Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Das Problem-museum

- VON GREGOR MAYNTZ

Kaum ist der Streit um das wiederaufg­ebaute Berliner Stadtschlo­ss in Form des Humboldt-forums leiser geworden, da bricht eine neue Auseinande­rsetzung aus. Denn die nun eröffnete ethnologis­che Abteilung steckt voller problemati­scher Zusammenhä­nge und Bezüge.

Ach könnten sich die Besucher nur einfach sattsehen an dem spannend beleuchtet­en, 16 Meter langen und reich verzierten Südsee-boot aus dem 19. Jahrhunder­t. Es gibt auf der ganzen Welt kein zweites, das die seefahreri­sche Überlegenh­eit der damaligen Einwohner der Insel Luf (heute: Papua-neuguinea) zeigt. Ohne einen einzigen Nagel gebaut, ist es hochseetau­glich, kreuzt gegen den Wind und widersteht allen Stürmen. Es ist das ideale Beispiel für die Faszinatio­n, die andere Kulturen auslösen können. Und deshalb auch eines der 10.000 Exponate, die nun auf 8500 Quadratmet­ern die Ethnologis­che Sammlung im neuen HumboldtFo­rum zu einem Museum von Weltrang machen. Es gibt nur ein Problem: Am Boot klebt Blut.

Nicht wörtlich. Aber es steht für schrecklic­he Verbrechen des deutschen Kolonialis­mus. Zwar besetzte das Deutsche Reich als eine der letzten Nationen seinen „Platz an der Sonne“. Doch im brachialen, rücksichts­losen Umgang mit den Einwohnern standen die Vertreter Deutschlan­ds den anderen Nationen in nichts nach. Die winzige Insel Luf nahmen die Kanonen von zwei Kriegsschi­ffen unter Feuer, unter den Bewohnern richteten die Deutschen, wie der Historiker Götz Aly erforschte, ein Massaker an, schlugen alles kurz und klein, und als die wenigen Überlebend­en sich ein neues Boot gebaut hatten, kam dieses „in die Hände“eines deutschen Kaufmannes, von dem es das Berliner Völkermuse­um 1904 ordnungsge­mäß erwarb. Lange interessie­rte keinen, wem die Exponate aus Afrika, Asien, Amerika und Ozeanien ursprüngli­ch gehörten und wie sie nach Deutschlan­d kamen. Doch inzwischen weiß es die Forschung besser: Vieles ist schlicht und einfach geraubt.

Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier wird zur offizielle­n Eröffnung der riesigen Multi-kultiSamml­ung an diesem Mittwoch das Kunststück fertigbrin­gen müssen, die finsteren Kapitel von Kolonialis­mus, Imperialis­mus und Rassismus als Hintergrun­d vieler Exponate mit dem moralische­n Anspruch moderner Museumspäd­agogik zusammen zu bringen. Er hat sich mit mehreren Expertenru­nden im Schloss Bellevue, mit Nachfragen bei Museumsleu­ten, Künstlern und Forschern aus etlichen Ländern auf den Festakt vorbereite­t. Sicherlich wird seine Rede nicht nur in Deutschlan­ds Museumslan­dschaft mit Spannung erwartet, sondern auch in Deutschlan­ds ehemaligen Kolonialge­bieten auf Signale und Zeichen abgeklopft werden.

Restitutio­n heißt das Zauberwort. Das meint allgemein die Wiederhers­tellung des früheren Zustands und konkret die Rückgabe der geraubten Güter. Beim Boot ist das gar nicht so einfach. Es wurde ins Humboldt-forum bereits integriert, als es noch im Rohbau war. Denn durch die verblieben­en Maueröffnu­ngen käme es jetzt gar nicht mehr rein – und somit ohne einen Teilabriss des wiederherg­estellten Stadtschlo­sses auch nicht mehr heraus. Da trifft es sich, dass sich Nachfahren der LufBewohne­r gemeldet haben. Sie interessie­ren sich zwar für das Erbe ihrer Vorväter und wollen deshalb auch nach Berlin kommen – aber nicht, um „ihr“Boot wieder mitzunehme­n, sondern Maß zu nehmen. Sie wollen in ihrer Heimat eine Kopie bauen. Aly schlug vor, gleich zwei zu machen. Eine zum Vorzeigen – und eine zum Lernen: Wie die Seefahrer damit früher navigieren konnten.

Aber zum Lernen gibt es auch in den ethnologis­chen Etagen des Humboldt-forums eine ganze Menge. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, spricht mit Blick auf die Dauer- und die künftigen Wechselaus­stellungen davon, dass dies alles im Humboldtsc­hen Sinne sei: mehr über die Welt zu erfahren und gleichzeit­ig sich selbst zu reflektier­en. Der Bundespräs­ident kann dem offenbar viel abgewinnen. Er ist nicht nur schon auf den Spuren der Gebrüder Humboldt gereist, er richtet auch in seinem eigenen Amtssitz noch diesen Herbst eine Art HumboldtRa­um ein – mit Porträts Wilhelm und Alexander von Humboldts, mit Gesteinspr­oben von Forschungs­reisen, mit Manuskript- und Buchseiten und mit Humboldts Pracht-kupferstic­h „Pflanzenge­ografie“.

Der Humboldtsc­he Ansatz der Aufklärung im Zugang zur Welt und ihrer Vermittlun­g ist somit die Grundvorau­ssetzung für ein Gelingen des problemati­schen Teils des Humboldt-forums. Und die Offenheit in der Wahrnehmun­g. Entspreche­nd haben die Kuratoren Wert auf einen multipersp­ektivische­n Blick gelegt. Dazu gehört auch die Integratio­n der Werke zeitgenöss­ischer Künstler in die historisch­en Sammlungen – so etwa das Kleid der namibische­n Künstlerin Cynthia Schimming mit seiner gewaltigen Schleppe. Die Vergangenh­eit des Kolonialis­mus schleppen eben beide Seiten mit sich, Täter und Opfer.

Durch die Kooperatio­n mit Museen aus den betroffene­n Regionen schafft das Humboldt-forum jedenfalls die Voraussetz­ung für ständige gegenseiti­ge Inspiratio­n bei der musealen Auseinande­rsetzung mit dem dunklen Kapitel des Kontaktes der Kulturen. Und möglicherw­eise ergeben sich aus der Rückgabe des Geraubten neue Kooperatio­nen auch in der gemeinsame­n Auseinande­rsetzung mit dem Geschehene­n.

„Kulturgüte­r tragen etwas Verbindend­es in sich, das aktiviert werden muss, um seine Wirkung zu entfalten“, erläutert Helen Müller, die Vorsitzend­e des Kuratorium­s Preußische­r Kulturbesi­tz. „Genau darum geht es uns.“Und so ist auch die Präsentati­on des Südsee-bootes unvollstän­dig, so lange die Besucher noch kein Video vom Nachbau sehen und erfahren können, wie die Nachfahren damit zu navigieren lernten. Ein Museum nicht nur mit Problem – sondern auch mit Auftrag.

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FOTO: ROLF ZOELLNER/EPD Das 16 Meter lange Hochsee-segelboot aus Papua-neuguinea.
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FOTO: PICTURE ALLIANCE / EVENTPRESS HOENSCH Blick über die Spree auf das Humboldt-forum in Berlin, in dem die ethnologis­che Ausstellun­g eröffnet wurde.

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