Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Lasst der Kunst ihre Zeit!
Kunst bringt die Wahrnehmung von Menschen aus der Zeit zum Ausdruck, in der sie leben. Der Blick auf die Welt vor Hunderten von Jahren war häufig ein anderer als heute. Aber genau das macht den Besuch im Museum so interessant und die Bedeutung von Kunstgeschichte greifbar. Sie führt zu der Frage: Wo stehen wir selbst?
Aktuell befinden wir uns mitten in einem neuen Abschnitt aus Verboten und Tabuisierungen. Eine wachsende Zahl von Bürgern zählt sich zu irgendeiner Minderheit und fühlt sich permanent beleidigt. Sowas spaltet die Gesellschaft. Auch zeitgenössische Kunst darf längst nicht mehr alles, alte Werke wiederum werden – wie jetzt in Dresden – aus vermeintlicher politischer Korrektheit umbenannt. Aus „Knaben“wurden „Jungen“, die Bezeichnungen „Afrikaner“oder „Eingeborener“gestrichen. An diesem Punkt ist der Kunstbetrieb nicht mehr weit davon entfernt, Klassiker von der Wand zu nehmen. Anderswo geschieht das bereits.
Alte Kunst an heutigen Maßstäben zu messen, bedeutet, sie zu banalisieren oder zu relativieren. Das spielt der verbreiteten Unkenntnis der Vergangenheit in die Hände. Dabei hilft Kunst in der Geschichte, Fortschritte zu begreifen. Oder Rückschritte zu erkennen. Wenn heutzutage Ausstellungsstücke aus Sammlungen entfernt werden, die aus sterblichen Überresten von Menschen bestehen, dann gebietet das der Respekt vor den Toten. Anders verhält es sich, wenn Kinderbücher umgeschrieben werden, weil dort Begriffe verwendet werden, die nicht mehr üblich sind. Besser wäre es, diesen Kontext schon den Kleinen klarzumachen. Auch die Bibel steckt voller Derbheiten. Kein Mensch käme auf die Idee, sie umzuschreiben.
In den USA gilt selbst das Wort „Meister“schon als belastet. Dresden mit seinen Sammlungen Alter Meister sollte sich vorsehen.
BERICHT EINZUG DER SPRACHPURISTEN, KULTUR