Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Nrw-ärzte lehnen Freedom Day ab
Mit seiner Forderung, zum 30. Oktober die Corona-beschränkungen aufzuheben, löst Kassenärzte-chef Gassen Entrüstung aus. Auch der Bund und Ärzte in NRW halten das mit Blick auf die Impfquote für unverantwortlich.
DÜSSELDORF Es hört sich nach einem baldigen Ende der Pandemie und nach neuer Freiheit an: Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, hat die Aufhebung aller CoronaBeschränkungen zum 30. Oktober gefordert: „Es braucht es jetzt eine klare Ansage der Politik: In sechs Wochen ist auch bei uns Freedom Day!“, sagte Gassen der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Doch in Bund und Land winken die Verantwortlichen ab – für eine solche Maßnahme sei die Impfquote viel zu gering.
Was ist ein Freedom Day? Großbritannien hatte am 19. Juli den Freedom Day, also den Tag der Freiheit, ausgerufen. Premier Boris Johnson hob damals viele Beschränkungen für Restaurants, Clubs oder Konzerte auf. Auch das Tragen von Masken ist gesetzlich nicht mehr vorgeschrieben. Dänemark hat auch Beschränkungen gestoppt, allerdings ist hier die Impfquote höher: 75 Prozent der Dänen sind vollständig geimpft. In Deutschland sind es erst 63 Prozent. In NRW sind 71,7 Prozent der Bürger einmal geimpft, 66,2 Prozent haben hier den vollen Schutz.
Was sagt der Bund? „Es gibt nicht die Grundlage, um zu sagen, der Tag X ist der Tag, an dem alle Beschränkungen fallen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Es gebe gute Gründe, Maßnahmen wie Abstand und Maskenpflicht weiter gelten zu lassen. Er verwies auf noch „deutlich zu viele“Ungeimpfte und große regionale Unterschiede. Besonders gering ist die Impfquote nach aktuellen Daten in Sachsen und Thüringen, wo weniger als 60 Prozent einmal geimpft sind. „Wir wünschen uns mehr Impfungen, ganz besonders auch bei den über 60-Jährigen“, so Seibert. Von ihnen seien vier Millionen noch ungeimpft, obwohl für sie die Delta-variante eine reale Gefahr darstelle.
Was sagen die Ärzte in NRW? Auch in der Ärzteschaft stößt Gassen auf Unverständnis: „Der Vorschlag des Kbv-vorsitzenden zu einem zukünftigen Freedom Day ist grundsätzlich diskutabel, aus unserer Sicht sind allerdings die derzeitigen Infektionsund Hospitalisierungszahlen im Land noch nicht so weit, dass ein generelles Ende der Schutzmaßnahmen medizinisch sinnvoll wäre“, sagte ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein. Er verwies auf die Impfquote der 18bis 59-Jährigen, wo viel Luft nach oben sei. Hier liege die Quote der Durchgeimpften bei gut 72 Prozent, bei den Über-60-jährigen seien es 87 Prozent. Der Spd-gesundheitsexperte Karl Lauterbach twitterte, es werde unterschätzt, wie schwer die nächsten Monate noch sein können ohne eine höhere Impfquote. Corona besiege man nicht mit der Brechstange.
Wie geht es in NRW weiter? Das Nrw-gesundheitsministerium hält sich bedeckt: „Die aktuelle Corona-schutzverordnung gilt bis zum 8. Oktober. Ob es bei der Neufassung oder weiteren Verlängerung der Verordnung zu Verschärfungen oder Lockerungen kommt, kann derzeit nicht prognostiziert werden“, erklärte ein Sprecher. Möglicherweise schließt sich NRW dann dem Vorgehen anderer Länder an und führt eine 2G-regel ein, sodass nur noch Geimpfte und Genesene an Veranstaltungen teilnehmen können.
Wie halten es andere Länder? Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erteilte Gassens Idee eine Absage: „Wir wissen, dass die Infektionszahlen in der kalten Jahreszeit wieder steigen werden. Wir wissen, dass die Patienten in den Intensivstationen jünger werden und deswegen länger dort bleiben müssen“, so Weil. „Unter diesen Umständen brauchen wir auch in den nächsten Monaten einen wirksamen Infektionsschutz. Es gibt nur einen Ausweg: Keinen Freedom Day, sondern eine höhere Impfquote“
Was hat die Woche des Impfens gebracht? Die KV Nordrhein sieht es nüchtern: „Zahlenmäßig hat die Woche des Impfens in NRW keinen wirklichen Schub gebracht hat. Bis Ende der letzten Woche haben wir 79.000 Erstimpfungen verzeichnet.“Der Wert der Impfwoche habe aber den Vorteil, „das Thema erneut ins Bewusstsein der Bevölkerung gebracht zu haben“. Nrw-gesundheitsminister Karl-josef Laumann (CDU) bedankte sich bei den Kommunen, die alles gegeben hätten: „Das Impfen wird mühsamer, aber ich bin überzeugt: Es lohnt sich. Die Kreise und kreisfreien Städte werden weiterhin mobile Impfangebote machen, auch über den September hinaus“, versprach der Minister.