Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
BERLINER REPUBLIK Wahlmarathon in der Hauptstadt
Jeder Berliner hat fünf Stimmen und befindet zudem über einen Volksentscheid.
Homeoffice im Berliner Stadtteil Berlin-prenzlauer Berg hat zur Zeit einen besonderen Spaßfaktor. Es klingelt häufig – und neben Paketboten stehen zweimal wöchentlich Politiker vor der Tür, die sich „einfach mal vorstellen wollen“. Nun ist es nicht etwa so, dass Armin Laschet, Olaf Scholz oder Annalena Baerbock mit einem reden wollen. Sondern es sind Kandidaten jeglicher politischer Couleur, die in die Bezirksverordnetenversammlung gewählt werden wollen. Oder in das Abgeordnetenhaus von Berlin. Oder im Wahlkreis für den Deutschen Bundestag kandidieren.
Auch die Befürworter und Gegner des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“haben viel Redebedarf über ihre jeweilige Argumentation – sie klingeln zwar nicht an den Haustüren, aber jeder Supermarktbesuch führt über zahlreiche Informationsstände.
Man kann da auch schon mal durcheinander kommen mit den vielen Gesichtern, die einem seit Wochen an nahezu jeder Straßenlaterne entgegen lächeln. Es ist ein riesiges Aufgebot an Personal, das die Parteien ins Rennen schicken.
Denn in Berlin ist am 26. September Wahlmarathon – im wahrsten Sinne. Irgendein politischer Schlaumeier kam auf die Idee, an diesem Tag auch noch den Berlin Marathon abzuhalten. Für manchen Hauptstädter wird der Gang zum Wallokal dadurch eher zum Hindernislauf – doch schließlich will man seine sechs Kreuzchen (zwei Stimmen Bundestagswahl, zwei Stimmen Abgeordnetenhauswahl, eine für die Bezirksverodnetenversammlung und ein Kreuz für oder gegen den Volksentscheid) doch setzen.
Fast tröstlich ist da ein bekannter Wahlkämpfer auf dem samstäglichen Markt. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verteilt Wahlzettel für die SPD. Ausgerechnet auf dem Markt vor seiner Haustür, den er vor Jahren mal in eine Nachbarstraße verlegen lassen wollte. Und freut sich sichtlich, wenn man ihm einen abnimmt. Seine Prognose: „Spannend wird's.“
Unsere Autorin ist Leiterin des Berliner Parlamentsbüros. Sie wechselt sich hier mit ihrem Stellvertreter Jan Drebes und Elisabeth Niejahr, der Geschäftsführerin der Hertie-stiftung, ab.