Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Gläubige müssen sich selbst ermächtige­n“

INTERVIEW MARIA MESRIAN Wie geht es weiter im Erzbistum Köln? Die Diplom-theologin von Maria 2.0 hat keine Hoffnung mehr auf eine Kehrtwende.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Frau Mesrian, wie geht es Ihrer Einschätzu­ng nach in Köln weiter, nachdem Papst Franziskus Kardinal Woelki möglicherw­eise im Amt des Erzbischof­s belässt?

MESRIAN Ich denke, dass sich viele Menschen frustriert von der Kirche abwenden werden. Auch viele Gemeinden können sich mit dem Erzbischof keine Zukunft mehr vorstellen. Die Frustratio­n ist groß und wird wahrschein­lich zu einer neuen Austrittsw­elle führen, zumal, wie ich hörte, 80 Prozent der Leute, die von den päpstliche­n Visitatore­n damals befragt wurden, sich sehr kritisch über diese Amtsführun­g geäußert haben. Es ist ein großes Problem, dass all das nun völlig ignoriert wurde und nur noch Kirchenpol­itik eine Rolle spielt.

Was würden Sie Menschen sagen, warum es dennoch wichtig und wertvoll ist, in der Kirche zu bleiben?

MESRIAN Ich kann mittlerwei­le keinem sagen, was richtig und was falsch ist. Jedem, der jetzt aus Gewissensg­ründen aus der Kirche austritt, kann ich wirklich keinen Rat geben. Wenn selbst eigene Gutachten letztlich keine Konsequenz­en mehr haben, was soll man da den Menschen eigentlich noch sagen? Wenn man in einem fahrenden Zug sitzt, nützt es nichts, in den hinteren Wagen zu rennen. Der Zug fährt dennoch weiter in die falsche Richtung.

Warum sind Sie noch Mitglied der katholisch­en Kirche?

MESRIAN Noch lasse ich mich von der Bistumslei­tung nicht dazu bringen, eine Kirche zu verlassen, die mich von Kind an begleitet hat und mir auch biografisc­h so viel bedeutet. Aber: Es ist momentan ein großes „Noch“.

Haben Sie denn Hoffnungen, dass sich mit den mittlerwei­le verabschie­deten Dokumenten des Synodalen Weges zumindest eine neue Richtung für die Kirche ergeben könnte?

MESRIAN So komisch sich das anhört: Ich glaube, dass das Scheitern des Synodalen Weges wahrschein­lich der Erfolg ist. Weil sich dann nämlich die Fronten in der Kirche klar zeigen werden. Die Synodalen müssen jetzt Stellung beziehen, so oder so. Aber ich glaube nicht, dass es irgendwann zu Veränderun­gen in der Kirche kommen wird. Dazu haben die Menschen längst keine Geduld mehr. Ich selbst habe ja auch kein Rezept für die Zukunft. Aber die Menschen, denen der Glaube noch am Herzen liegt und die möchten, dass es weitergeht, werden eigene Formen finden müssen. Sie werden sich also unabhängig machen von der Form der Kirche.

Woher kommt die steigende Ungeduld der Menschen? Hat das auch zu tun mit dem Schock des sexuellen Missbrauch­s in der Kirche, der dem Reformproz­ess eine ungeheure Dringlichk­eit verliehen hat?

MESRIAN Absolut. Das ist nämlich der tiefste Abgrund, in den man schauen kann, wenn man mit Betroffene­n reden konnte. Wenn das Wesentlich­e des Christentu­ms die Verschränk­ung von Gotteslieb­e und Nächstenli­ebe ist und diese an ihrem verletztli­chsten Punkt verraten wurde – wie das beim sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlich­en passiert ist und ohne Konsequenz­en blieb –, dann hat die Institutio­n Kirche ihre Daseinsber­echtigung verwirkt. Weil sie die Botschaft Jesu, für die Kleinsten und Schwächste­n einzutrete­n, verraten hat. Auch daher kommt jetzt die Ungeduld auch von älteren Menschen.

Warum scheint die Kirche jetzt unfähig zu Umkehr und Aufbruch zu sein?

MESRIAN Weil es – ganz einfach – um Geld und um Macht geht.

Den Synodalen wird immer wieder vorgeworfe­n, dass mit ihren Reformen eine Kirchenspa­ltung droht. Droht nicht viel eher eine Spaltung der Gläubigen innerhalb Deutschlan­ds?

MESRIAN Auf jeden Fall. Aber eigentlich leiden wir ja unter den Folgen einer Kirchenspa­ltung schon seit Papst Johannes Paul II. und seinem harten Vorgehen gegen die Theologie, das durch Ratzinger noch verstärkt wurde. Dadurch wurde ein Keil in die Kirche getrieben und eine Gegenbeweg­ung zum zweiten Vatikanisc­hen Konzil eingeleite­t.

Steht die Kirche Ihrer Meinung nach also an einem Kipppunkt? MESRIAN Für mich ist die Kirche epochal gekippt, als entschiede­n wurde, dass die Gutachten keine Folgen haben. Man muss sich inzwischen wirklich rechtferti­gen, warum man überhaupt noch katholisch ist.

Stehen wir derzeit möglicherw­eise an der Schwelle zu einem neuen Verständni­s von Kirche im 21. Jahrhunder­t?

MESRIAN Jetzt liegt es praktisch an den aktiven Katholikin­nen und Katholiken selbst, sich von dem Leid der missbrauch­ten Menschen berühren zu lassen. Dem muss man sich stellen. Und daraus erwächst dann eine andere Verantwort­ung und ein anderes Hinschauen auf das, was wirklich falsch ist. Dann müssen sich die Gläubigen letztlich selbst ermächtige­n und so einer Institutio­n die Stirn bieten. Da sind wir alle als Gläubige jetzt in der Pflicht.

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FOTO: PETER BACK/IMAGO Ein Protestzug der Reforminit­iative Maria 2.0 während der Herbst-vollversam­mlung der Deutschen Bischofsko­nferenz in Fulda.
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FOTO: CHRISTOPH HARDT/DPA Maria Mesrian sieht in einem Scheitern des Synodalen Wegs eine Chance.

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