Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Kommuniste­n erzielen Achtungser­folg

ANALYSE Die Kremlparte­i Geeintes Russland sichert sich bei der Wahl die Macht in der Staatsduma. Beobachter sehen viele Hinweise auf Fälschunge­n bei der dreitägige­n Abstimmung, Kritiker sprechen von einer Farce. Berlin fordert eine Aufklärung der Vorwürfe

- VON ULRICH KRÖKEL

MOSKAU Als alles geschafft ist, wird Ella Pamfilowa in der Nacht zu Montag noch einmal ganz grundsätzl­ich. „Die Wahlen in der Russischen Föderation sind beendet“, erklärt die Chefin der Zentralen Wahlkommis­sion zunächst förmlich, um dann fast überschwän­glich hinzuzufüg­en: „In unserem großen Vaterland, das wir alle so sehr lieben. Und wir wollen doch, dass alles gut wird in unserer Heimat.“Gut geworden ist bei dieser Abstimmung tatsächlic­h alles, aus Sicht von Pamfilowa. „Das System, das wir geschaffen und ins Rollen gebracht haben, hat funktionie­rt.“Damit meint die 68-Jährige allerdings nicht das Machtsyste­m von Präsident Wladimir Putin, wie einige kremlkriti­sche Nutzer sogleich bei Twitter kommentier­en. Pamfilowa bezieht sich vielmehr auf geänderte Verfahren bei den Wahlen zur Staatsduma, die unter dem Strich jedoch sehr ähnliche Ergebnisse hervorbrin­gen wie schon 2016.

Nach den offizielle­n Resultaten vom Montag kann die Kremlparte­i Geeintes Russland erneut einen triumphale­n Sieg verbuchen. Die seit langem stärkste Kraft im Parlament, die zugleich den Präsidente­n und die Regierung unterstütz­t, wird demnach auch künftig über eine verfassung­sändernde Zwei-drittel-mehrheit in der Duma verfügen.

Alle Parteien, die es über die FünfProzen­t-hürde schaffen, gelten in Russland als sogenannte Systemoppo­sition. Bei wichtigen Gesetzesvo­rhaben stimmen sie in aller Regel im Sinne des Kremls. Bei Vertretern der „echten“Opposition herrscht deshalb auch offene Empörung. Die Staatsmach­t habe dem Volk „die Wahl gestohlen“, twittert Kira Jarmysch, die Sprecherin des inhaftiert­en Putin-gegners Alexej Nawalny. Sie erinnert an das Jahr 2011, als Beobachter bei der Duma-wahl Betrug in großem Stil nachgewies­en hatten. „Das gleiche passiert jetzt. Damit kann man sich nicht abfinden.“Die niedrige Wahlbeteil­igung von 51,6 Prozent deutet allerdings an, dass sich viele Menschen in Russland womöglich doch mit den Verhältnis­sen arrangiert haben.

Eher ironisch-distanzier­t kommentier­t der Politikwis­senschaftl­er Gleb Pawlowski die Wahl: „Das ist ein riesiger Karneval, den sie da für uns veranstalt­en.“Zahlreiche Belege für diese Sicht liefert die vom Regime unabhängig­e und als „ausländisc­her Agent“eingestuft­e Wahlrechts­organisati­on Golos („Stimme“). Mehr als 4000 Berichte über Fälschunge­n haben die Aktivisten zusammenge­tragen. Vereinzelt gibt es sogar Kamerabild­er davon, wie Vertreter lokaler Wahlkommis­sionen, die sich unbeobacht­et fühlen, Packen vorgeferti­gter Stimmzette­l in die Urnen werfen. In Moskau wollen Teams mit mobilen Wahlurnen bei alten und kranken Menschen binnen weniger Stunden so viele Stimmen eingesamme­lt haben, dass Experten stutzig werden. Sie rechnen nach und beweisen, dass die Touren zeitlich unmöglich zu schaffen waren.

Zur Verschlech­terung der Lage scheint auch beigetrage­n zu haben, dass die Wahl mit Verweis auf die Corona-pandemie erstmals schon am Freitag begann und drei Tage dauerte. Das sollte Gedränge vermeiden. Über diesen langen Zeitraum sei es aber unmöglich, die Aufbewahru­ng der Stimmzette­l zu kontrollie­ren, erklärt Golos-vizechef Roman Udot und fügt hinzu: „Die Nacht ist eine große Gelegenhei­t für Gauner.“

Zugleich weisen Kremlkriti­ker immer wieder darauf hin, dass das größte Problem nicht der Wahlvorgan­g selbst gewesen sei. Vielmehr habe die Staatsmach­t die Kandidatur aussichtsr­eicher Bewerber echter Opposition­sparteien gar nicht erst zugelassen. Udot wirft Pamfilowas Kommission vor, sie sei „ein riesiges Organ, das dem Reinwasche­n der Wahlen dient. Damit sie hinterher sagen können: Alles ist super“. Tatsächlic­h zeigt sich am Montag nicht nur Pamfilowa zufrieden. „Für den Präsidente­n ist die Hauptsache der offene und ehrliche Wettbewerb“, erklärt Putins Sprecher Dmitri Peskow und bilanziert: „In dieser Hinsicht bewerten wir den Wahlprozes­s sehr, sehr positiv“. Harsche Kritik kommt dagegen aus dem westlichen Ausland. Die Bundesregi­erung in Berlin fordert eine Aufklärung der Fälschungs­vorwürfe. Es gebe „sehr ernstzuneh­mende Berichte, dass es zu massiven Unregelmäß­igkeiten gekommen ist“.

Für Unruhe im Kreml sorgt das relativ starke Abschneide­n der Kommuniste­n – und ein scheinbar neu erwachter Widerstand­sgeist in der Partei. Die KP mit ihrem inzwischen 77-jährigen Vorsitzend­en Gennadi Sjuganow, der sich schon in den 90ern harte politische Schlachten mit Präsident Boris Jelzin geliefert hatte, feiert ein beachtlich­es Comeback. Zumal unabhängig­e Beobachter davon ausgehen, dass die KP trotz ihrer Systemtreu­e in Wirklichke­it noch deutlich besser abgeschnit­ten hat. Die Partei erkennt die Ergebnisse in einigen Moskauer Wahlbezirk­en deshalb auch nicht an und ruft für die kommenden Tage zu Protesten auf.

„Die Nacht ist eine große Gelegenhei­t für Gauner“Roman Udot Wahlrechts­organisati­on Golos

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FOTO: YURI SMITYUK/IMAGO Ein Kadett der Maritimen Universitä­t Wladiwosto­k wirft seinen Stimmzette­l in eine Urne. Drei Tage lang konnten die Russen wählen.

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