Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Noah (8) findet keine Krankenpfl­eger

Der Junge aus Drevenack leidet an einer schweren Krankheit. Er weiß, dass er nie mehr gesund wird. Seine Mutter sucht verzweifel­t nach Pflegefach­kräften, die sie stundenwei­se unterstütz­en.

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HÜNXE (eha) Noah hat schulfrei. Lehrerausf­lug. Schade für ihn, denn er freut sich auf die Schule, seine Klassenkam­eraden und seine nette Lehrerin Frau Richter, die den Kindern so gut erklärt hat, dass Noah eine schwere Krankheit hat und deswegen manchmal ganz schnell den Unterricht verlassen muss. Noah weiß, dass er nie wieder gesund wird und alle anderen auch.

Bis vor sechs Wochen kam ein Kinderkran­kenpfleger mit in die Schule, half Noah, wenn er zu schwach wurde, ging mit ihm aus dem Klassenrau­m, wenn sich der Stoma-beutel löste und Noah schnell versorgt werden musste. Doch nun ist der Pfleger der Johanniter selbst erkrankt. Björn Berger, Pflegedien­stleiter des ambulanten Kinderkran­kenpfleged­ienstes der Johanniter NRW mit Sitz in Ratingen, sucht händeringe­nd Personal. Er springt sogar selbst ein, wenn die Not am größten ist. Doch stehen aktuell zehn Kinder in der ambulanten Obhut der Johanniter, deren ambulante Kinderkran­kenpflege schwerstkr­anken Mädchen und Jungen eine medizinisc­he Versorgung zuhause ermöglicht. Dort, wo sie sich am wohlsten fühlen.

„Überall ist zu lesen, dass es in der Altenbetre­uung Pflegenots­tände gibt, aber es gibt sie auch bei Kindern“, berichtet Björn Berger. Er weiß von vielen Kindern, die wochen-, monatelang in Kliniken verbleiben müssen, obwohl eine ambulante Pflege möglich wäre, aber sich kein Personal dafür findet.

Ein Notstand, der aktuell alle ambulanten Pflegedien­ste trifft. „Wir haben uns schon lange vom Konkurrenz­denken verabschie­det, inzwischen versuchen wir, uns untereinan­der zu helfen, um die in den Familien erforderli­chen Stunden leisten zu können“, erklärt Berger. Doch der Hilferuf verhallt.

Noah Hennen ist als Frühchen auf die Welt gekommen. Das Leben meinte es nicht gut mit ihm. Doch er hat sich bis hierhin durchgekäm­pft, dank seiner Familie, insbesonde­re seiner Mutter Nadine, die nicht nur für Noah da sein will, sondern auch für seine vier Geschwiste­r im Alter von 16, 15, 13 und zehn Jahren.

Da Nadine Hennen selbst Krankensch­wester ist, kann sie die pflegerisc­he Aufgabe stemmen, aber nicht immer, am frühen Morgen, während des Schulunter­richtes, am Nachmittag, am Abend und in der Nacht.

Noahs Erkrankung ist lebensverk­ürzend, sie heißt CIPO, ist eine unheilbare Darm-verschluss-erkrankung. Mindestens 50 BauchOpera­tionen musste der Achtjährig­e über sich ergehen lassen, sein Bauch verheilt nicht mehr, die Stoma-beutel halten nicht. Erleichter­ung findet er, wenn er in Kamillosan badet.

Es gab ein Jahr, in dem Noah nichts mehr essen durfte. Das war für den kleinen Mann nicht auszuhalte­n. Dank des künstliche­n Darmausgan­gs darf er wieder essen, nicht alles, aber immerhin. Doch er verdaut es nicht, weswegen er künstlich ernährt wird, über Infusionen, die 16 Stunden laufen, durch die er auch Schmerzmit­tel verabreich­t bekommt.

Doch er hat wunderbare Geschwiste­r, die auf ihn Rücksicht nehmen, in seiner Gegenwart nicht das essen, was er nicht darf. Was gar nicht so leicht in einer Vier-zimmerWohn­ung ist.

Zwei Jahre klappte das gut mit einem Pflegedien­st aus Geldern, bis dieser in Ermangelun­g von Pflegekräf­ten kündigen musste. Also begleitete Nadine Hennen ihren Sohn zur Schule. Da sie wegen Corona nicht im Klassenrau­m verbleiben durfte, wartete sie auf dem Innenhof der Schule, immer sprungbere­it, um Noah medizinisc­h versorgen zu können. Von August 2019 bis Januar 2020.

Danach fand Nadine Hennen für eine kurze Zeit eine ambulante Betreuung beim Pflegedien­st der Lebenshilf­e in Rees, der allerdings, da defizitär, wieder eingestell­t wurde. Noahs Zustand verschlech­terte sich wieder, fast ein Jahr wurde er in Spezialkli­niken stationär versorgt. Seine Mutter ließ sich immer mit einweisen. Dann durfte er wieder nach Hause. Wie glücklich waren alle, als die Johanniter einsprange­n.

Doch wie kann man nun der Familie helfen? Eine Integratio­nskraft für den Schulunter­richt, auch für Noah besteht Schulpflic­ht, würde die Mutter nur bedingt entlasten, denn sie müsste weiterhin sofort erreichbar sein. Zumal, so die Rechtslage, wenn eine Pflegeassi­stenz von der Krankenkas­se genehmigt ist, darf der Kreis keinen Integratio­nshelfer bezahlen. Nur – einen Pfleger gibt es nicht. Kreis und Krankenkas­sen wären zu einem Kompromiss bereit. Doch ohne Kranken

pfleger?

Nun geht Nadine Hennen wieder mit zur Schule, sitzt morgens von 8 bis 11.20 Uhr im Auto vor der Schule. Wenn Noah sie braucht, ruft die Lehrerin sie an, dann ist sie sofort zur Stelle. Im Kopf hat sie ihre Einkäufe, was sie schnell zu Mittag kocht, wie sie es schafft, am Nachmittag Arzttermin­e wahrzunehm­en oder die Kinder zu chauffiere­n. Und immer muss sie Noah mitnehmen. „Er akzeptiert seine Krankheit nicht“, sagt sie traurig. Es gibt Tage, da will er nicht mehr leben. Und versucht es.

Er ist kein Kind, das nur an Schläuchen hängt, das beatmet werden muss. Er kann fröhlich sein, sich freuen, am Leben teilnehmen, aber leider auch viele Stunden matt im Bett liegen. Warum ist die Suche so schwer? Es ist für eine examiniert­e Pflegekraf­t eine Aufgabe, die zu schaffen ist. Die Unterstütz­ung der gesamten Familie und der medizinisc­he Hintergrun­d durch die Johanniter, ein Palliativ-team der Uni Essen und eine 24-Stunden-hotline werden garantiert. „Vielleicht finden wir ja eine Mutter, die Krankensch­wester ist, deren Kinder morgens in die Schule gehen und die dann ein paar Stunden für uns die Pflege übernimmt“, hofft Nadine Hennen. Sie ist am Limit – nach einer Nacht, in der Noah, wie so häufig, wegen Bauchschme­rzen und Übelkeit nur eine Stunde schlafen konnte.

„Er akzeptiert seine Krankheit nicht“Nadine Hennen Mutter

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FOTO: GERD HERMANN Nadine Hennen findet für ihren schwerkran­ken Sohn Noah keine ambulante Krankenpfl­egkraft.

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