Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Scholz beschwört eine Ampel-koalition

Der Spd-wahlsieger formuliert seinen Regierungs­anspruch und möchte mit FDP und Grünen ein „ sozial-liberal-ökologisch­es“Bündnis bilden.

- VON TIM BRAUNE

BERLIN In die Guido-westerwell­eFalle tappt Olaf Scholz schon mal nicht. Montagvorm­ittag nach der Wahl, Pressekonf­erenz in der Parteizent­rale, der Saal ist voll. Die SPDWahlsie­gerinnen Manuela Schwesig aus Schwerin und Franziska Giffey aus Berlin sowie Scholz bekommen Blumensträ­uße. Der Korrespond­ent eines britischen Tv-senders will dann von Scholz wissen, ob er als Kanzler Lastwagenf­ahrer auf die Insel schicken würde, um den Engpass nach dem Brexit zu beheben.

Die Frage wird auf Englisch gestellt. Für deutsche Politiker ist das erfahrungs­gemäß nicht unheikel. Der damalige FDP-CHEF und spätere Außenminis­ter Westerwell­e hat 2009 einen in seiner Mutterspra­che fragenden Bbc-reporter unwirsch abgebürste­t („Wir sind hier in Deutschlan­d“). Das hatte dem inzwischen gestorbene­n Liberalen nach einem historisch­en Wahlsieg einen erhebliche­n Imageschad­en zugefügt. Scholz scheut die Fremdsprac­he nicht. Flüssig erklärt er, dass ja viele gerne Truckfahre­r sein wollten, aber die Briten sich fragen müssten, ob der Mangel etwas mit zu schlechten Löhnen zu tun habe. Routiniert pariert er Fragen des Cnn-reporters nach Kontinuitä­t im Kanzleramt in der Nach-merkel-ära. Die starke Präsenz ausländisc­her Medien ist zumindest ein Indiz, dass man im Rest Europas glaubt, der Sozialdemo­krat auf der Bühne könnte die große Angela Merkel nach 16 Jahren beerben. Laschet wird am Nachmittag in seiner Pressekonf­erenz jedenfalls keine einzige internatio­nale Frage gestellt.

Ob Scholz wirklich Kanzler wird, bleibt ungewiss. Er habe jedenfalls gut geschlafen. Nach dem Aufwachen habe er geschaut, wie sich die Ergebnisse entwickelt hätten. „Da habe ich mich dann nochmal gefreut“, sagt er. Mit 25,7 Prozent liegt die SPD nun klar vor der Union (24,1 Prozent). Sehr genau registrier­t die SPD, was da bei CDU und CSU los ist. Laschet schwächt seinen am Vorabend erhobenen Regierungs­anspruch ab in die Bereitscha­ft, für ein Jamaika-bündnis bereitzust­ehen, falls Scholz keine Ampel hinbekommt. Prompt tritt Scholz entschiede­ner auf. SPD, Grüne und FDP hätten Stimmen dazugewonn­en und sollten eine Regierung bilden.

Er greift historisch weit zurück: Von 1969 bis 1982 habe es eine erfolgreic­he soziallibe­rale Koalition gegeben. Rot-grün unter Gerhard Schröder sei ebenfalls eine „sehr gute Regierungs­zeit“gewesen. Nun könne man gut eine „sozial-ökologisch-liberale Koalition“schaffen. „Wenn drei Parteien, die den Fortschrit­t am Beginn der 20er-jahre im Blick haben, zusammenar­beiten, kann das etwas Gutes werden, selbst wenn sie unterschie­dliche Ausgangsla­gen haben.“Die Ampel sei eine „Fortschrit­tserzählun­g“.

Gilt das auch für Berlin? Giffey sieht dieses Bündnis als eine von mehreren Optionen. Eine Ampel in der Hauptstadt wäre für Scholz eine gute Vorlage. In Rheinland-pfalz harmoniert das Bündnis schon länger. Scholz will schnell mit FDP und Grünen reden, um noch vor Weihnachte­n eine neue Regierung zu bilden. „Völlig ok“findet er es, dass FDP und Grüne zuerst miteinande­r reden wollen.

Die SPD will mit sechs Personen in die Sondierung­sgespräche gehen. Außer Scholz die Parteichef­s Saskia Esken und Norbert Walter-borjans, Generalsek­retär Lars Klingbeil, Fraktionsc­hef Rolf Mützenich und die Mainzer Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer. Auf rote Linien verzichtet Scholz: „Wir wollen vertrauens­voll mit denen reden, mit denen wir uns zusammentu­n wollen.“Das hört sich morgens bei Walter-borjans anders an. Er wirft der Fdp„voodoo-ökonomie“vor. Auch Esken geht Grüne und FDP zunächst harsch an, weil diese ein Jamaika-bündnis offen ließen: „Ich finde es erstaunlic­h, wie man einen so krassen Wahlverlie­rer zum Kanzler wählen möchte.“Ein paar Stunden später hat Scholz eine moderate Linie durchgeset­zt.

Zudem klärt die SPD eine erste wichtige Personalie: Fraktionsc­hef Rolf Mützenich will weitermach­en. Das kündigt der Kölner nach Informatio­nen unserer Redaktion in einer Vorstandss­itzung an. Scholz hat ihn darum gebeten. Die SPD-FRAKtion wählt an diesem Mittwoch. Der 62-jährige Mützenich soll wohl länger an der Spitze bleiben. Zuletzt soll er damit geliebäuge­lt haben, als Nachfolger von Wolfgang Schäuble Bundestags­präsident zu werden. In diesem Fall könnte der Parteilink­e Matthias Miersch in der Fraktion aufrücken. Gewählt wird der Parlaments­präsident bei der konstituie­renden Sitzung des Bundestage­s am 26. Oktober. Die Sozialdemo­kraten sind mit zehn Mandaten Vorsprung auf die Union stärkste Kraft im Parlament und können daher den Posten beanspruch­en.

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FOTO: IMAGO Olaf Scholz bei der Pressekonf­erenz im Willy-brandt-haus.

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