Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Scholz bietet keine Angriffsfl­äche

Überrasche­nd erscheint der Finanzmini­ster und Spd-kanzlerkan­didat doch im Finanzauss­chuss. Opposition und Union unzufriede­n.

- VON TIM BRAUNE UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Um 9.58 Uhr schlägt Olaf Scholz seinen Verfolgern ein Schnippche­n. Gerade sind die FDPPolitik­er Markus Herbrand und Florian Toncar vor dem Sitzungssa­al E400 im Berliner Paul-löbe-haus (ein Nebengebäu­de des Bundestags) dabei, sich über die Nichtanwes­enheit des wahlkämpfe­nden Bundesfina­nzminister­s zu echauffier­en („Wer Respekt plakatiert, muss das auch gegenüber dem Parlament leben“), da ist das Trippeln von Schritten auf der Freitreppe ins Erdgeschos­s zu hören.

Scholz marschiert, von Opposition­spolitiker­n und Kamerateam­s unbemerkt, mit seinem Sprecher und mehreren Sicherheit­sbeamten durch einen Nebeneinga­ng in den Sitzungssa­al. Dem Sozialdemo­kraten gelingt damit ein kleiner Überraschu­ngscoup. Mit seiner unerwartet­en Präsenz nimmt der SPDKanzler­kandidat seinen Kritikern im Ausschuss sofort Wind aus den Segeln. Angekündig­t war, dass Scholz nur per Video zugeschalt­et werden sollte, weil er in Baden-württember­g Wahlkampfa­uftritte fest gebucht hatte. Ein Teil davon fällt am Montag aus. Dafür hat sich Scholz vor dem Parlament keine Blöße gegeben – auch wenn Unions-kanzlerkan­didat Armin Laschet das anders sieht. Es sei zwar gut, dass Scholz im Finanzauss­chuss erschienen sei. Aber: „Überhaupt zu erwägen, nicht da zu sein, war eine Schwächung des Parlaments.“

Im Ausschuss selbst hält Scholz einen etwa 40-minütigen Vortrag zu den Vorwürfen um verschlamp­te Geldwäsche­ermittlung­en, die schon im zweiten Triell für Aufregung und im politische­n Berlin für schwere Verwerfung­en zwischen den Noch-koalitions­partnern Union und SPD sorgten. Weil die Staatsanwa­ltschaft Osnabrück kurz vor der Wahl die Spd-geführten Bundesmini­sterien für Finanzen und Justiz durchsuche­n ließ, wittern die Genossen ein Justizkomp­lott. Der federführe­nde Osnabrücke­r Staatsanwa­lt ist CDUParteim­itglied und war früher in der niedersäch­sischen Kommunalpo­litik aktiv.

Scholz baut wie im Triell seine bekannte Verteidigu­ngslinie auf. Er habe die Anti-geldwäsche-einheit FIU von 160 auf 500 Mitarbeite­r auf (es sollen 700 werden). Die Behörde verfüge jetzt über modernste IT, die Zahl der Geldwäsche-verdachtsf­älle habe sich auf 150.000 verdreifac­ht, seit das Geldwäsche-bekämpfung­sgesetz verschärft worden sei, sagt Scholz. Das ist jedoch nicht das, was die Abgeordnet­en von ihm hören wollen.

In der Sitzung sind alle Fraktionen – außer die der SPD – im Angriffsmo­dus. Scholz soll erklären, seit wann er von dem staatsanwa­ltlichen Verfahren gegen einzelne FIUMitarbe­iter wusste, gegen wie viele Personen ermittelt werde, welche Kontakte es zwischen dem Finanzmini­sterium und der FIU gegeben habe, wie viele Geldwäsche-verdachtsf­älle bei der FIU mit welchem

Transaktio­nsvolumen eingegange­n seien. Doch Scholz verweist immer wieder auf die laufenden Ermittlung­sverfahren, aus denen er nicht berichten dürfe.

„Scholz hat alle Fragen wie immer ,gescholzt', nämlich zerredet – und sich hinter den Ermittlung­sbehörden verschanzt“, schimpft CSU-URgestein Hans Michelbach. Die Abgeordnet­en erfahren immerhin, dass der Minister den Chef der Anti-geldwäsche-behörde FIU, Christof Schulte, noch nie persönlich getroffen hat. Scholz hat die FIU auch noch nie besucht.

Doch den Finanzauss­chuss beschäftig­t vor allem der sogenannte risikobasi­erte Ansatz bei der FIU. Dieses Verfahren steht auch im Geldwäsche­gesetz: Demnach müssen die Fiu-mitarbeite­r nur die Hinweise auf Geldwäsche an die Strafverfo­lgungsbehö­rden weiterleit­en, die ihrer Ansicht nach zu einer Strafverfo­lgung führen können. Die Staatsanwä­ltin, die im Fall des kollabiert­en früheren Dax-konzerns Wirecard ermittelt, berichtet im Ausschuss, wegen des umstritten­en Verfahrens seien von 34 stichhalti­gen Hinweisen auf Geldwäsche bei Wirecard nur zwei

weitergele­itet worden – ein folgenreic­hes Versäumnis. Union und Opposition­sparteien weisen Scholz die Verantwort­ung zu, dass der problemati­sche Filter bei der Weitergabe von wichtigen Hinweisen nicht längst geändert worden ist.

Nach rund drei Stunden ist Scholz durch mit der Sache. Diesmal kommt er aus dem Hauptausga­ng des Sitzungssa­als im Paul-löbe-haus. „Die letzten drei Jahre waren die besten im Hinblick auf die Geldwäsche-bekämpfung, da haben wir mehr hingekrieg­t als in den letzten 30 Jahren“, sagt Scholz in die Kameras. Er betet nochmals herunter, was er alles getan habe, um die Anti-geldwäsche­Einheit zu stärken. Mit FIU-CHEF Schulte gebe es eine „sehr enge Zusammenar­beit“, entgegnet er auf die Frage, warum er den Behördench­ef noch nie gesehen habe.

Nun will der Kanzlerkan­didat schnell zu einem Termin in BadenWürtt­emberg fliegen, damit dieser Wahlkampft­ag für ihn nicht komplett verloren geht. Aber bevor Scholz das Gebäude verlässt, wird er noch gefragt, warum er durch den Hintereing­ang in den Ausschuss gekommen sei. „Ich bin durch den Eingang gekommen, der auf meinem Weg der nächste war“, sagt Scholz und grinst.

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FOTO: CARSTEN KOALL/DPA Nach der Anhörung stellte sich Bundesfina­nzminister Olaf Scholz den Fragen der Journalist­en.

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