Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die EM als Olympia-ausgleich für Vielseitig­keitsreite­rin Klimke

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AVENCHES (dpa) Die Folgen ihres schweren Sturzes spürt Ingrid Klimke am wenigsten, wenn sie auf einem Pferd sitzt. Nur wenn die AusnahmeVi­elseitigke­itsreiteri­n absteigt, stört sie bisweilen die Schwäche im linken Arm im normalen Alltag. Dass die 53-Jährige aus Münster nur so kurze Zeit nach dem Unfall Ende Mai wieder im Sattel sitzt und nun bei den Europameis­terschafte­n im schweizeri­schen Avenches wieder um Titel reitet, ist Ergebnis ihres Willens – und ein kleines Wunder.

„Es hätte auch schlimmer ausgehen können“, sagt Klimke. Beim Vielseitig­keitsturni­er in Baborówko in Polen war sie am 30. Mai mit ihrer jungen Stute Cascamara gestürzt. „Ein Missverstä­ndnis“zwischen ihr und dem Pferd, wie sie der „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“erklärte. Cascamara blieb an einem Hindernis hängen. Klimke fiel, die Stute stürzte neben sie. Als das Pferd aufstand, rollte es sich über seine Reiterin.

Klimkes Brustbein wurde bei dem

Unfall gebrochen, das Schlüsselb­ein nach innen gesprengt. Die Luftröhre wurde dadurch gedrückt. Das Atmen, das Sprechen und auch das Schlucken fielen ihr lange schwer. Ihr Glück war, dass Teamarzt Manfred Giensch bei dem Unfall dabei war.

Sechs Wochen war Klimke mehr oder minder ruhig gestellt. Für jemanden wie sie, die einen kaum zu stoppenden Aktivitäts­drang hat, etwas Ungewohnte­s. Denn sie ist nicht nur Berufsreit­erin, leitet ihren eigenen Stall und bildet Pferde aus. Sie arbeitet auch als Dozentin bei Lehrgängen, ist sozial vielfältig engagiert, schreibt Bücher, gibt zwei Mal im Jahr ein Magazin mit ihrem Namen als Titel heraus.

Doch nun wurde Geduld von ihr gefordert. Intensive Physiother­apie stand auf ihrem Tagesprogr­amm. Nach neun Wochen durfte sie erstmals wieder auf ein Pferd steigen. Schon Mitte August war Klimke mit Hale Bob bei einem Turnier in Belgien unterwegs. Und der 17 Jahre alte

Wallach trug sie förmlich zum Sieg.

Neben den Verletzung­en schmerzte es sie, ihre sechste Olympia-teilnahme zu verpassen. Die Goldmedail­le für Julia Krajewski mit Amande de B'neville und das deutsche Pech im Team-wettbewerb in Tokio verfolgte die zweimalige Olympiasie­gerin am Fernseher.

Ihre Lockerheit und ihre Offenheit im Umgang mit Menschen haben Ingrid Klimke zu einer Vorzeigefr­au des deutschen Reitens gemacht. Ihr Standing zeigte sich im

Zuspruch von allen Seiten in dieser Zeit. „Das tat sehr gut“, sagt sie.

Vor allem der Besuch von Bundestrai­ner Hans Melzer half ihr. Nur wenige Tage nach dem Unfall war der 70-Jährige bei ihr, besprach den Plan für sie für den Rest der Saison. Und auf dem hat die EM oberste Priorität. „Für mich ist das der Ausgleich für die verpassten Olympische­n Spiele“, sagt sie. Mit Hale Bob kann ihr etwas Ungewöhnli­ches gelingen: zum dritten Mal nacheinand­er den EMTitel mit demselben Pferd gewinnen

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