Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Merkel wird in aller Welt vermisst
Ausländische Journalisten wundern sich über den deutschen Wahlkampf.
BERLIN Als im Weißen Haus noch Donald Trump regiert hat, galt Angela Merkel bei vielen als Hüterin der freien Welt. Selbst in den USA. Zum Ende ihrer Amtszeit wurde sie dort dann auch ausgezeichnet. Doch wie wird die deutsche Kanzlerin in anderen Ländern gesehen? Was hält man in Großbritannien, Österreich oder Japan vom hiesigen Wahlkampf? Ausländische Korrespondenten geben eine Einschätzung – Merkel wird fehlen.
Während ihrer 16-Jährigen Amtszeit absolvierte die Kanzlerin mehr als 20 Besuche im Vereinten Königreich, dreimal wurde sie persönlich von der Queen empfangen. Legendär ist die Szene, in der Elizabeth II. zu ihr sagt: „Sie hatten einen vollen Tag“und Merkel antwortet: „Joa, es ist meine Aufgabe, volle Tage zu haben.“Die Briten hätten ein „sehr ambivalentes Verhältnis zu Merkel“, sagt Guy Chazan, Leiter des Berliner Büros der Londoner „Financial Times“. Seit 2016 berichtet er aus Berlin. Es sei immer viel von ihr erwartet worden. „Sie hatte das Image eines Schutzengels, der uns vor den Härten des Brexits retten würde.“Diese Rolle habe Merkel aber nie gespielt. Viele Menschen in Großbritannien seien noch zu sehr beschäftigt „mit dem Brexit und den Spannungen mit der EU. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Wahlen auf dem Radarschirm der Leute in England sind“, so Chazan. Jun Nojima ist Chefkorrespondent der japanischen Zeitung „The Asahi Shimbun“. Japan ist weit weg. Interessiert dort überhaupt der deutsche Wahlkampf? Er sagt: „Was nach Merkel kommt, wird sehr intensiv in Japan verfolgt.“Deutschland sei das stärkste Land in Europa mit einer besonderen Verantwortung. „Mein Eindruck ist, dass im Wahlkampf aber zu sehr ins Inland geschaut wird. Es gibt kaum Diskussionen über die Außenpolitik. Das ist enttäuschend“, beklagt Nojima. Merkel war das letzte Mal 2019 mit einer großen Wirtschaftsdelegation in Japan. Ihr Erfolg, betont der Korrespondent, „ist bei den japanischen Lesern von großem Interesse. In Japan ist Merkel die beliebteste und bekannteste Person Europas.“
Österreich liegt vor der deutschen Haustür. Dort regiert der 35-jährige Kanzler Sebastian Kurz. Sein Verhältnis zu Merkel galt stets als unterkühlt. Birgit Baumann, seit 2005 Deutschland-korrespondentin der Wiener Tageszeitung „Der Standard“, vermutet freilich: „Vermissen als Garantin für ein stabiles Europa wird man sie auch in Österreich.“Früher sei klar gewesen, Merkel werde Kanzlerin, „es geht wohl so weiter wie bisher. Jetzt ist sogar von einer Regierungsbeteiligung der Linken die Rede – das ist für viele in Österreich unvorstellbar. Dort gibt es ja nicht mal eine linke Partei im Parlament.“
Mit Spannung schaut man auch in Ankara auf die Entwicklungen in Berlin. Das Verhältnis zur Türkei ist nicht sonderlich gut. Allein schon wegen des immer autokratischer regierenden Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Mit ihm handelte vor allem Merkel den Flüchtlingsdeal aus. Ahmet Külahçı ist Kolumnist und Koordinator der Europa-ausgabe der türkischen Tageszeitung „Hürriyet“. Er beklagt ebenfalls, im deutschen Wahlkampf sei die Außenpolitik kaum ein Thema. In der Türkei hoffe man auf eine stabile Regierung nach der Bundestagswahl, die „etwas freundlicher“insbesondere hinsichtlich einer Eu-mitgliedschaft agiere.
Nicht weniger kompliziert ist das Verhältnis zu Russland. Es gibt Sanktionen wegen der Annexion der Krim, die Partnerschaft liegt quasi auf Eis. Viacheslav Filippov,
Chefkorrespondent der russischen Nachrichtenagentur „Tass“, hebt trotzdem hervor: „Die Russen werden Frau Merkel vermissen.“
Demgegenüber ist die Freundschaft zu Frankreich besonders eng. In der vergangenen Woche empfing Präsident Emmanuel Macron die Bundeskanzlerin zu einem letzten Arbeitsessen. In ihrer Regierungszeit musste Angela Merkel mit vier französischen Präsidenten auskommen, mit dem belehrenden Jacques Chirac, mit dem unberechenbaren Nicolas Sarkozy, dem Sozialisten François Hollande und dem Europafreund Macron. Pascal Thibaut, Deutschlandkorrespondent von Radio France Internationale bemerkt, zwar habe es häufiger in der Europapolitik geknirscht zwischen beiden Ländern, „aber in Frankreich ist Merkel sehr populär. Man wusste, woran man war“. Die Frage, die sich die Franzosen nun stellen würden, laute: „Was kommt jetzt?“