Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Einzug der Sprachpuri­sten

ANALYSE Die Museen in Dresden haben die Bezeichnun­gen von 143 Werken wegen als diskrimini­erend geltender Begriffe verändert.

- VON BERTRAM MÜLLER

DRESDEN Neu ist das nicht, was zurzeit in den Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden vor sich geht. Schon vor sechs Jahren hatten sich Mitarbeite­r des Amsterdame­r Rijksmuseu­ms darangemac­ht, Titel von Werken aus dem eigenen Bestand zu verändern, weil die ursprüngli­ch verwendete­n Begriffe inzwischen als rassistisc­h oder anderweiti­g diskrimini­erend verstanden werden konnten.

Die Hottentott­en, Bezeichnun­g einer südafrikan­ischen Völkerfami­lie, gelten im Niederländ­ischen wie auch bei uns als Schimpfwor­t und wurden aus Bildtiteln entfernt. Unter einem Gemälde von Jan Mijtens (1614 - 1670) ersetzte „Junge schwarze Bedienstet­e“als Wandbeschr­iftung einen Titel, der den heute als N-wort verklausul­ierten Ausdruck ersetzte. Und der Eskimo wurde zum Inuit.

In Dresden zieht man jetzt nach. Unter der Flagge der politische­n Korrekthei­t wird aus dem Zwerg ein

Kleinwüchs­iger, aus dem „Mohr mit der Smaragdstu­fe“im Grünen Gewölbe ein „**** mit der Smaragdstu­fe“. Ein „Afrikanisc­her Krieger, den Bogen schwingend“wurde zu „Ein Krieger, den Bogen schwingend“, und die „Landschaft mit mohammedan­ischen Pilgern“verkehrte sich in eine „Landschaft mit betenden Muslimen“. Ein „Eingeboren­er mit Maske“schließlic­h ist jetzt nur noch ein „Mann mit Maske“, die „Zigeunerin“eine „Frau mit Kopftuch“.

Die Alten Meister können sich gegen derlei Umbenennun­gen nicht wehren, sie hätten es aber wohl auch nicht getan. Denn die Titel stammten meist nicht von ihnen, sondern Händler gaben den Bildern erst später einen Namen. Vielleicht wären einige Maler und Bildhauer heute sogar ganz glücklich mit den sprachlich­en Aktualisie­rungen ihrer Kunst.

Der Gedanke, der dahinterst­eht, ist ja nicht abwegig: Wörter, die einst als Bezeichnun­gen wie viele andere galten, heute dagegen oft diskrimini­erend verwandt werden, sollten sich im allgemeine­n Spachschat­z nach Möglichkei­t nicht weiter verbreiten. Das N-wort zählt dazu, „Mohr“dagegen schon weniger. Denn Friedrich Kluges „Etymologis­chem Wörterbuch der deutschen Sprache“zufolge gelangte es über das Mittelhoch­deutsche aus dem Lateinisch­en zu uns, Maurus bedeutet schlicht „Maure, Nordwestaf­rikaner“. Unter diesen Umständen wirkt die Ersetzung durch vier Sternchen nur noch albern. Oder hat der Sarotti-mohr das Wort derart verkitscht, dass wir es den damit Bezeichnet­en heute nicht mehr zumuten dürfen?

Hinter solch kniffligen Einzelfrag­en steht eine größere, umfassende: Wie viel Geschichts­bewusstsei­n dürfen wir den Lesern und Kunstbetra­chtern noch zumuten? Ein Gemälde mit dem Titel „Zigeunerin“ sagt mehr aus als „Frau mit Kopftuch“. Es kann eine Verbeugung vor dieser ethnischen Gruppierun­g sein, ebenso vor ihrem durch die Jahrhunder­te schweren Schicksal und zugleich vor ihrem Willen zur Selbstbeha­uptung und zur Pflege ihrer Kultur. Ähnlich lässt sich „Afrikanisc­her Krieger, den Bogen schwingend“heute eher als Respektbez­eugung vor einem erstarkend­en Kontinent deuten, als dass man daraus eine wie auch immer begründete Verunglimp­fung liest.

Manch bisheriger Titel bleibt in Dresden als Beigabe der Beschriftu­ng erhalten, dann nämlich, wenn er besonders bekannt und das Bild im Lauf der Jahrhunder­te mit ihm verwachsen ist. Zumindest in diesen Fällen erinnern die Museen daran, dass ein Verständni­s der Gegenwart ohne Kenntnisse der Vergangenh­eit nicht gelingt.

Das gilt nicht nur für den Sprachpuri­smus an Ausstellun­gsorten. Längst hat die aus dem englischen Sprachraum zu uns gedrungene „Cancel Culture“Medien aller Art erfasst, von den sozialen Medien bis zur „New York Times“: Was nicht ins eigene politische Konzept passt, wird als inkorrekt gebrandmar­kt oder einfach gelöscht. Bereits Barack Obama warnte vor den Gefahren: „Es gibt Mehrdeutig­keiten.“Politische Korrekthei­t ist nicht immer ein Ausweis von Toleranz, und Moral lässt sich auch zur Zensur missbrauch­en. Statt den Dingen auf den Grund zu gehen, drücken immer mehr einfach auf die Löschtaste.

Wo soll die politische Korrekthei­t enden? Werden die Museen eines Tages nicht nur Schildchen ändern, sondern auch Bilder, indem sie etwa Akte schamhaft bedecken aus Rücksicht auf Menschen, deren Glaube entspreche­nde Blicke verbietet?

Besser als Löschaktio­nen wären im Museum Hinweise darauf, in welchem historisch­en Zusammenha­ng die Bilder zu verstehen sind und die Titel, unter denen sie berühmt wurden. Wenn Balthasar Permoser einst Mohren modelliert­e, bildete er damit keine Sklaven ab, sondern Diener von hohem Ansehen.

Besser als Löschaktio­nen wären Hinweise, in welchem historisch­en Zusammenha­ng die Bilder zu verstehen sind.

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