Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Albanien dankt Merkel mit Orden

Auf dem Westbalkan gab es Lobeshymne­n und Kritik an der Politik der Kanzlerin.

- VON THOMAS ROSER

BELGRAD/TIRANA Mit großem Sicherheit­sabstand posierten die Regierungs­chefs von sechs Westbalkan-staaten am Dienstag in Albaniens Hauptstadt Tirana für das letzte Gruppenfot­o mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Niemand habe den Westbalkan besser verstanden als die Kanzlerin, würdigte Albaniens Premier Edi Rama die mit einem Orden ausgezeich­nete Amtskolleg­in. Die Region werde Merkel vermissen: Sie sei „ein Freund des Balkans, der Albaner und aller Völker dieser Region“.

Als „Patron“hatte Merkel zuvor im serbischen Belgrad bei ihrer zweitägige­n Abschiedsr­eise auf den Westbalkan die Rolle Berlins bei der ins Stocken geratenen Eu-erweiterun­g beschriebe­n – und die Sorge vor einem nachlassen­den Interesse nach ihrem Abtritt zu zerstreuen versucht: „Jeder deutsche Bundeskanz­ler“werde sich für den Westbalkan „weiter interessie­ren“.

Ähnlich wie Rama schienen auch Serbiens allgewalti­gen Landesvate­r Aleksandar Vucic beim letzten Treffen mit Merkel gar wehmütige Verlustäng­ste zu plagen. Er habe ein „bisschen Angst, was auf uns zukommt“, bekannte der Chef der nationalpo­pulistisch­en SNS. Merkel sei eine „politische Autorität, die wir immer gerne hören wollten“. Sie könnte „sehr stolz sein“auf das, was sie auf dem Westbalkan hinterlass­en habe, versichert­e Vucic. Dabei hat die Kanzlerin in Sachen Erweiterun­g in 16 Amtsjahren auffällig wenig erreicht: Nur Kroatien hat 2013 den Eu-beitritt geschafft. Die Eu-anwärter Albanien, Bosnien und Herzegowin­a, Kosovo, Montenegro, Nordmazedo­nien und Serbien scheinen hingegen von Europas Wohlstands­bündnis nach wie vor weit entfernt.

Mit griffigen Konzepten für die Beschleuni­gung der von ihr als „absolutes geografisc­he Interesse“der EU bezeichnet­e Erweiterun­g wartete Merkel nicht auf. Erneut wiederholt­e sie stattdesse­n ihr Credo von den offenen Eu-türen und dem „langen Weg“, den die Anwärter noch zu bewältigen hätten. Bei der Journalist­ennachfrag­e nach den autoritäre­n Tendenzen in der Region sprach sie diplomatis­ch von „Rückschrit­ten, aber auch Fortschrit­ten“, mahnte zu „weiteren Schritten in Richtung Rechtsstaa­t“und pries höflich ihren Gastgeber: Sie habe Vucic „als Person kennengele­rnt, die nichts Falsches verspricht“.

Doch außer überschwän­glichen Lobeshymen wurde bei Angela Merkels Abschiedsr­eise auch verbittert­e Kritik laut. Während Amtsträger ihren Einsatz für die Eu-erweiterun­g würdigten, warfen ihr regierungs­kritische Medien und Opposition­elle vor, mit ihrem kritiklose­n Schultersc­hluss mit zweifelhaf­ten Politfürst­en indirekt den autoritäre­n Tendenzen in der Region Vorschub zu leisten.

„Merkel und Vucic wiederholt­en die leeren Floskeln von der Fortsetzun­g der Reformen“, konstatier­te die serbische Zeitung „Danas“. Das Erbe von Merkel seien „korrupte und autoritäre Regimes auf dem Balkan“, ätzte der Opposition­spolitiker Mladjan Djordjevic. „Gehen sie endlich Frau Merkel“, forderte ein deutschspr­achiges Protestpla­kat der Bürgerbewe­gung Preokret („Kehrtwende“): „Seit neun Jahren unterstütz­en Sie die Diktatur.“

„Leb wohl Angela und nehmen sie Vucic mit sich mit“, titelte am Dienstag bissig die Belgrader Zeitung „Nova“. Merkel sei nur an „Ruhe an der Eu-peripherie“und der Absicherun­g der deutschen Investitio­nen, aber kaum an Demokratie gelegen gewesen: Die Hinterlass­enschaft der deutschen Kanzlerin seien „Stabilokra­tie und der Rückgang der Unterstütz­ung für die Europäisch­en Union“.

Im symbolisch­en Sinne sei der Besuch von Merkel „außerorden­tlich wichtig“gewesen, meinte hingegen der frühe Berlin-botschafte­r Ognjen Pribicevic. Doch man müsse diesen „realistisc­h“sehen: „Merkel ist das Symbol einer Zeit, die vorbei ist.“

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FOTO: DPA Der albanische Ministerpr­äsident Edi Rama mit Angela Merkel

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