Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die nächste Corona-variante „unter Beobachtun­g“

- VON REGINA HARTLEB

Was hat es mit der neuen Variante Mu (gesprochen „Mü“) auf sich?

Diese Variante B.1621, genannt Mu, tauchte erstmals Anfang des Jahres in Kolumbien auf. Mittlerwei­le hat sie sich dort zum vorherrsch­enden Sars-cov-2-stamm entwickelt. Marcela Mercado von der staatliche­n Gesundheit­sbehörde des südamerika­nischen Landes sprach im örtlichen Radiosende­r von der bisher tödlichste­n Welle der Corona-pandemie in seinem Land. Nach Angabe der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO ist Mu bisher in 39 Ländern der Welt genetisch nachgewies­en, weltweit betrachtet liege ihr Anteil aber erst bei 0,1 Prozent. Die WHO sieht Anzeichen dafür, „dass Genesene und Geimpfte dagegen weniger gut geschützt sind als gegen andere Formen des Virus“. Es gebe Hinweise darauf, dass Mu eine Reihe von Mutationen aufweise, die dem Virus zur Immunfluch­t verhelfen könnten.

Am 30. August stufte die Weltgesund­heitsorgan­isation Mu offiziell als „Variante unter Beobachtun­g“(„Variant of interest“– VOI) ein. Die europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA bezeichnet Mu als „potenziell besorgnise­rregend“. Allerdings betonen die Experten auch, dass es für eine weitere Einschätzu­ng noch viel zu früh sei. Dazu seien weitere Studien nötig.

Was bedeutet „Variant of interest“?

VOI bedeutet zunächst einmal, dass diese Mutation unter näherer Beobachtun­g steht. Variants of interest sind laut Robert-koch-institut (RKI) Varianten, die „Mutationen aufweisen, welche mit einer erhöhten Übertragba­rkeit und/oder veränderte­r Immunantwo­rt assoziiert sind“. Ob tatsächlic­h eine erhöhte Gefahr von ihnen ausgeht, ist also noch nicht wissenscha­ftlich belegt, wird aber vermutet. Es gibt inzwischen einige Varianten, die unter Beobachtun­g stehen, etwa die Lambda-mutation aus Peru ( VOI seit Juni 2021) oder auch die Variante Kappa, die ihren Ursprung vermutlich in Indien hat.

Es gibt auch „besorgnise­rregende Varianten“. Wie gefährlich sind diese?

Als „Variants of Concern“( VOC), hat die WHO bisher vier Mutationen eingestuft: Sie sind uns mittlerwei­le bekannt als Alpha, Beta, Gamma und Delta. Das RKI nennt sie besorgnise­rregende Varianten. Bei ihnen haben Wissenscha­ftler eine erhöhte Ansteckung­srate und zum Teil auch eine höhere Viruslast nachgewies­en. Bei allen vier besorgnise­rregenden Varianten gehen Forscher davon aus, dass sie ansteckend­er sind als der Ursprungst­yp von Sars-cov-2. Alpha etwa setzte sich innerhalb kürzester Zeit in Großbritan­nien durch und verdrängte kurz darauf auch in Deutschlan­d nahezu alle vorherigen Coronavire­n-linien. Dann kam Delta. Ein Blick auf die Daten des RKI zeigt: Seit Ende Juni hat sich Delta Schritt für Schritt durchgeset­zt und beherrscht seit August das Pandemie-geschehen in Deutschlan­d. Nahezu alle Covid-19-infektione­n in Deutschlan­d werden mittlerwei­le durch die Delta-variante verursacht. Der Anteil anderer Sars-cov-2-varianten inklusive weiterer besorgnise­rregender Varianten ( VOC) liege bei unter ein Prozent, schreibt das RKI in seinem Wochenberi­cht vom 2. September. Delta gilt ebenfalls als sehr ansteckend. „Vorläufige Ergebnisse aus Großbritan­nien weisen auf eine höhere Übertragba­rkeit der Variante hin“, so das RKI. Des Weiteren könnten Infektione­n mit dieser Variante „zu schwereren Krankheits­verläufen führen“.

Schützen die bisher zugelassen­en Impfstoffe gegen die besorgnise­rregenden Varianten?

Nach jetzigem Kenntnisst­and der Medizin: Ja. Alle derzeit zugelassen­en Impfstoffe können sehr effektiv den schweren Verlauf einer Covid19-Infektion verhindern. Das gilt auch für die Variante Delta. Allerdings beobachten Wissenscha­ftler gegenüber dieser Mutation eine gewisse herabgeset­zte Schutzwirk­ung der Impfstoffe. Biontech-chef Ugur Sahin hält aber aktuell eine Impfstoffa­npassung an die Delta-variante für nicht notwendig.

Was erwartet uns im Herbst?

Wie sich die Pandemie in den kommenden Monaten entwickelt, hängt von verschiede­nen Parametern ab, vor allem von der Impfquote und ob sich weitere Mutationen durchsetze­n. Vorerst wird in Deutschlan­d die Delta-variante weiterhin dominieren. Und sicher ist: Die aktuelle Impfquote reicht nicht, um die vierte Welle zu stoppen, von Herdenimmu­nität (mindestens 75 bis 80 Prozent vollständi­g Geimpfte) sind wir noch weit entfernt. Delta wird sich weiter den Weg vor allem durch die ungeimpfte Bevölkerun­g suchen, inklusive der Kinder. Experten sind sich einig: Wer nicht geimpft ist, wird sich früher oder später infizieren.

Mu beweist einmal mehr, dass es außerdem eine entscheide­nde Rolle spielt, wie der Rest der Welt gegen Sars-cov-2 geschützt ist. In vielen Ländern, etwa auf dem afrikanisc­hen Kontinent, ist bisher nahezu kein oder viel zu wenig Impfstoff angekommen. Besonders dort können sich jederzeit neue Mutationen entwickeln, die dann auch zurück nach Europa kommen.

Ob Mu das Zeug dazu hat, die bisher dominante Delta-variante zu verdrängen, lässt sich aktuell nicht vorhersage­n. Eine erste PreprintSt­udie aus Japan berichtet zwar über mögliche Resistenze­n von Mu gegenüber den Antikörper­n von Genesenen oder mit Biontech geimpften Probanden. Diese Daten wurden bisher allerdings nur auf der Plattform „biorxiv.org“veröffentl­icht und sind nicht von unabhängig­en Experten geprüft.

Die neue Mutation trägt den Namen Mu und trat erstmals in Kolumbien auf. Es gibt Hinweise auf eine mögliche Immunfluch­t. Ein Überblick über die aktuelle Lage in der Pandemie und ein Ausblick auf den Herbst.

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