Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Lage bei Borussia ist prekär

Adi Hütter hat von seinem Vorgänger Marco Rose eine Mannschaft ohne Kompass und Selbstvert­rauen übernommen. Die Gladbacher punkten seit acht Monaten wie ein Abstiegska­ndidat. Mutmacher sind nach der 0: 1-Pleite in Augsburg schwer zu finden.

- VON JANNIK SORGATZ

MÖNCHENGLA­DBACH Eine Tabelle für einen beliebigen Zeitraum zu erstellen, ist oft nicht fair, gerade wenn es um zwei verschiede­ne Spielzeite­n unter zwei verschiede­nen Trainern geht. Doch der 15. Februar 2021 ist in den vergangene­n Monaten so häufig als Startpunkt eines solchen Zeitraums benutzt worden, dass es diesmal legitim ist: Es war der Montag, an dem Marco Rose seinen Wechsel von Borussia Mönchengla­dbach zu Borussia Dortmund ankündigte. Widerspruc­h gab es höchstens, weil sich schon früher ansetzen ließ, nämlich bei der Derby-pleite gegen den 1. FC Köln eine Woche vorher, als Rose extrem rotierte und eine Serie endete.

Inklusive dieser 1:2-Niederlage hat Gladbach seit Anfang Februar jetzt 20 Ligaspiele absolviert. Die Bilanz: sechs Siege, drei Unentschie­den, elf Niederlage­n, 33:36 Tore, 21 Punkte. Von allen Mannschaft­en, die damals in der Bundesliga spielten und es heute noch tun, hat in diesem Zeitraum nur eine schwächer gepunktet. Dass es sich dabei um den FC Augsburg handelt und der am Samstag 1:0 gegen Borussia gewann, unterstrei­cht, wie prekär die Lage in Gladbach ist.

Wenn eine Saison Anfang Februar beginnen würde, wäre es also ein Abstiegsgi­pfel gewesen, und zwar kein besonders ansehnlich­er. Um die 70 Prozent betrug Gladbachs Ballbesitz­quote. „Nur gewinnst du mit dieser Statistik halt keine Spiele“, sagte Trainer Adi Hütter. Noch weniger mit dieser: Keinen einzigen Schuss brachte Borussia aufs Augsburger Tor, solch eine Nullnummer hatte sie zuletzt 2016 beim FC Barcelona fabriziert – nun also in Augsburg. Alassane Plea erzielte nach dem einzigen schlüssig vorgetrage­nen Angriff lediglich ein Abseitstor. Dem FCA wiederum reichte ein einziger Schuss aufs Tor für drei Punkte, weil Nico Elvedi in der 80. Minute über den Ball trat, Matthias Ginter den Rückraum ungedeckt ließ und Florian Niederlech­ner von dort zum Sieg traf.

Adi Hütter muss sich fühlen wie ein Trainer, der mitten in der Saison eine Mannschaft ohne Kompass und ohne Selbstvert­rauen übernommen hat. Bis auf die Urlaubszei­t und die EM im Sommer kommt es beinahe hin: Neu im Kader sind nur ein paar Youngster, die wie der USAmerikan­er Joe Scally entweder für rare Lichtblick­e sorgen oder wie der Franzose Manu Koné für ein weiteres Problem stehen – Gladbachs Verletzung­ssorgen. In Augsburg fielen vier Stamm-spieler (Marcus Thuram, Ramy Bensebaini, Jonas Hofmann, Stefan Lainer) aus. Dass Hütter mit seinem Team zuletzt eine komplette Trainingsw­oche absolviere­n konnte und keine Mehrfachbe­lastung hat, ist demnach relativ. „Ich bin keiner, der großartig jammert. Aber es fehlen schon einige Spieler, die dieser Mannschaft guttun“, sagte der Trainer.

Hütter würde gerne neue Grundordnu­ngen etablieren oder zumindest ausprobier­en, aktuell funktionie­rt nicht einmal das gewohnte 4-2-3-1. Und jene Stars, die zur Verfügung stehen, erwecken Mitte September teilweise den Eindruck, sie könnten mal eine Pause gebrauchen. „Das haben wir uns sicherlich ganz anders vorgestell­t. Wir hatten ein schwierige­s Auftaktpro­gramm und es gab einige Neuerungen bei uns, etwa mit dem neuen Trainertea­m“, sagte Kapitän Lars Stindl im „Sportstudi­o“. „Doch wir müssen konstatier­en, dass wir jetzt ein paar Punkte hintendran sind.“

Weniger als vier Zähler aus den ersten fünf Spielen holte Borussia in den vergangene­n zehn Jahren nur 2015. Doch für Vergleiche mit Lucien Favres Rücktritt und der anschließe­nden Aufholjagd unter André Schubert gibt es keinerlei Nährboden. Die nächsten Gegner sind zwei der stabilsten Mannschaft­en dieses Fußballjah­res. Gemeinsam mit dem FC Bayern und dem FSV Mainz 05 stehen Borussia Dortmund und der

VFL Wolfsburg in der Tabelle ab Anfang Februar sogar klar vor dem Rest der Liga.

Die Suche nach Mutmachern verläuft so zäh wie der Saisonstar­t: Die beste Leistung unter Hütter zeigte Gladbach am ersten Spieltag gegen favorisier­te, damals defensiv aber noch anfällige Bayern. Sollten sich die Fohlen gegen den BVB bei Roses Rückkehr in den Borussia-park erneut schwer tun, dann sicher nicht mit 70 Prozent Ballbesitz. Zudem kann Hütter auf seine Erfahrung bauen: Neu in Frankfurt holte er 2018 auch nur vier Punkte aus fünf Spielen, führte die Eintracht aber am Ende ins internatio­nale Geschäft und ins Halbfinale der Europa League. Dass er Letzteres mit Borussia diese Saison auf keinen Fall erreichen kann, hat, wie so viele Dinge in der aktuellen Misere, nicht Hütter verschulde­t.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Nachdenkli­ch: Adi Hütter bei Borussias Niederlage in Augsburg. Einen ähnlichen Fehlstart hat der Österreich­er in Frankfurt hingelegt.

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