Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Mit Kaugummi zum Prüfungserfolg
In der Klausur mit malmenden Kiefern: Kaugummikauen entspannt, verhindert Ängste und Depressionen, erhöht aber nicht die Lern-intelligenz. Das zeigen neue Studien.
Ihre notorischen Gegner sagen gerne: Kaugummi-esser haben etwas von einer wiederkäuenden Kuh. Und das sitzt, gelten doch Paarhufer nicht gerade als klug. Tatsächlich jedoch zeigen aktuelle Studien, dass Kaugummi-kauer geistig wach und besonders konzentriert, dabei aber entspannt wie eine Kuh auf der Wiese sind.
Wer kennt so etwas nicht aus seiner Schüler- oder Studentenzeit? Eigentlich ist man gut drin im Stoff und im Lernen – wenn da nicht der Geist immer müde statt willig würde. Und dann noch die Versagensangst, die bei der Klausur oder mündlichen Prüfung das Gehirn so nachhaltig blockiert, dass trotz Vorbereitung alles schiefgeht.
Wer mit solchen Problemen zu kämpfen hat, sollte vielleicht zum nächsten Supermarkt oder Kiosk gehen und sich eine Packung Kaugummi kaufen. Denn darin könnte, so das Ergebnis einer türkischen Studie, die Lösung für seine Probleme liegen.
Das Forscherteam von der GaziUniversität in Ankara hat an 100 Studenten überprüft, inwieweit es sich auf ihre psychische Befindlichkeit und ihre Prüfungsleistungen auswirkte, wenn sie entweder langfristig (für 19 Tage mindestens eine halbe Stunde täglich) oder kurzfristig (für sieben Tage mindestens eine halbe Stunde täglich) vor dem Examen ein Chewing Gum kauten.
„Wir verwendeten dafür bewusst ein zuckerfreies Produkt“, so Studienleiterin engül Yaman Sözbir, „um zu verhindern, dass sich die Hirnaktivitäten über den Blutzuckerspiegel verändern“. Die Stress-, Angst- und Depressionswerte der Probanden wurden mit den in der Psychologie üblichen Fragebögen ermittelt – und ihre Prüfungsleistungen über die Punktzahl, die beim Examen erreicht wurde.
Das Ergebnis: Die Langzeitkauer erreichten durchschnittlich 76,5 von 100 möglichen Examenspunkten, was deutlich mehr war als die rund 72 Punkte, die von den Kurzzeit- und Nicht-kauern erreicht wurden. Die Stress-, Angst- und Depressionswerte fielen hingegen in beiden Kaugruppen gleichermaßen günstiger aus als bei den NichtKauern. Gesundheitswissenschaftlerin Yaman Sözbir empfiehlt daher: „Studenten sollten Kaugummi kauen, um ihren Prüfungsstress zu verringern und ihre Prüfungsergebnisse zu verbessern.“Und am besten sollten sie schon früh damit beginnen, und nicht erst kurz vor dem Examen. Die türkischen Wissenschaftler bestätigen damit frühere
Studien, in denen das Kauen von Chewing Gum die Hirnaktivitäten beeinflusste.
So konnte man zeigen, dass durch das Fokussieren auf die Motorik und Sensorik des Kauens mehr BetaWellen im Gehirn erzeugt werden, was die elektronische Basis für Aufmerksamkeit, Wachheit und Konzentration schafft.
An der Medizinischen Hochschule Hannover wurde beobachtet, dass durch Kaugummikauen mehr Blutsauerstoff im Gehirn zirkuliert. Dass solch ein Versorgungsschub wach machen kann, liegt nahe. Vorausgesetzt, das Blut geht nicht in die Stress- und Angstareale des Gehirns. Aber das lässt sich durch Kaugummikauen offenbar verhindern. Nicht umsonst beginnen viele Menschen unter Druck an Bleistiften und ihren Fingernägeln zu nagen: Sie fühlen sich einfach entspannter, wenn sie auf ein rhythmisches und ihnen bestens vertrautes Verhalten wie das Kauen zurückgreifen können.
Wie stark der Stress dämpfende Effekt des Kaugummikauens ist, belegt eine aktuelle Studie, die ebenfalls in der Türkei, an der Trakya University in Edirne, durchgeführt wurde. Probanden waren sechs bis zwölf Jahre alte Kinder, denen – aus unterschiedlichen medizinischen Gründen – eine Kanüle in die Armvene gesetzt wurde. „Dieses Prozedere wird von Kindern üblicherweise als schmerzhaft wahrgenommen, und es bereitet ihnen große Angst“, erläutert Studienleiterin Ozlem Guray. Wenn sie jedoch dabei Kaugummi kauen durften, ging es ihnen deutlich besser. Wobei dies nicht nur von ihnen selbst, sondern auch vom Pflegepersonal bestätigt wurde. „Kaugummikauen ist offenbar eine simple, preisgünstige und angenehme Art, wie man Kindern ihre Ängste und Schmerzen nehmen kann“, so die türkische Pflegeforscherin.
Doch auch wenn in der Türkei viel zum Kaugummi und seiner Wirkung aufs psychische Wohlbefinden geforscht wird: Der große Pionier auf diesem Gebiet ist Andrew Smith von der Cardiff University in Wales. Egal, ob Arbeiter, Studenten, Angestellte oder Rentner – kaum eine Bevölkerungsgruppe, die der Psychologe nicht zu Testzwecken für sich kauen ließ. Sein Resümee: „Kaugummikauer leiden sowohl im Privat- als auch im Berufsleben weniger unter Stress, und sie müssen seltener wegen Depressionen, Bluthochdruck und Alkoholproblemen zum Arzt.“
Bleibt festzuhalten, dass die Forschung des walisischen Psychologen teilweise von Wrigley bezahlt wird, dem weltweit bekannten Kaugummi-hersteller. Nichtsdestoweniger publiziert Smith auch in großen Fachzeitschriften, die sich eine Überprüfung der eingereichten Studien leisten könnten. Und er ist weit davon entfernt, Kaugummi als Lösung für alle möglichen Psycho-probleme zu feiern. So kann er beispielsweise nicht die oft zu hörende These bestätigen, wonach Kaugummikauen das Gedächtnis verbessert. „Es hat keinen Einfluss auf unser Erinnerungsvermögen“, betont Smith. Kaugummikauen halte uns zwar beim Lernen wach und konzentriert, doch beim Speichern und Wiederabrufen des Gelernten sei es keine sonderliche Hilfe. Da komme es, so der walisische Psychologe, vor allem darauf an, die einzelnen Lerninhalte sinnvoll zu verknüpfen, und zwar entweder miteinander oder aber mit etwas, das wir schon kennen. Anders ausgedrückt: Wir lernen am besten, wenn die Lerninhalte eine Bedeutung für uns haben. Es gibt eben psychologische Gesetzmäßigkeiten, da beißen sich auch Kaugummi-nutzer ihre Zähne aus.