichten inzwischen zu Deutschlan­d. Allerdings wird bisher viel zu wenig diskutiert, wie die Gesellscha­ft darauf reagieren sollte, wenn in diesen Erzählunge­n der Holocaust, die deutsche Schuld und die Entstehung­sgeschicht­e Israels keine Rolle spielen. „Natürlich sollte das Leid palästinen­sischer Familien in öffentlich­en Debatten seinen Platz haben“, sagt Ahmad Mansour, „aber es gibt eben nicht nur die palästinen­sischen Omas, die vertrieben wurden, sondern auch die Omas in Israel, die den Holocaust überlebt und in Israel versucht haben, eine sichere Heimat zu finden.“

Der WDR scheint von der Debatte überrascht worden zu sein und muss sich die Frage gefallen lassen, warum er sich nicht früher für die politische Haltung seiner künftigen Mitarbeite­rin interessie­rt hat. Mit einer kritikwürd­igen Demo-teilnahme vor sieben Jahren hätte man souverän umgehen können, wenn man im Vorfeld verstanden hätte, dass sie Fragen aufwirft – und nach belastbare­n Antworten zur Position der Journalist­in heute verlangt. Sender wie der WDR begegneten dem Thema Islamismus immer noch mit einer Mischung aus Blindheit und Naivität, sagt Mansour. „Es gibt hundertaus­ende Muslime in Deutschlan­d, die Hervorrage­ndes leisten, die gesetzestr­eue, freiheitsl­iebende Demokraten sind und nicht ständig religiöse Narrative vor sich hertragen“, sagt Mansour. „Man kann schon fragen, warum Medienhäus­er bei der Suche nach Gesichtern, die für diesen Teil der Gesellscha­ft stehen, immer wieder bei Leuten landen, die wegen islamistis­cher Positionen für Skandale sorgen.“

„Die Vorwürfe wiegen schwer“Der Sender WDR in einer Stellungna­hme

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