Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wie es jetzt weitergeht
FRAGEN UND ANTWORTEN Die SPD hat die Wahl knapp gewonnen. Viele sind nun gefordert. Die Parteien werden Bündnisse sondieren, der neue Bundestag wird sich konstituieren – und die Kanzlerin regiert erst mal weiter.
Deutschland hat gewählt. Nun beginnt die nächste Phase, bis irgendwann eine neue Regierung steht. Bundestag, Bundespräsident, Kanzlerin und Parteien – wie es jetzt für wen nach der Wahl weitergeht.
Wann tritt überhaupt der neue Bundestag zusammen?
Artikel 39 des Grundgesetzes regelt: „Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl zusammen.“Also am Dienstag, 26. Oktober.
Was passiert dann im Parlament? Eröffnen wird die Sitzung der Alterspräsident, wobei es sich nicht mehr um den nach Jahren ältesten Abgeordneten handelt, sondern um den mit der längsten Dienstzeit. Die Geschäftsordnung war in der vorletzten Wahlperiode von der großen Koalition geändert worden, um einen Afd-alterspräsidenten zu verhindern. Gewählt werden zudem die neue Bundestagspräsidentin/der neue Bundestagspräsident und die Stellvertreter. Bis dahin muss geklärt sein, wo welche Fraktion sitzt. Das entscheidet der „Vorältestenrat“. Um die Sitzordnung wird meist lebhaft gerungen.
Was macht Angela Merkel?
Einfach weiterregieren. Denn eine Phase ohne Regierung gibt es nicht. Zwar endet laut Grundgesetz mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages Merkels Amtszeit. Doch Bundespräsident Frank-walter Steinmeier wird sie vorher in einem Schreiben darum bitten, die Geschäfte gemäß Artikel 69 Absatz 3 weiterzuführen. Dazu ist Merkel dann auch verpflichtet. Ihrerseits bittet sie dann – ebenfalls noch vor der Sitzung des neuen Bundestages – die Minister und Ministerinnen, auch ihre Arbeit fortzusetzen. Womit Deutschland dann eine „geschäftsführende Bundesregierung“hat.
Kann Merkel also weiter wichtige Entscheidungen treffen?
Ja und nein. Merkel und ihre „geschäftsführende Bundesregierung“verfügen über dieselben Befugnisse wie eine „regulär“im Amt befindliche, obwohl der Bundestag schon in den neuen Mehrheitsverhältnissen besetzt ist. Aber: Bislang war es gängige Staatspraxis, keine Entscheidungen zu treffen, die die folgende Bundesregierung binden würden, etwa die Verabschiedung von Gesetzen. Und da das Budgetrecht beim Parlament liegt, kann die geschäftsführende Regierung auch keinen „ordentlichen Haushalt“beschließen.
Wie gehen die Parteien weiter vor?
Für sie beginnt jetzt die besonders spannende Phase. Wer mit wem? Der Ablauf ist der: Zuerst treten potenzielle Partner in Sondierungsgespräche ein. Diesmal machen wohl Grüne und FDP den Anfang, weil es auf sie nun vor allem ankommt. Dann heißt es: Ampel oder Jamaika? Ausgelotet wird, welche Kompromisse möglich sind, unter welchen Bedingungen man sich eine Kooperation vorstellen kann. Nicht immer führen die Gespräche zum Erfolg. Manchmal wird auch geblufft, weil man längst einen anderen Partner im Visier hat, weil man zeigen will, es zumindest versucht zu haben. Denn wie heißt es im Wahlkampf immer so schön? „Wir reden mit allen demokratischen Parteien.“
Was, wenn die Gespräche positiv verlaufen?
Wenn dem so ist und man sich verständigt hat, in einer Regierung zusammenzuarbeiten, beginnen die Koalitionsverhandlungen über Ziele und Projekte. Am Ende wird auch über die Besetzung der Ministerien gesprochen. Wer etwas werden will in der Regierung, sollte möglichst die Füße stillhalten. Schließlich wird dann alles in einem Koalitionsvertrag festgezurrt. Für die Verhandlungen gibt es keine Zeitbegrenzung.
Warum ist der Vertrag so wichtig? Unterschrieben wird er von den jeweiligen Parteiführungen. Mit dem Vertrag wissen Parteien und Bürger, welche Vorhaben konkret umgesetzt werden sollen. Er gilt auch als Nachweis dessen, was man durchsetzen konnte – oder auch nicht. Sollte es mal Streit in der Regierung geben, kann auf den Koalitionsvertrag verwiesen werden.
Welche Rolle übernimmt der Bundespräsident?
Er achtet darauf, dass alles grundgesetzkonform verläuft. Haben sich die Parteien auf eine Koalition geeinigt, schlägt das Staatsoberhaupt gemäß Artikel 63 des Grundgesetzes dem Bundestag einen Kandidaten oder eine Kandidatin für das Kanzleramt vor. Wird die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler gewählt, so muss der Bundespräsident sie oder ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen.
Was, wenn man sich nicht einigt?
Der Bundespräsident verfolgt das Geschehen ganz genau. Bestes Beispiel 2017: Als die Jamaika-gespräche zwischen Union, FDP und Grünen geplatzt waren, forderte Steinmeier die Parteien auf, sich erneut um eine Regierungsbildung zu bemühen. Anschließend führte er Gespräche mit den Vorsitzenden, „bei denen programmatische Schnittmengen eine Regierungsbildung nicht ausschließen“. Steinmeier ebnete so den Weg für eine Neuauflage der großen Koalition. Nach der Bundestagswahl 2017 dauerte es übrigens 171 Tage bis zur Wahl der Bundeskanzlerin. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik war diese Zeitspanne so groß. Keiner weiß, wie lange es diesmal dauern wird.