Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Fast am Ziel
Landesverkehrsminister Hendrik Wüst gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Armin Laschet als Chef der CDU in NRW und Ministerpräsident.
DÜSSELDORF
Mit großen Schritten schreitet Hendrik Wüst auf den Sandhügel neben der Landstraße 671 zwischen Ascheberg und Drensteinfurt zu. In der Hand hält der Cdu-politiker eine unbenutzte Schaufel. Während die anderen Honoratioren nur zögerlich hinzutreten, ist dem NRWVerkehrsminister eine jungenhafte Freude anzumerken. Lachend orchestriert der 46-Jährige die Landräte, Bürgermeister und Vertreter von Straßen NRW, die inzwischen ebenfalls mit Schaufeln ausgerüstet etwas unschlüssig vor dem Sandhügel stehen: „Ich zähle von drei auf eins runter, und dann schmeißen wir schön Richtung Fotografen.“Spatensticherfahrung, ulkt eine Zuschauerin.
Er wisse schon, dass das ein anachronistisches Ritual sei, sagt Wüst etwas später auf dem Rücksitz seiner Dienstlimousine, während das Münsterland draußen am Fenster vorbeizieht. Aber es ist eben auch eines, das den Fortschritt bei der Bautätigkeit in NRW unter seiner Zeit als Verkehrsminister verdeutlicht. In Wüsts Büro im Düsseldorfer Stadttor stehen die gesammelten Spaten aller Wüst'schen Spatenstiche rechts neben der Eingangstür aufgereiht an der Wand. Dass die beachtliche Sammlung trotz der weiterhin regen Bautätigkeit des Landes künftig nennenswert wachsen dürfte, ist eher unwahrscheinlich. Wüst gilt als aussichtsreichster Kandidat, um Armin Laschet als Cdu-landesvorsitzender und Ministerpräsident zu beerben.
Als Wüst an diesem Morgen um 9.15 Uhr vor seinem Ministerium in den Dienstwagen steigt, hat er bereits lesen können, dass der CDU-KANZlerkandidat im Interview mit unserer Redaktion noch einmal klargestellt hat, sein Platz werde unabhängig vom Wahlausgang am Sonntag in Berlin sein. Dass Laschet noch wortbrüchig werden könnte, glauben in der NRW-CDU nur noch vereinzelte, ältere Fahrensleute. Wüst ist entsprechend gut gelaunt, auch wenn er den Kaffee, mit dem er üblicherweise im Büro in den Tag startet, wegen des dicht gedrängten Terminkalenders ausfallen lassen musste. Die eine Stunde Spielen mit der sechs Monate alten Tochter war ihm dagegen heilig.
Wenn auf der Fahrt ins Münsterland eine neue Landstraße, Brücke oder ein im Bau befindlicher Autobahnrastplatz vorbeiziehen, fährt Wüst den Sonnenschutz herunter und referiert aus dem Stegreif die Projektkosten, spricht begeistert von den Chancen innovativer Bautechniken und über kürzere Planungszeiträume. Vom Generalisten als JU-LANdeschef und später Generalsekretär der NRW-CDU hat er sich im Kabinett von Armin Laschet seit 2017 den Ruf des geachteten Fachpolitikers erarbeitet. Wüst gilt als fleißig, gut vernetzt bis ins Bundesverkehrsministerium hinein und auch als lernfähig. Ein älterer Referatsleiter habe ihn mal respektvoll zu Beginn seiner Amtszeit beiseite genommen und ihm den Tipp gegeben, nicht aus jedem an den Minister herangetragenen Problem sofort einen offiziellen Dienstvorgang zu machen. Den Rat hat Wüst beherzigt. Während er auf der Rückbank Telefonschalten absolviert, Kurznachrichten schreibt und die Lage der CDU in Bund und Land analysiert, wandert nebenbei ein Zettel nach dem anderen mit handschriftlichen Notizen an ihn selbst in die Wiedervorlagemappe, um dann gesammelt in größerer Runde abgesprochen und auf dem kurzen Dienstweg geklärt zu werden. Wüst mag Tempo und Effizienz.
Es gebe keinen Termin, der nicht vorbereitet sei, sagt er und fischt aus seiner Mappe eine Klarsichtfolie mit Details zur Fertigstellung des Knotenpunkts B70/A30 in Rheine, Termin Nummer eins an diesem Morgen. Wüst liest auf der Rückbank die vorbereitete Rede quer. Es ist allenfalls eine Rückfallposition. Die Stichworte braucht er nicht, nur für die Namen der geladenen Gäste. Aber es ist eine Erfahrung, die er in den 31 Jahren seiner politischen Karriere gemacht hat: „Sei immer vorbereitet und bleib bei Deiner Botschaft.“Tatsächlich ähneln sich die Botschaften bei allen Terminen an diesem Tag:
„Abbau von Planungshemmnissen, weniger Klageinstanzen, mehr Tempo bei der Umsetzung“. Mit diesen Schlagworten punktet man bei Wirtschafts- und Kommunalvertretern.
Im Restaurant des Autohofs „Rosi's“in Salzbergen, wo sonst Trucker Riesencurrywürste und Grillplatten verdrücken, steht ein Plakat mit einer Luftaufnahme des Verkehrsknotenpunkts A30/B70, der an diesem Tag eingeweiht wird. Hinter Wüst ein Poster mit ortsansässigen Privatsponsoren – eine heikle Angelegenheit. „Ich fühle mich hier wie nach dem Fußballspiel, wenn die Fußballstars Interviews geben“, scherzt er mit Blick auf das Plakat mit Logos von Mcdonald's, Burger King, MAN und anderen Firmen, die den Gemeinden bei der Finanzierung der Projekte unter die Arme gegriffen haben, um das Bautempo zu erhöhen. Das Land dürfe das rechtlich nicht, sagt Wüst. „Die erste Reaktion meiner Fachabteilung war: ,Gehen Sie da bloß nicht hin. Das darf alles gar nicht passieren.` Da hab ich mir gedacht, jetzt gehe ich erst recht da hin, um danke zu sagen.“
Wer Wüsts Biografie kennt, weiß um sein schwieriges Verhältnis zum Sponsoring. Vor elf Jahren hat es den Nachwuchspolitstar, der bei der NRW-CDU für die Abteilung Attacke zuständig war, so in die Defensive gedrängt, dass das Karriereende drohte. Wüst musste nach einer Affäre um Gespräche mit Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gegen Spenden („Rent-a-rüttgers“) zurücktreten. Am Ende ging die Wahl für Rüttgers nach nur einer Amtszeit verloren. Bis heute wird diese Niederlage auch Wüst angekreidet, innerparteiliche Gegner streuen, es könnte aus dieser Zeit durchaus noch Unangenehmes hochkochen. Belege sind sie dafür bislang schuldig geblieben.
Wüst schaffte die Trendwende, fokussierte sich auf Wirtschaftspolitik, wurde 2013 Landesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung und im Nebenjob Geschäftsführer beim Verlegerverband. Zugleich fuhr er die verbalen Frontalangriffe zurück und wirkte fortan sehr viel milder – und auch wohl einem breiteren Publikum vermittelbar. Ein Sozialdemokrat bringt es auf die Formel: „Minister Wüst grüßt einen freundlich im Landtag, das gilt nicht für jedes Kabinettsmitglied.“Wüst vermittelt in diesen Tagen nach außen trotz der Frage um seine persönliche Zukunft eine bemerkenswerte Unerschütterlichkeit. Ein prominentes Mitglied der NRW-CDU antwortet auf die Frage, wie gut seine Chancen für die Laschet-nachfolge stünden: „Nahezu 100 Prozent. Denn es gibt nicht eine logische Alternative.“
Das dürften Kandidaten wie die Nrw-bauministerin und Landesvorsitzende der Frauen-union, Ina Scharrenbach, sowie Cdu-fraktionschef Bodo Löttgen anders sehen. Und auch Nrw-innenminister Herbert Reul, dem Ambitionen auf den Cdu-landesvorsitz als Krönung seiner politischen Karriere nachgesagt werden, passt in den Reigen der Wüst-gegner. Allerdings hat der Verkehrsminister, der als hervorragender Netzwerker gilt, eine extrem breite Basis hinter sich geschart – für einen MIT-CHEF mit teils unerwarteten Unterstützern. „Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass wir am Sonntag im Fotofinish vorne liegen. Das hat oberste Priorität“, sagt der Landesvorsitzende des Arbeitnehmerflügels CDA, Dennis Radtke, und fügt hinzu: An Hendrik Wüst führe seines Erachtens kein Weg vorbei. „Zudem ist völlig klar: Beide Ämter, also der Landesvorsitz und das Amt des Ministerpräsidenten, gehören in eine Hand.“Wenn Wüst bereitstehe, böte sich der CDU in NRW eine große Chance, die sie nutzen sollte, sagt ein weiterer ranghoher Funktionsträger. Einerseits bestünde die Möglichkeit, dass er schnell zum Ministerpräsidenten gewählt würde. „Vor allem aber wäre dies mit einem glaubhaften Generationenwechsel und einer inhaltlichen Erneuerung verbunden, die auch in unserer Landespartei notwendig sind.“
Wüst bringt anders als Scharrenbach das Landtagsmandat mit, um zum Regierungschef gewählt zu werden und wenigstens noch ein paar Wochen Amtsbonus für den Landtagswahlkampf zu sammeln. Doch auch wenn es heißt, er habe bis auf Herbert Reul alle mächtigen Bezirksvorsitzenden auf seiner Seite – wenn auch mit unterschiedlich stark brennendem Herzen –, noch dazu die Junge Union, die Mittelstandsvereinigung, die Senioren-union und den Arbeitnehmerflügel, werden die innerparteilichen Gegner alles versuchen, um ihn noch zu verhindern.
Wie schwierig die Suche nach einem Laschet-nachfolger für die NRW-CDU werden könnte, zeigt sich an diesem Tag auch vor einem Fachwerkhaus zwischen Tecklenburg-brochterbeck und IbbenbürenDörenthe. Im Schatten eines Baumes stehen ein Rednerpult und ein paar Stehtische. Und die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek. Sie wohnt nur ein paar Hundert Meter entfernt und ist an diesem Tag als Bürgerin mit vor Ort. Wüst will sich bei der Baustelle ein Bild vom Fortschritt des Bürgerradwegs machen, den der gleichnamige Verein zwischen den beiden Ortsteilen baut. Am Rande der Veranstaltung sagt Karliczek, die aufreibenden Ereignisse bei der Suche nach einem CDUBundesvorsitzenden dürften sich im Land nicht wiederholen. Ob es dann aus ihrer Sicht und aus landsmannschaftlicher Verbundenheit Zeit für einen Münsterländer sei? Karliczek zuckt mit den Schultern. „Oder für eine Frau?“, fragt sie zurück.
„Wenn Sie fertig sind, komme ich wieder und schneide ein Band durch“, sagt Wüst zum Abschied in Ibbenbüren. „Das machen Minister am liebsten.“In welcher Funktion er dann tatsächlich kommt, wird sich in den kommenden Wochen entscheiden.