Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Famoser Abend mit Rupert Seidl
Der Schauspieler war zu Gast im Duisburger Literaturverein.
(pk) Obwohl es unmöglich schien, ist der Luxusdampfer Titanic auf seiner Jungfernfahrt am 15. April 1912 untergegangen. Die „unsinkbare Titanic“ist zum Symbol für menschliche Überheblichkeit und zur Metapher für gescheiterte Fortschrittsgläubigkeit geworden.
Hans Magnus Enzensberger, einer der großen deutschen Schriftsteller, hat sich vor mehr als 40 Jahren mit dem „Mythos Titanic“beschäftigt. Vor zwei Jahren brachte das Mülheimer Theater an der Ruhr das Enzensberger-werk auf die Bühne. In der Inszenierung von Philipp Preuss entdeckte man noch mehr Facetten in dem Stück, das irritierenderweise vom Autor als „Komödie“bezeichnet wird. Eine dieser Facetten ist die Umweltkrise, mögen auch die Eisberge, von denen einer für den Untergang der Titanic sorgte, mittlerweile geschmolzen sein. Es war ein guter Griff, den Neustart des Programms im Duisburger Verein für
Literatur mit Enzensbergers grandiosem Versepos „Der Untergang der Titanic“zu wagen. Dass dieses Wagnis ein Erfolg wurde, ist dem erstklassigen Schauspieler Rupert Seidl zu verdanken, Ensemblemitglied des Mülheimer Theaters, Mitwirkender in der „Titanic“-inszenierung – und selber Mitglied im Duisburger Literaturverein.
Seidl traf eine Auswahl aus den 33 Titanic-gesängen, in denen Enzensberger ebenso kunstvoll wie leicht verständlich die Metapher Titanic mit der Wirklichkeit und der Gegenwart abgleicht. Enzensberger verarbeitet in seiner Titanic auch seine eigene Distanzierung von politischen Ideen und Utopien. Das von Fidel Castro regierte Kuba schien für Enzensberger eine Zeitlang das Land seiner Hoffnungen zu sein. Doch als er in Havanna war, sah er seine Hoffnungen zerstoben. Mit Zynismus schildert er im dritten Gesang, wie er als naiver Autor, der sich gerade mit der Titanic beschäftigt, von der kubanischen Wirklichkeit eingeholt wird. „Der Anfang vom Ende ist immer diskret“, heißt es in Enzensbergers Stück, in dem es zu Beginn unterschwellig drohend heißt: „Nie wieder, sagt er, wird es so ruhig sein, so trocken und warm wie jetzt.“
Rupert Seidl las nicht nur, vielmehr bot er seine enorme Schauspielkunst auf, um das Stück mit Stimme, Tonfall und Klangfarben zu interpretieren. Wenn es heißt: „Der Prophet spricht mit dünner, aber fester Stimme“, dann spricht Seidl die prophetischen Worte auch mit „dünner, aber fester Stimme“. Und den bayerischen Ingenieur, der beweist, dass ein Untergang der Titanic – statistisch gesehen – vernachlässigt werden kann, stellt man sich während Seidls Vortrag leibhaftig vor, obwohl der Schauspieler nur am Tisch sitzt. Irgendwann „befiehlt“der Titanic-kapitän: „Rette sich wer kann, Musik!“