Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ära der Individualisten
Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Erling Haaland und Robert Lewandowski gieren nach Erfolg und Toren. Ihre individuelle Klasse überstrahlt oftmals den Aspekt der mannschaftlichen Geschlossenheit.
DÜSSELDORF Sieg oder Niederlage, schwarz oder weiß, dazwischen gibt es für Cristiano Ronaldo nichts. Der Portugiese will gewinnen. Immer und überall. Dass seine Rückkehr zu Manchester United mehr als eine romantische Heimkehr ist, sollte also nicht überraschen.
Und natürlich hat Ronaldo sofort klargestellt, dass er nicht vorhat, sich auf seinen Erfolgen aus der Vergangenheit auszuruhen. Er will mehr. „Ich bin nicht gekommen, um Urlaub zu machen. Früher war schön, ich habe wichtige Titel gewonnen und dieses Trikot schon vor vielen Jahren getragen. Aber ich bin hier, um wieder zu gewinnen“, sagte Ronaldo, der auch weiß, dass er dafür seine Teamkollegen braucht. Überzeugen muss er in Manchester jedoch niemanden.
Welchen Einfluss er auf das Team hat, welches bestückt ist mit Nationalspielern aus vielen Ländern, offenbarte sich dabei aber nicht nur auf dem Rasen. Seine eiserne Disziplin und sein Wille, dem Erfolg alles unterzuordnen, scheint auf sein Umfeld einschüchternd zu wirken, wie Lee Grant, Ersatzkeeper der Red Devils, nach Ronaldos Debüt im Gespräch mit „Talksport“verriet: „Wir saßen am Freitag beim Abendessen im Hotel, und normalerweise darf man sich dann etwas gönnen. Es gab Apple Crumble, Vanillepudding, Brownies und solche Sachen. Aber kein einziger Spieler hat davon etwas angefasst. Alle saßen still da und einer fragte mich: ‚Was hat Cristiano auf seinem Teller?`“. Der Respekt vor dem neuen Anführer ist groß.
Ronaldo, so hofft man bei United, könnte das fehlende Puzzleteil sein: Jener Spieler, der mit seiner Klasse vorweggeht und Verantwortung übernimmt. Immerhin wartet United seit 2013 sehnsüchtig auf den 21. Meistertitel.
In der Bundesliga rettete Erling Haaland Borussia Dortmund zuletzt immer wieder mit seiner individuellen Klasse. Neuerdings sogar mit Kopfball-toren, was seinen Trainer Marco Rose dazu veranlasste, eine Warnung an die Konkurrenz zu schicken: „Wenn er die Qualität jetzt auch noch hat, dann ui-ui – dann viel Spaß an alle anderen, die noch auf uns warten.“Dabei dürfte ein Blick auf die Torquote des Norwegers als Warnung reichen: 68 Treffer in 67 Bvb-pflichtspielen. In der Champions League ist sie mit einem Durchschnitt von 1,2 Toren pro Spiel noch imposanter. Für Haaland nicht gut genug. Der Angreifer ärgerte er sich zuletzt öffentlich darüber, zu wenige Tore zu schießen.
Doch sind nicht nur die Tore des erst 21-Jährigen von enormen Wert für den BVB. Auch seine Persönlichkeit und Charakter stechen heraus.
Unbändiger Wille gepaart mit extremen Ehrgeiz und einem ausgeprägten Selbstbewusstsein machen ihn schon in jungen Jahren zum Vorbild. Auch die Mitspieler werden so an ihre Leistungsgrenze getrieben. Darüber hinaus peitscht er das Dortmunder Publikum mit Gesten während eines Spiels nach vorne. Beim BVB sind ihm längst alle verfallen.
Es dürfte dennoch etwas ungewohnt sein, dass fußballerischer Individualismus den vielseits gepredigten Aspekt der mannschaftlichen Geschlossenheit ersetzt. Doch sind es aktuell wieder die Einzelspieler, die ihre Teams prägen. Ob nun Ronaldo, Haaland oder Lionel Messi, der beim FC Barcelona eine Ära prägte und nun bei Paris St. Germain eine neue Herausforderung angeht.
Für einen, bei dem die Mannschaft immer an erster Stelle steht, ist Thomas Müller. Der mittlerweile 32-Jährige hat in seiner langen Karriere schon einiges erlebt und weiß genau, worauf es ankommt. „Wir sind ein Team, das nur erfolgreich sein kann, wenn das Gesamte funktioniert. Wir haben nicht diesen einen Einzelspieler, der die Fußballwelt überragt“, sagte Müller vor der Europameisterschaft 2021. Gerade die Nationalmannschaft sei immer dank mannschaftlicher Geschlossenheit bei Turnieren erfolgreich gewesen, der Titelgewinn 2014 bestärkt ihn in seinen Aussagen. „Wenn wir erfolgreich waren, dann waren wir als Mannschaft erfolgreich. Das ist eine Stärke der Fußballnation Deutschland.“
Müller weiß jedoch auch, wie es ist, mit einem Spieler zusammenzuspielen, der eine Mannschaft durch seine individuelle Stärke tragen kann. Seit 2014 spielt er beim FC Bayern an der Seite von Robert Lewandowksi, einem Torjäger, der sich lautstark beschwert, wenn seine Mitspieler ihm nicht genügend Bälle servieren. Mit Erfolg. 305 Treffer hat der Pole in 336 Spielen für den Rekordmeister erzielt. In der vergangenen Saison mit unfassbaren 41 Toren den Bundesliga-rekord von Gerd Müller geknackt. Am Dienstag bekam er den goldenen Schuh als bester Torschütze Europas verliehen. Angesichts dessen drückt man bei Ego-anfällen mal ein Auge zu.
Der Angreifer ist sich dennoch bewusst, dass purer Egoismus auf dem Platz nicht zielführend ist. Schließlich gehe es nicht allein um Tore, sagte Lewandowski jüngst und betonte, dass er „immer eine Stufe besser werden möchte“. Dazu gehört es eben auch, den besser postierten Mann zu sehen. Eine Entwicklung, die Müller in gewohnter Manier kommentierte: „Ich habe nachgefragt, ob er nicht fit ist, oder ob er das nächste Level erreicht hat, weil er jetzt auf einmal Bälle im Strafraum für einen besser Postierten durchlässt.“Natürlich trifft Lewandowski auch weiterhin am liebsten selbst, doch hat er verstanden, dass es auch ihm hilft, wenn die Mannschaft gut spielt. Und das tut sie. Nach fünf Spielen ist der FC Bayern Tabellenführer der Bundesliga – und auch er steht in der Torjägerliste ganz oben. Gemeinsam mit Haaland.