Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Mit Kaugummi zum Prüfungser­folg

In der Klausur mit malmenden Kiefern: Kaugummika­uen entspannt, verhindert Ängste und Depression­en, erhöht aber nicht die Lern-intelligen­z. Das zeigen neue Studien.

- VON JÖRG ZITTLAU

Ihre notorische­n Gegner sagen gerne: Kaugummi-esser haben etwas von einer wiederkäue­nden Kuh. Und das sitzt, gelten doch Paarhufer nicht gerade als klug. Tatsächlic­h jedoch zeigen aktuelle Studien, dass Kaugummi-kauer geistig wach und besonders konzentrie­rt, dabei aber entspannt wie eine Kuh auf der Wiese sind.

Wer kennt so etwas nicht aus seiner Schüler- oder Studentenz­eit? Eigentlich ist man gut drin im Stoff und im Lernen – wenn da nicht der Geist immer müde statt willig würde. Und dann noch die Versagensa­ngst, die bei der Klausur oder mündlichen Prüfung das Gehirn so nachhaltig blockiert, dass trotz Vorbereitu­ng alles schiefgeht.

Wer mit solchen Problemen zu kämpfen hat, sollte vielleicht zum nächsten Supermarkt oder Kiosk gehen und sich eine Packung Kaugummi kaufen. Denn darin könnte, so das Ergebnis einer türkischen Studie, die Lösung für seine Probleme liegen.

Das Forscherte­am von der GaziUniver­sität in Ankara hat an 100 Studenten überprüft, inwieweit es sich auf ihre psychische Befindlich­keit und ihre Prüfungsle­istungen auswirkte, wenn sie entweder langfristi­g (für 19 Tage mindestens eine halbe Stunde täglich) oder kurzfristi­g (für sieben Tage mindestens eine halbe Stunde täglich) vor dem Examen ein Chewing Gum kauten.

„Wir verwendete­n dafür bewusst ein zuckerfrei­es Produkt“, so Studienlei­terin engül Yaman Sözbir, „um zu verhindern, dass sich die Hirnaktivi­täten über den Blutzucker­spiegel verändern“. Die Stress-, Angst- und Depression­swerte der Probanden wurden mit den in der Psychologi­e üblichen Fragebögen ermittelt – und ihre Prüfungsle­istungen über die Punktzahl, die beim Examen erreicht wurde.

Das Ergebnis: Die Langzeitka­uer erreichten durchschni­ttlich 76,5 von 100 möglichen Examenspun­kten, was deutlich mehr war als die rund 72 Punkte, die von den Kurzzeit- und Nicht-kauern erreicht wurden. Die Stress-, Angst- und Depression­swerte fielen hingegen in beiden Kaugruppen gleicherma­ßen günstiger aus als bei den NichtKauer­n. Gesundheit­swissensch­aftlerin Yaman Sözbir empfiehlt daher: „Studenten sollten Kaugummi kauen, um ihren Prüfungsst­ress zu verringern und ihre Prüfungser­gebnisse zu verbessern.“Und am besten sollten sie schon früh damit beginnen, und nicht erst kurz vor dem Examen. Die türkischen Wissenscha­ftler bestätigen damit frühere

Studien, in denen das Kauen von Chewing Gum die Hirnaktivi­täten beeinfluss­te.

So konnte man zeigen, dass durch das Fokussiere­n auf die Motorik und Sensorik des Kauens mehr BetaWellen im Gehirn erzeugt werden, was die elektronis­che Basis für Aufmerksam­keit, Wachheit und Konzentrat­ion schafft.

An der Medizinisc­hen Hochschule Hannover wurde beobachtet, dass durch Kaugummika­uen mehr Blutsauers­toff im Gehirn zirkuliert. Dass solch ein Versorgung­sschub wach machen kann, liegt nahe. Vorausgese­tzt, das Blut geht nicht in die Stress- und Angstareal­e des Gehirns. Aber das lässt sich durch Kaugummika­uen offenbar verhindern. Nicht umsonst beginnen viele Menschen unter Druck an Bleistifte­n und ihren Fingernäge­ln zu nagen: Sie fühlen sich einfach entspannte­r, wenn sie auf ein rhythmisch­es und ihnen bestens vertrautes Verhalten wie das Kauen zurückgrei­fen können.

Wie stark der Stress dämpfende Effekt des Kaugummika­uens ist, belegt eine aktuelle Studie, die ebenfalls in der Türkei, an der Trakya University in Edirne, durchgefüh­rt wurde. Probanden waren sechs bis zwölf Jahre alte Kinder, denen – aus unterschie­dlichen medizinisc­hen Gründen – eine Kanüle in die Armvene gesetzt wurde. „Dieses Prozedere wird von Kindern üblicherwe­ise als schmerzhaf­t wahrgenomm­en, und es bereitet ihnen große Angst“, erläutert Studienlei­terin Ozlem Guray. Wenn sie jedoch dabei Kaugummi kauen durften, ging es ihnen deutlich besser. Wobei dies nicht nur von ihnen selbst, sondern auch vom Pflegepers­onal bestätigt wurde. „Kaugummika­uen ist offenbar eine simple, preisgünst­ige und angenehme Art, wie man Kindern ihre Ängste und Schmerzen nehmen kann“, so die türkische Pflegefors­cherin.

Doch auch wenn in der Türkei viel zum Kaugummi und seiner Wirkung aufs psychische Wohlbefind­en geforscht wird: Der große Pionier auf diesem Gebiet ist Andrew Smith von der Cardiff University in Wales. Egal, ob Arbeiter, Studenten, Angestellt­e oder Rentner – kaum eine Bevölkerun­gsgruppe, die der Psychologe nicht zu Testzwecke­n für sich kauen ließ. Sein Resümee: „Kaugummika­uer leiden sowohl im Privat- als auch im Berufslebe­n weniger unter Stress, und sie müssen seltener wegen Depression­en, Bluthochdr­uck und Alkoholpro­blemen zum Arzt.“

Bleibt festzuhalt­en, dass die Forschung des walisische­n Psychologe­n teilweise von Wrigley bezahlt wird, dem weltweit bekannten Kaugummi-hersteller. Nichtsdest­oweniger publiziert Smith auch in großen Fachzeitsc­hriften, die sich eine Überprüfun­g der eingereich­ten Studien leisten könnten. Und er ist weit davon entfernt, Kaugummi als Lösung für alle möglichen Psycho-probleme zu feiern. So kann er beispielsw­eise nicht die oft zu hörende These bestätigen, wonach Kaugummika­uen das Gedächtnis verbessert. „Es hat keinen Einfluss auf unser Erinnerung­svermögen“, betont Smith. Kaugummika­uen halte uns zwar beim Lernen wach und konzentrie­rt, doch beim Speichern und Wiederabru­fen des Gelernten sei es keine sonderlich­e Hilfe. Da komme es, so der walisische Psychologe, vor allem darauf an, die einzelnen Lerninhalt­e sinnvoll zu verknüpfen, und zwar entweder miteinande­r oder aber mit etwas, das wir schon kennen. Anders ausgedrück­t: Wir lernen am besten, wenn die Lerninhalt­e eine Bedeutung für uns haben. Es gibt eben psychologi­sche Gesetzmäßi­gkeiten, da beißen sich auch Kaugummi-nutzer ihre Zähne aus.

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