Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Aus der Tiefe des Traums
Triell, Teil drei: Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz gehen noch einmal in den Nahkampf für die Wahl und hoffen auf einen Impuls – und darauf, dass sie den Trend halten oder drehen.
BERLIN Irgendwer nervös? Sie blicken tapfer in die Kameras. Es geht um das höchste Regierungsamt. Am nächsten Morgen schicken sie wieder Tausende Wahlkämpfer raus ins Land. Noch sieben Tage bis zur Entscheidung. Aber an diesem Sonntagabend sind Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz auch noch einmal selbst in den Ring gestiegen. Sie kommen aus der Tiefe des Traums von der Übernahme der Macht in Deutschland. Und nun rein in den Nahkampf mit den anderen Kanzlerkandidaten. Aber vorher noch vorbei an den Fans, die den Kandidaten bei ihrer Vorfahrt vor Studio 20 in Adlershof hinter Absperrgittern zujubeln. Anhänger der Jungen Union springen und singen: „Wer nicht hüpft, der ist ein Grüner.“
Das stimmt sogar. Draußen steht Daniel Holefleisch, der Ehemann von Annalena Baerbock. Er gibt zu, „angespannt“zu sein. Anschließend trifft er im „Green Room“Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter, auch Grünen-geschäftsführer Michael Kellner ist da. Es gibt bunten Tomatensalat, Hausgemachte Pasta und schwarzes Risotto.
Baerbock fährt als erste der Kandidaten um 18.45 Uhr mit ihrem großen, grünen Wahlkampfbus vor – „Co2-kompensiert“, steht sicherheitshalber drauf. Die CDU hat extra eine Frauenband organsiert, die etwas zu früh den alten Michael Jackson-hit „Beat it“spielt. Olaf Scholz stoppt um 19.18 Uhr mit seiner Kolonne ausgerechnet vor der Jungen Union: „Olaf, hol die Akten raus“, grölen die Laschet-anhänger. Schnell eilt Scholz zu den Jusos, um sich dort feiern zu lassen. Laschet kommt um 19.30 Uhr. Ein Vertrauter verrät, er habe sich nochmal intensiv mit Themen, mit Zahlen und
Fakten beschäftigt. „Er ist auf dem neuesten Stand.“
Dann treten Baerbock, Laschet und Scholz zur besten Sendezeit vor großes Fernsehpublikum der Privatsender. Triell, Teil drei. Es ist angerichtet für einen politischen Blockbuster – Tatort Adlershof. Auch wenn alle drei Kandidaten noch kurz vor dem Sendestart in den Kulissen zusammenstehen, scherzen.
Und dann? Primaklima? Mitnichten. Im Triell geht es in der Klimadebatte schnell hoch her. Baerbock: „Die Herren der Groko haben jetzt ganz viel geredet.“Wenn etwas richtig teuer werde, dann wenn es keinen Klimaschutz gebe, wie etwa durch das reißende Hochwasser im Ahrtal und in anderen Regionen, wo der Staat nun mit 30 Milliarden Euro beim Wiederaufbau helfe. Baerbock knöpft sich die SPD vor, die zwar die Pariser Klimaziele erreichen, aber erst in 17 Jahren aus der Kohleverstromung aussteigen wolle. Laschet geht dazwischen: „Wir müssen dazu kommen, die Umlage für erneuerbare Energien abzuschaffen.“Baerbock erzählt von einem Besuch unlängst „beim Daimler“, wo sich Mitarbeiter auf die neue Zeit ohne Verbrennungsmotoren freuten, weil dies Zukunft bedeute. Laschet an Baerbock: „Ja, eben. Die brauchen aber nicht Ihr Verbot!“
Und weiter im Text: Es geht um Gefährder, Terror, innere Sicherheit, Digitalausbau. Spd-kanzlerkandidat Olaf Scholz sorgte sich wegen der Impfmüdigkeit im Lande. Wer derzeit mit Covid auf einer Intensivstation liege, sei in aller Regel ungeimpft. Deswegen sei es „gut für uns alle“, wenn sich noch
mehr Menschen impfen ließen. Laschet ist ebenfalls für einen parteiübergreifenden Impf-appell. Aber: „Impfpflicht halte ich für falsch.“Baerbock wiederum betont vor allem: Kitas und Schulen müssen offenbleiben.
Wer macht den Unterschied? Scholz will mehr Respekt in der Gesellschaft und zwölf Euro Mindestlohn. Laschet geht es um eine „Richtungsentscheidung“, um Jobs und Klimaziele. Baerbock sagt: „Jetzt muss Politik über sich hinauswachsen.“Wie die Pflegekräfte in der Pandemie über sich hinausgewachsen seien. Und eine Kindergrundsicherung, „um Kinder aus der Armut zu holen“. Zwölf Euro Mindestlohn, betont auch Baerbock. Laschet will ihn in dieser Höhe nicht. Er sagt: Sache der Tarifparteien. Laschet geht in die Offensive. Vermögensteuer, wie es SPD und Grüne wollen? Nein, danke! „Es geht um einen Bäckermeister, dessen Einkommen sein Betrieb ist.“Koalitionen? Vieles bleibt offen. Klar ist: Das Abtasten ist vorbei, der Nahkampf ist eröffnet, es geht in den Schlussspurt. Die letzten Meter entscheiden – genau wie im Sport.