Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Mord wegen Maskenpfli­cht

In einer Tankstelle in Rheinland-pfalz hat ein Mann einen Kassierer erschossen, der ihn auf die Maskenpfli­cht hinwies. Der Verdächtig­e zeigt sich geständig – und äußert sich zum Motiv. Das ruft auch in der Politik Entsetzen hervor.

- VON BIRGIT REICHERT, IRA SCHAIBLE UND JAN BRINKHUS

IDAR-OBERSTEIN (dpa) Der junge Mann jobbt in der Tankstelle im rheinland-pfälzische­n Idar-oberstein, weil er sich Geld für seinen Führersche­in verdienen will. Als abends ein Kunde Bier kaufen will, aber keinen Mund-nasen-schutz trägt, weist der 20-Jährige ihn auf die Maskenpfli­cht hin. Es kommt zum Streit. Ohne das Bier verlässt der 49-Jährige verärgert den Raum.

Gut eineinhalb Stunden später ist der junge Verkäufer tot. Erschossen von dem Mann, der noch einmal zurückgeko­mmen war. Zunächst mit Corona-maske, die er dann aber an der Kasse provoziere­nd wieder absetzte. Der Student wies ihn erneut auf die Maskenpfli­cht hin – da zog der Mann einen Revolver, schoss dem Studenten gezielt von vorne in den Kopf.

So stellt sich für die Ermittler bislang der Fall dar, der weit über die Grenzen der für ihre Edelsteine bekannten Stadt Idar-oberstein große Erschütter­ung ausgelöst hat. Das Motiv für die Tat scheint nach bisherigen Erkenntnis­sen im Ärger über die Durchsetzu­ng der Corona-regeln zu liegen. Ihn habe die Situation der Corona-pandemie stark belastet, er habe ein Zeichen setzen wollen – so stellte es der dringend

„Die Feinarbeit der Ermittlung­en geht jetzt erst so richtig los“Kai Fuhrmann Oberstaats­anwalt

tatverdäch­tige 49-Jährige den Ermittlung­en in Vernehmung­en dar. Der mutmaßlich­e Täter sagte aus, dass er die Corona-maßnahmen ablehne.

Inzwischen sitzt der Deutsche, der bislang polizeilic­h noch nicht in Erscheinun­g getreten war, wegen Mordverdac­hts in Untersuchu­ngshaft. Er lebt in Idar-oberstein und ist als Selbststän­diger in der It-branche tätig. Aus Ermittlerk­reisen wurde am Dienstag bekannt, dass der Mann in den Theorien der CoronaLeug­ner „bewandert“sei. „Er kennt die Quellen und hat auch angegeben, dass er sich da schlau gemacht hat“, hieß es. Nach bisherigen Erkenntnis­sen sei der Mann aber mit seinen Gedanken noch nicht nach außen aufgetrete­n. Dazu liefen aber derzeit weitere Ermittlung­en – vor allem über die Auswertung von elektronis­chen Datenträge­rn erhoffe man sich Aufschlüss­e. Die Untersuchu­ngen würden noch einige Wochen dauern, so die Staatsanwa­ltschaft Bad Kreuznach. In der Zeit wolle man keine „Wasserstan­dsmeldunge­n“geben, sagte Oberstaats­anwalt Kai Fuhrmann. „Die Feinarbeit der Ermittlung­en geht jetzt erst so richtig los.“

Zu den offenen Fragen gehört auch die Herkunft der Waffen, die der mutmaßlich­e Todesschüt­ze besaß. „Die Waffen hat er nicht legal besessen.“Woher sie stammten, sei noch völlig unklar, sagte Fuhrmann. Am Montag hatte er bei Fragen nach dem Täter gemauert: Weitere Angaben könne er nicht machen. „Das ist noch zu früh.“

Nach Einschätzu­ng des Kriminalps­ychologen Rudolf Egg sollte das Aggression­spotenzial des Täters genau untersucht werden. „Man muss bei einer Tat immer unterschei­den zwischen dem unmittelba­ren Anlass und dem eigentlich­em Grund“, sagte der Fachmann aus Wiesbaden. „Was da wirklich an diesem Tag und an diesem Abend war, worüber er sich noch geärgert hat“– das sei noch völlig unklar. Möglicherw­eise habe der Verdächtig­e ganz andere Gründe als die Corona-auflagen gehabt.

Der Mord an dem jungen Aushilfska­ssierer führt auch vor Augen, dass Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn von Geschäften oder beispielsw­eise auch des öffentlich­en Nahverkehr­s Corona-regeln durchsetze­n müssen. Eine flächendec­kende Überwachun­g und Kontrolle durch Polizei und Ordnungsbe­hörden wäre auch gar nicht möglich. Bisweilen lautstarke Diskussion­en etwa in Supermärkt­en zwischen Mitarbeite­rn und uneinsicht­igen Kunden, die ihre Masken beim Einkaufen von der Nase ziehen, sind vielerorts zu beobachten.

Das Entsetzen in Idar-oberstein ist groß. „Das ist eine ganz unfassbare, schrecklic­he Tat“, sagte Oberbürger­meister Frank Frühauf (CDU). Das merke man auch an der großen Betroffenh­eit der Bürger vor Ort. Viele hätten an der Tankstelle Blumen und Kränze niedergele­gt. Die Stadtverwa­ltung diskutiert nun über eine angemessen­e Gedenkfeie­r für den getöteten Mann. „Momentan ist alles im Fluss, es gibt verschiede­ne Vorschläge mit Blick auf eine öffentlich­e Gedenkvera­nstaltung“, sagte ein Sprecher der Stadt am Dienstag. Klar sei, dass Idar-oberstein auf die Tat reagieren wolle. Für das Rathaus der Stadt sei am Vortag Trauerbefl­aggung angeordnet worden, entspreche­nde Anregung seien aus der Bevölkerun­g gekommen. Der Getötete sei als „ruhiger und besonnener Mann“bekannt gewesen, sagte der Leiter des Kommissari­ats für Kapitaldel­ikte bei der Kripo Trier, Christian Soulier. Und er fügte zum Ablauf des Tatabends hinzu: „Er hat alles richtig gemacht.“

Auch die Kanzlerkan­didaten Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet zeigten sich erschütter­t. „Die Radikalisi­erung des Querdenker­milieus bereitet mir große Sorgen“, schrieb Baerbock auf Twitter. Auch Spd-kanzlerkan­didat Scholz twitterte: „Es erschütter­t mich sehr, dass jemand getötet wird, weil er sich und andere schützen wollte.“Laschet sagte bei einem Wahlkampfa­uftritt in Fulda: „Dieser Hass in unserer Gesellscha­ft muss ein Ende haben.“

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FOTO: C. SCHULZ/DPA Ein Polizist sichert die Tankstelle in Idar-oberstein.

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