Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Hätte ich mich nur impfen lassen“

Nach dramatisch­em Covid-verlauf muss ein Schüler in einer Meerbusche­r Klinik wieder das Atmen und das Schlucken lernen.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

MEERBUSCH

Nur ein kleines Pflaster an Hassan El-jaddouhs Hals erinnert daran, dass der 20-Jährige lange zwischen Leben und Tod schwebte. Es klebt an der Stelle, an der einmal die Kanüle saß, über die er mit einer Beatmungsm­aschine verbunden war. Drei Wochen lang lag der Schüler aus Herten mit einem schweren Covid-19-verlauf im Koma, wurde künstlich beatmet. Auch danach musste ihm die Maschine noch einige Zeit das Atmen abnehmen. Heute funktionie­rt das wieder selbststän­dig. El-jaddouh lächelt entschuldi­gend, wenn er über die Gründe spricht, warum er sich nicht impfen ließ. Er habe Angst gehabt, dass der Impfstoff nicht ausgereift sei, dass ihm vielleicht etwas passieren könnte. „Hätte ich mich nur impfen lassen, denke ich heute“, sagt er, „denn das mit mir hätte auch anders ausgehen können.“

Für Professor Stefan Knecht, Chefarzt der Klinik für Neurologie an der St. Mauritius Therapiekl­inik in Meerbusch, ist sein Patient Eljaddouh ein Paradebeis­piel dafür, dass auch junge Menschen nach einer Corona-infektion schwer erkranken können. Viele würden sich durch ihre Jugend geschützt fühlen und zögern, sich impfen zu lassen. „Das ist etwa so, als ob man auf den Sicherheit­sgurt in der Hoffnung verzichtet, der Airbag werde es schon richten“, sagt Knecht. Keine gute Idee also. Tatsächlic­h liegt der Altersschn­itt der Covid-patienten im Krankenhau­s deutlich niedriger als bei den vorherigen Wellen, auch auf den Intensivst­ationen landen vermehrt jüngere Menschen. Knecht: „Und etwa 95 Prozent davon sind nicht geimpft.“

Wie schwer eine Covid-erkrankung ablaufen kann, zeigt El-jaddouhs Beispiel. Bei einem Urlaub im Libanon hat sich der Schüler aus Herten angesteckt, wo genau, weiß er nicht. Zwei Wochen später, wieder zurück in Deutschlan­d, traten erste Symptome auf. El-jaddouh fühlte sich schwach, hatte keinen Appetit, die Situation verschlech­terte sich von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. Schon kurz nach seiner Einlieferu­ng ins Krankenhau­s entwickelt­e sich die Situation dramatisch, ein

Hubschraub­er flog den Schüler als Notfall in die Essener Uniklinik.

„Letztendli­ch verdankt er sein Leben der perfekten Verzahnung deutscher High-end-intensivme­dizin“, sagt Alexander Schönfeld, Leitender Oberarzt der Intensivme­dizin in der St. Mauritius Therapiekl­inik. Heißt: Hätte das Räderwerk an einer Stelle nicht optimal ineinander­gegriffen, und wäre das medizinisc­he Knowhow in diesem Bereich nicht so weit fortgeschr­itten, wäre der Ausgang ungewiss gewesen. „Vor zehn Jahren wäre der Patient gestorben“, resümiert Schönfeld.

In Meerbusch kommt den Ärzten nun die Aufgabe zu, Patienten, die nicht mehr akut gefährdet sind, wieder ein Stück ihrer Selbststän­digkeit zurückzuge­ben. Bei Beatmungsp­atienten wie El-jaddouh bedeutet das: ihnen vor allem Atmen und Schlucken wieder beizubring­en. Die sogenannte Dysphagie, die Schluckstö­rung, ist dabei das größte Problem. „Mit der Beatmungsm­aschine wird das Schlucken umgangen, die Muskeln schmelzen sozusagen ein“, erklärt Knecht. Je länger der Zustand andauert, desto schwierige­r wird es, die normale Funktion wieder herzustell­en. Muss doch unbedingt vermieden werden, dass Schleim oder andere Flüssigkei­t in die Lunge dringt, weil dadurch eine Entzündung ausgelöst werden kann.

In der Therapiekl­inik kümmert sich ein Team aus sechs Fachrichtu­ngen um die Dekanülier­ung, also um die Frage, wann die Kanüle aus dem Hals entfernt werden und der Patient ungeschütz­t schlucken kann. „Da wird immer wieder abgewogen, wie viel jemand risikofrei trinken und schlucken kann“, sagt Schönfeld.

Nur wenige Zentren in Deutschlan­d bieten solche speziellen Therapiemö­glichkeite­n, darunter die Meerbusche­r Klinik. „Wir haben dafür etwa 30 Plätze zur Verfügung“, sagt Knecht. Der Bedarf, gerade auch durch Corona, sei allerdings deutlich größer. „Allein in NRW fehlen in diesem Bereich etwa 800 Betten“, schätzt der Klinik-leiter.

Beide Mediziner rechnen damit, dass sich die Infektions­lage im Herbst und Winter weiter verschärft, und damit mehr Menschen mit Covid in Krankenhäu­sern sowie auf Intensivst­ationen landen. Weil sie jünger sind, liegen sie dort länger, auch die Überlebens­rate von beatmeten Patienten würde steigen. Das ist einerseits eine gute Nachricht, führe aber dazu, dass möglicherw­eise Hunderttau­sende an Long Covid erkrankten, also intensive und lang andauernde Therapien benötigten. „Wobei es eine effektive Therapie gar nicht gibt, sondern nur viele Ansätze“, sagt Schönfeld. Zu neu sei die Krankheit nach wie vor, zu komplex in ihrem Erscheinun­gsbild.

Für die Ärzte führt daher nur ein Weg aus der Krise heraus: das Impfen. So sieht es heute auch Hassan El-jaddouh. Von der Zeit seiner Beatmung habe er nicht viel mitbekomme­n, erzählt er. Höchst unangenehm gewesen sei es aber, nicht sprechen zu können und nur von einem Stäbchen Wasser zu saugen, weil das Schlucken nicht klappte. „Das war keine schöne Zeit für mich“, sagt der Schüler. Durch die Krankheit hat er 20 Kilogramm abgenommen, das Laufen fällt ihm schwer. Die Luft fehlt, die Lunge braucht Zeit, um sich zu erholen.

El-jaddouh hofft nur, dass er wieder so gesund wird wie vor seiner Infektion. Träumt er doch davon, nach dem Abitur zur Polizei oder zum Bundeskrim­inalamt zu gehen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss er körperlich topfit sein. Bis dahin ist es noch ein langer Weg, das weiß er selbst. Erreicht hat er trotzdem schon etwas. El-jaddouh lächelt verschmitz­t. „Viele meiner Verwandten haben sich jetzt impfen lassen.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Der 20-jährige Hassan El-jaddouh musste künstlich beatmet werden. In der St. Mauritius Therapiekl­inik wurde er von der Maschine entwöhnt.

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