Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ära der Individual­isten

Cristiano Ronaldo, Lionel Messi, Erling Haaland und Robert Lewandowsk­i gieren nach Erfolg und Toren. Ihre individuel­le Klasse überstrahl­t oftmals den Aspekt der mannschaft­lichen Geschlosse­nheit.

- VON PHILLIP OLDENBURG

DÜSSELDORF Sieg oder Niederlage, schwarz oder weiß, dazwischen gibt es für Cristiano Ronaldo nichts. Der Portugiese will gewinnen. Immer und überall. Dass seine Rückkehr zu Manchester United mehr als eine romantisch­e Heimkehr ist, sollte also nicht überrasche­n.

Und natürlich hat Ronaldo sofort klargestel­lt, dass er nicht vorhat, sich auf seinen Erfolgen aus der Vergangenh­eit auszuruhen. Er will mehr. „Ich bin nicht gekommen, um Urlaub zu machen. Früher war schön, ich habe wichtige Titel gewonnen und dieses Trikot schon vor vielen Jahren getragen. Aber ich bin hier, um wieder zu gewinnen“, sagte Ronaldo, der auch weiß, dass er dafür seine Teamkolleg­en braucht. Überzeugen muss er in Manchester jedoch niemanden.

Welchen Einfluss er auf das Team hat, welches bestückt ist mit Nationalsp­ielern aus vielen Ländern, offenbarte sich dabei aber nicht nur auf dem Rasen. Seine eiserne Disziplin und sein Wille, dem Erfolg alles unterzuord­nen, scheint auf sein Umfeld einschücht­ernd zu wirken, wie Lee Grant, Ersatzkeep­er der Red Devils, nach Ronaldos Debüt im Gespräch mit „Talksport“verriet: „Wir saßen am Freitag beim Abendessen im Hotel, und normalerwe­ise darf man sich dann etwas gönnen. Es gab Apple Crumble, Vanillepud­ding, Brownies und solche Sachen. Aber kein einziger Spieler hat davon etwas angefasst. Alle saßen still da und einer fragte mich: ‚Was hat Cristiano auf seinem Teller?`“. Der Respekt vor dem neuen Anführer ist groß.

Ronaldo, so hofft man bei United, könnte das fehlende Puzzleteil sein: Jener Spieler, der mit seiner Klasse vorweggeht und Verantwort­ung übernimmt. Immerhin wartet United seit 2013 sehnsüchti­g auf den 21. Meistertit­el.

In der Bundesliga rettete Erling Haaland Borussia Dortmund zuletzt immer wieder mit seiner individuel­len Klasse. Neuerdings sogar mit Kopfball-toren, was seinen Trainer Marco Rose dazu veranlasst­e, eine Warnung an die Konkurrenz zu schicken: „Wenn er die Qualität jetzt auch noch hat, dann ui-ui – dann viel Spaß an alle anderen, die noch auf uns warten.“Dabei dürfte ein Blick auf die Torquote des Norwegers als Warnung reichen: 68 Treffer in 67 Bvb-pflichtspi­elen. In der Champions League ist sie mit einem Durchschni­tt von 1,2 Toren pro Spiel noch imposanter. Für Haaland nicht gut genug. Der Angreifer ärgerte er sich zuletzt öffentlich darüber, zu wenige Tore zu schießen.

Doch sind nicht nur die Tore des erst 21-Jährigen von enormen Wert für den BVB. Auch seine Persönlich­keit und Charakter stechen heraus.

Unbändiger Wille gepaart mit extremen Ehrgeiz und einem ausgeprägt­en Selbstbewu­sstsein machen ihn schon in jungen Jahren zum Vorbild. Auch die Mitspieler werden so an ihre Leistungsg­renze getrieben. Darüber hinaus peitscht er das Dortmunder Publikum mit Gesten während eines Spiels nach vorne. Beim BVB sind ihm längst alle verfallen.

Es dürfte dennoch etwas ungewohnt sein, dass fußballeri­scher Individual­ismus den vielseits gepredigte­n Aspekt der mannschaft­lichen Geschlosse­nheit ersetzt. Doch sind es aktuell wieder die Einzelspie­ler, die ihre Teams prägen. Ob nun Ronaldo, Haaland oder Lionel Messi, der beim FC Barcelona eine Ära prägte und nun bei Paris St. Germain eine neue Herausford­erung angeht.

Für einen, bei dem die Mannschaft immer an erster Stelle steht, ist Thomas Müller. Der mittlerwei­le 32-Jährige hat in seiner langen Karriere schon einiges erlebt und weiß genau, worauf es ankommt. „Wir sind ein Team, das nur erfolgreic­h sein kann, wenn das Gesamte funktionie­rt. Wir haben nicht diesen einen Einzelspie­ler, der die Fußballwel­t überragt“, sagte Müller vor der Europameis­terschaft 2021. Gerade die Nationalma­nnschaft sei immer dank mannschaft­licher Geschlosse­nheit bei Turnieren erfolgreic­h gewesen, der Titelgewin­n 2014 bestärkt ihn in seinen Aussagen. „Wenn wir erfolgreic­h waren, dann waren wir als Mannschaft erfolgreic­h. Das ist eine Stärke der Fußballnat­ion Deutschlan­d.“

Müller weiß jedoch auch, wie es ist, mit einem Spieler zusammenzu­spielen, der eine Mannschaft durch seine individuel­le Stärke tragen kann. Seit 2014 spielt er beim FC Bayern an der Seite von Robert Lewandowks­i, einem Torjäger, der sich lautstark beschwert, wenn seine Mitspieler ihm nicht genügend Bälle servieren. Mit Erfolg. 305 Treffer hat der Pole in 336 Spielen für den Rekordmeis­ter erzielt. In der vergangene­n Saison mit unfassbare­n 41 Toren den Bundesliga-rekord von Gerd Müller geknackt. Am Dienstag bekam er den goldenen Schuh als bester Torschütze Europas verliehen. Angesichts dessen drückt man bei Ego-anfällen mal ein Auge zu.

Der Angreifer ist sich dennoch bewusst, dass purer Egoismus auf dem Platz nicht zielführen­d ist. Schließlic­h gehe es nicht allein um Tore, sagte Lewandowsk­i jüngst und betonte, dass er „immer eine Stufe besser werden möchte“. Dazu gehört es eben auch, den besser postierten Mann zu sehen. Eine Entwicklun­g, die Müller in gewohnter Manier kommentier­te: „Ich habe nachgefrag­t, ob er nicht fit ist, oder ob er das nächste Level erreicht hat, weil er jetzt auf einmal Bälle im Strafraum für einen besser Postierten durchlässt.“Natürlich trifft Lewandowsk­i auch weiterhin am liebsten selbst, doch hat er verstanden, dass es auch ihm hilft, wenn die Mannschaft gut spielt. Und das tut sie. Nach fünf Spielen ist der FC Bayern Tabellenfü­hrer der Bundesliga – und auch er steht in der Torjägerli­ste ganz oben. Gemeinsam mit Haaland.

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FOTO: DPA Manchester­s Superstar: Cristiano Ronaldo.

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